Das ist doch vollkommen absurd! Aber zum Lachen ist es allemal. Nach „Caligula“, „Woyzeck Interrupted“ und „Die Pest“ sitze ich endlich einmal wieder mit einem breiten Grinsen im Deutschen Theater. Mein erstes Theaterstück mit Audiodeskription ist in diesem Jahr „Die kahle Sängerin“ von Eugène Ionesco. Das ist das erste Stück, das als absurdes Theater bezeichnet werden konnte. Wie absurd dieser Abend wirklich wird, warum nicht immer jemand vor der Tür steht, wenn es klingelt und was es mit der kahlen Sängerin auf sich hat, erfahrt ihr vielleicht im Folgenden.
Die Tastführung beginnt, wir sehen rot
Bislang konnte noch kein anderes Theater meinem Empfinden nach mit den liebevollen gestalteten Tastführungen des Deutschen Theaters mithalten. Zuerst erfahren wir, dass Ionesco „Die kahle Sängerin“ entwickelt hat, während er auf eine sehr eigenwillige Weise Englisch lernte. Er schrieb Sätze ab. Es handelte sich hauptsächlich um Hauptsätze à la „Ich bin…“ oder „Der Stuhl hat vier Beine“. Während er mit Abschreiben beschäftigt war, fiel ihm auf, dass unsere Sprache zu einem großen Teil aus belanglosen Floskeln besteht. Er sammelte sie und erschuf die kahle Sängerin. Das Manuskript schickte er an mehrere Theater, die sie allerdings mit der Begründung ablehnten, es handele sich hierbei nicht um ein Theaterstück. Dann aber wurde das Stück in einem Kellertheater von Student*innen aufgeführt, von den richtigen Leuten gesehen und aufgegriffen. Das war der Beginn des absurden Theaters.
Wir betreten die ganz in Rot gehaltene Bühne: rotes Schlangensofa, rotes Tischchen, rote Uhr, rote bewegliche Treppe, roter Teppich, rote Vorhänge. Wir fahren eine Runde auf der Drehbühne und dürfen im Kabuff der Inspizientin auf die Knöpfe drücken.
Am Ende der Tastführung halten wir noch einige Kostüme in den Händen. Besonders im Gedächtnis bleiben mir die Uniform des Feuerwehrmanns mit seinem Metallhelm, die hochhackigen Schuhe von Mister Smith und die sogenannten „Love-Capes“, die mit Rüschen und Stickdecken verziert sind und sich einfach wundervoll anfühlen. So ein Cape hätte ich auch gerne. Nach einer Stunde Tastführung bin ich eigentlich schon ziemlich müde, aber auch gespannt auf das Stück.
Wenig Handlung, viel Spaß
In der Tastführung wurden wir bereits vorgewarnt, dass es so etwas wie eine Handlung eigentlich nicht gibt. Deshalb lasse ich mich gelassen in meinen Stuhl in der zweiten Reihe plumpsen. So weit vorne habe ich im Deutschen Theater noch nie gesessen. Fast könnte ich die Schauspieler*innen berühren.
Im Groben dreht sich das Stück um Mister und Misses Smith, die gerade zu Abend gegessen haben. Ich kann mit Sicherheit sagen, dass ich noch nie dem Lob eines Abendessens so aufmerksam gelauscht habe wie Misses Smiths: „Die Kartoffeln mit Speck waren auch ausgezeichnet.“
Daraufhin kommen die Martins, ein befreundetes Ehepaar.
Mister und Misses Martin verbringen erst einmal viel Zeit damit herauszufinden, wer sie eigentlich sind.
Mister Martin: „Möglicherweise haben wir uns im Abteil gesehen.“
Misses Martin: Schon möglich, Monsieur. Warum nicht? Aber ich entsinne mich dessen nicht.“
Es ist urkomisch, wie die beiden allmählich feststellen, dass sie eine Tochter haben, die gleich aussieht und dass sie ein Bett teilen.
Endlich klingelt es an der Tür. Ein Feuerwehrmann steht davor und fragt, ob es nicht einen Brand zu löschen gäbe. Erfreut laden die Paare ihn ein. Er erzählt einige skurrile Geschichten. Als Mary die Frage stellt, wo denn die kahle Sängerin ist, wird ein vor sich hinsingender Inspizient auf einer Leinwand gezeigt. Die sechs Darsteller*innen schlüpfen in ihre Love Capes und platzieren sich um ihn herum. Danach stehen alle vor Mikrofonen und stimmen einen Sprechgesang an. Der besteht hauptsächlich aus dem Satz: „Love isn’t silly at all.“ Aber auch einigen anderen scheinbar sinnlosen Hauptsätzen wie: „Die Decke ist oben. Der Boden ist unten oder „Es ist nicht da, es ist dort!“ Das sind einfache Sätze, die gerade dadurch zum Nachdenken anregen. Was ist eigentlich oben und unten? Was passiert, wenn wir die Perspektive wechseln. Zum Schluss wird noch ein Liedchen angestimmt. Wir werden zum Mitsingen angeregt und zögerlich singen wir das Wort „Love“ mit.
Was ist wichtiger?
Die Audiodeskription wird von Charlotte Miggel eingesprochen. Abgesehen von einigen Versprechern habe ich kaum etwas zu beanstanden. In den Versprechern zeigt sich meiner Meinung nach die Schönheit der Live-Audiodeskription. So höre ich einmal: „Mister Smith schiebt seinen Furz … äh, Fuß zur Seite.“ Ich muss unpassenderweise lachen. So ist das, wenn niemand die Audiodeskription hört, außer mir und einigen wenigen anderen.
An manchen Stellen hätte ich mir weniger Beschreibung gewünscht. Einige Male spricht Charlotte über das Gesagte hinweg, zum Beispiel, als sich Misses Martin bei dem Feuerwehrmann umständlich bedanken will, aber Wortfindungsstörungen zu haben scheint. Das ist ein lustiger Moment. Charlotte beschreibt währenddessen etwas, was ich aber nicht mitbekomme, weil ich gleichzeitig versuche, Misses Martin zuzuhören. An Stellen wie diesen stellt sich mir die Frage, was wichtiger ist, das Gesagte oder die Bewegungen der anderen Darsteller*innen. In diesem Moment ist es für mich das Gesagte.
Ich finde es sehr hilfreich, dass Charlotte immer wieder sagt, wer gerade spricht. Zumindest am Anfang kann ich dadurch die Personen auf der Bühne besser voneinander unterscheiden. Später im Stück könnte ich allerdings darauf verzichten, denn die Stimmen der Schauspieler*innen sind sehr markant und für mich, leicht auseinanderzuhalten.
„Love isn’t silly at all.“
Ich bin froh, dass wir in der Tastführung etwas über das absurde Theater und die Hauptsätze erfahren haben. Die Sprache war einfach nachvollziehbar. Ich saß teilweise staunend dabei und habe mich gefragt, wie man es schafft, so viel zu sagen und doch nichts zu sagen. Tatsächlich schien das ganze Stück aus irgendwelchen Floskeln zu bestehen, hinter denen gleichzeitig so wenig und so viel liegt. Die Frage, die ich mir am Ende stelle, ist: „Brauchen wir diese Floskeln in der zwischenmenschlichen Kommunikation, und wenn wir sie nicht hätten, hätten wir uns dann überhaupt noch etwas zu sagen?“
Insgesamt habe ich diesen Abend genossen. Das Stück hat mich zum Nachdenken angeregt. Trotzdem musste ich mich nicht anstrengen, um ihm zu folgen. Die Tastführung hat mir viele, vielleicht an einigen Stellen auch zu viele Informationen gegeben, die mir eine Perspektive eröffnet haben, ohne die ich das Stück weniger verstanden hätte. Besonders Misses Smith habe ich mit ihrem österreichischen Dialekt unglaublich gerne zugehört. Irgendwie erwarte ich vom Österreichischen immer eine Art Vornehmheit. Wenn diese vornehme Person also ihren Mann „Pimmel“ nennt, haut es mich fast aus dem Stuhl vor Lachen. Das Stück endet mit der Botschaft „Love“, Liebe ist überhaupt nicht albern. Eine Floskel? Vielleicht, aber sie geht mir leicht von den Lippen.
Wer „Die kahle Sängerin“ im Januar verpasst hat, hat Glück. Im März wird sie noch einmal mit Audiodeskription gezeigt. Wenn ihr einen kurzweiligen Abend verbringen wollt und euch für ein Stück Theatergeschichte interessiert, lasst euch das nicht entgehen.
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