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„Ich liebe es einfach, mich mit Sprache zu beschäftigen“: Interview mit blinder Audiodeskriptorin Johanna Krins

Posted in Interviews, and Theaterrezension

Johanna Krins ist eine hochgradig sehbehinderte Musikerin und Autorin für Audiodeskription. In diesem Blog habe ich bereits Interviews mit den blinden Autorinnen Silja Korn (Künstlerin) und Barbara Fickert (Kinoliebhaberin) geführt. Johannas Herz schlägt für Musik und Sprache. Sie singt, sie hat eine Band und sie schreibt seit zehn Jahren für Audiodeskriptionen. Wie es dazu kam, erzählt sie in diesem Interview.

Lavinia: Was war das letzte Theaterstück, an dem du beteiligt warst?

Johanna: Das war „Play“. Das hat Felix Koch beschrieben. Es war eine Live-Performance am Tempelhofer Feld. Es ging um den Begriff des Spielens, auf welche Arten man „Spielen“ lesen kann und was das für die Gesellschaft bedeutet. Ich durfte die live-AD prüfen. Vor allem die Tastführung und die Begegnung mit den Künstler*innen war schön. Ich glaube, es waren vier Performer*innen, die mit wabernden Figuren gearbeitet haben. Sie haben sich viel umarmt und berührt und sich oftmals als Wolke über die Bühne bewegt. Beim Test der Tastführung durfte ich mich in diese Wolke hineinbegeben und die Bewegungen mitmachen. Das war sehr sinnlich.

Lavinia: Auf deiner Webseite steht, dass du mit Musik aufgewachsen bist. Wie sah das aus?

Johanna: Mein Vater ist klassischer Geiger. Er hat oft Musik aufgeführt und es wurde viel über Musik und deren Interpretationen gesprochen. Dadurch ist klassische und sogenannte „Alte Musik“ quasi der Soundtrack meines Lebens. Ich kann mich erinnern, wie ich als Kind durch diverse Burghöfe gelaufen bin und gespielt habe, während mein Vater dort geprobt hat. Ich konnte die ganzen lateinischen Texte von Opern auswendig, weil ich sie so oft gehört habe.

Lavinia: Warst du nicht auch an der Audiodeskription für „Carmen“ beteiligt?

Johanna: Seit fast 10 Jahren erstelle ich Skripte für Hörfilme, aber erst seit ein oder zwei Jahren mache ich auch Audiodeskription für Oper und Theater. „Carmen“ war das Erste, was ich in die Richtung gemacht habe. Ich glaube, ich wurde von einer Audiodeskriptionskollegin empfohlen und habe zusammen mit einer anderen erfahrenen Kollegin den Text prüfen dürfen. Das hat mir großen Spaß gemacht, weil ich ja u.a. mit Opern aufgewachsen bin. 

Lavinia: Hattest du vorher schon Berührungspunkte mit dem Theater?

Johanna: Ich glaube, jeder hat mal im Schultheater gespielt, aber davon abgesehen, habe ich auch in meinem Studium mit Theater zu tun gehabt. Ich habe Germanistik studiert und als Nebenfach ein ganz interessantes Koppelfach belegt, das „Kunst, Musik, Theater“ hieß. Ich habe mich auf Musik- und Theaterkurse fokussiert. Dort bin ich am meisten mit Theater in Berührung gekommen. Seitdem war ich aber leider nicht oft im Theater.

Lavinia: Weißt du noch, wann du zum ersten Mal von Audiodeskription gehört hast?

Johanna: Meine Eltern haben das irgendwann entdeckt, wie die meisten Leute das durch Zufall entdecken: Auf dem Fernsehgerät. Zuerst dachte ich: „Hä, was wollt ihr von mir? Ich brauche das nicht!“. Irgendwann habe ich gemerkt, dass ich es doch brauche, weil die Sehenden mir beim Fernsehen schon viel beschreiben mussten. Dann dachte ich: „Wow, Audiodeskription ist sehr anspruchsvoll und auch irgendwo künstlerisch.“ Ich liebe es einfach, mich mit Sprache zu beschäftigen Im Studium habe ich mich auf Linguistik spezialisiert, weil ich Sprachexperimente oder Wortfeldarbeit sehr gerne mag. Darum habe ich mich mit der Audiodeskription sehr verbunden gefühlt. Dann gab es ein Rundschreiben vom Bayerischen Blindenverband. Darin stand, dass der Bayerische Rundfunk ein neues Audiodeskriptionsteam am Chiemsee formieren möchte. Da läuteten im positiven Sinne die Alarmglocken. Ich habe mich sofort mit dieser Arbeit sehr wohl gefühlt, weil man seine Behinderung für etwas Gutes nutzen kann, ohne sie in den Mittelpunkt des Lebens zu stellen. Es ist nicht meine Art, aktivistisch unterwegs zu sein. Deswegen bin ich froh, dass ich auf der künstlerischen Ebene meine Blindheit nutzen und mich mit Sprache, Film und jetzt auch Theater beschäftigen kann.

Lavinia: Wie bekommst du deine Aufträge?

Johanna: Damals habe ich ja angefangen, für den BR zu arbeiten. Mit dem neuen Team, das sich am Chiemsee gebildet hat. Und wie es als Freiberufler so ist, durch Mundpropaganda wurde ich auch woanders mit reingeholt. Gerade in Berlin gibt es einige Auftraggeber. Bis vor kurzem habe ich fast nur im klassischen Team gearbeitet. D.h. ich war abhängig davon, dass eine oder zwei andere Autorinnen oder Autoren Zeit hatten, den Auftrag anzunehmen. Seit ich ein Assistenzbudget genehmigt bekommen habe, bin ich nun oft selbst die Auftragnehmerin. Das heißt, der Auftraggeber muss sich nicht darum kümmern, wer mit mir den Film beschreibt. Er beauftragt nur mich und bekommt zwei geschulte Autoren zum Preis von einem, weil ich aus dem Inklusionsamttopf die sehende Assistenz bezahlen kann. Die Assistenz suche ich selbst.

Lavinia: Also du bekommst einen Auftrag und dann hast du ein Pool? Du arbeitest nicht immer mit dem gleichen Assistenten. Und dieser Assistent ist dann auch ein Audiodeskriptor?

Johanna: Ich habe einen Pool an Leuten, die das professionell machen. Es muss eine geschulte Person sein, die weiß, worauf es beim Film oder Theater ankommt und welche strengen Regeln es in der Audiodeskription gibt. Sonst würde mir jemand möglicherweise Dinge viel zu ungenau beschreiben oder etwas vergessen. Es muss eine Person sein, die etwas davon versteht und mich auf die richtigen Dinge hinweist. Ich bin dann dafür verantwortlich, dass das Beschriebene verständlich formuliert wird und ich stellvertretend für die Zielgruppe dahinterstehen kann.

Lavinia: Wie wurdest du selbst geschult?

Johanna: Ich habe die Schulung bei Bernd Benecke in München gemacht und viel geübt. Das ist auch wichtig zu sagen: Nicht jeder Blinde kann automatisch Audiodeskriptionsautor sein, weil es, wie bei jedem Text-Genre, Regeln zu beachten gibt. Das ist ein Text, den man wie andere fachspezifische Texte schreibt, seien es Werbetexte oder Nachrichtentexte. Ich bin froh, dass ich einen Zugang zur Sprache habe, das ist schon mal die. Grundvoraussetzung. Aber eine Schulung und Erfahrung sollte es schon geben. Es ist wichtig, dass Blinde diesen Beruf machen und erfahren, dass es dieses Assistenzmodell gibt. Trotzdem kann man es nicht automatisch machen, nur weil man blind ist.

Lavinia: Kannst du etwas darüber sagen, wie diese Schulung verläuft?

Johanna: Je nach Anbieter sind es verschieden lange Kurse, oftmals über eine Woche. Anke Nicolai zum Beispiel schult immer wieder Leute in Berlin und vermittelt Grundkenntnisse und Regeln. Bei ihr durfte ich zwei Schulungen begleiten und mit den Anfänger*innen üben, damit sie auch gleich wissen, worauf es ankommt. Auch andere blinde Kollegen und Kolleginnen aus Berlin waren dabei, damit die Neulinge gleich mit uns ein bisschen Erfahrung in unterschiedlichen Genres sammeln können.

Lavinia: Findest du, es gibt noch irgendetwas, was man an der Audiodeskription, wie sie jetzt ist, verbessern könnte, besonders im Hinblick auf Theater?

Johanna: Ich finde es gut, dass es bei der live-AD ein wenig freier zugeht. Beim Film ist es eher so, dass man von festen Regeln nicht abweichen darf. Dort hat das auch seinen Sinn. Beim Theater wird man immer experimenteller, gerade beim Tanz. Du musst viel mehr ins Narrative gehen als ins Deskriptive, mit Metaphorik, mit Assoziationen und vielleicht auch Interpretationsansätzen arbeiten, weil es sonst viel zu technisch ist. Ich finde es schön, dass von Seiten der produzierenden Beteiligten immer mehr Ideen kommen: Ich werde wahrscheinlich an einem Stück beteiligt sein, wo die Beschreibung, die mehr sein wird als nur das, von Anfang an integriert wird. Der Versuch wird sein, dass die Audiodeskription für alle im Raum hörbar gesprochen und damit ein Mehrwert für alle sein wird. Die Grenzen verschwimmen immer mehr und es wird sehr viel mehr experimentiert. Das finde ich toll, weil das die AD auch für Menschen ohne Sehbehinderung interessant macht und damit Menschen verbindet. 

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