Heute nehme ich euch mit zu einer ganz besonderen Veranstaltung. Es geht um neo-afrikanischenTanz, Machtgeflechte und natürlich auch um Audiodeskription. Vom 6. bis zum 10. September fand im Theaterhaus Mitte die Kuyum Tanzplattform statt. Zehn Stücke wurden dort unter Zusammenarbeit mit dem Berliner Spielplan Audiodeskription mit Audiodeskription versehen. Ein aufwendiges Unterfangen, wenn man bedenkt, dass Tanz, vorsichtig gesagt, ein eher ausgewähltes Publikum anspricht. Meine letzte Tanzveranstaltung ist mutterschaftsbedingt schon ein Weilchen her. Ich gehe am Donnerstag, den 7. September und schaue mir von den vier Performances, die heute gezeigt werden, zwei an, bevor ich wieder nach Hause flitze, um mich von meiner Tochter in den Schlaf schreien zu lassen. Die Stücke sind „Silence des Esprits“ mit Omar Sene (Audiodeskription: Svantje Henke) und „Soliloque Dansé“ mit Yahi Nestor Gahé (Audiodeskription: Jutta Polic).
Geisterbeschwörung mit Audiodeskription
Als ich den Saal betrete, schlägt mir weihrauchgeschwängerte Luft entgegen. Der Geruch ist so penetrant, dass mir für eine Weile das Atmen schwerfällt. Insgesamt ist das Stück nur zwanzig Minuten lang. Omar liegt auf der Bühne, den Rücken uns zugewandt. Svantje beschreibt zuerst ihn – ein muskulöser Mann mit langen Haaren und einem ausdrucksvollen Lächeln. Später im Stück erfahre ich auch, dass er einen Rock aus Stoffstreifen trägt. Zur Bühnenbeschreibung kommt Svantje allerdings nicht mehr, denn das Stück beginnt ganze zehn Minuten zu früh. Also weiß ich zu Beginn nicht, was außer Omar noch auf der Bühne ist. Später erfahre ich, dass sich dort auch eine Feuerstelle befindet, die allerdings so detailliert beschrieben wird, dass ich sie mir nicht merken kann. Es gibt dort glühende Kohlen und Tonkrüge. Das ist alles, was mir im Gedächtnis bleibt. Die detaillierte Beschreibung hätte Svantje meiner Meinung nach weglassen können, um nur das zu beschreiben, was im Augenblick der Performance genutzt wird.
Eintauchen in das Ritual
Am Anfang setzt er sich vorsichtig auf und blickt sich suchend um, beginnt zu gehen wie ein kleines Kind, das laufen lernt. Dazu hört man ein Gedicht über die Kinder, die unsere Zukunft sind. Obwohl ich keinen Zugang zu dem Ritual habe, das Omar zeigt, verstehe ich, dass es um eine Art Geisterbeschwörung geht. Omar verbrennt Weihrauch und so frisch verbrannt, riecht es frisch und anregend. Er wedelt mit zwei Wedeln, ein mit blondem und einer mit schwarzem Haar, was wohl die Dualität zwischen schwarz und weiß andeuten soll. Durch die Lautsprecher flüstern immer wieder Stimmen in einer Sprache, die ich nicht verstehe. Das interpretiere ich als die Geister. Ich könnte mir auch vorstellen, dass der Rauch des Weihrauchs quasi die Olfakto-Geister darstellt. Er verteilt sie mit den Wedeln um sich herum. Am Ende des Rituals kehrt Omar zu seiner Familie zurück.
Interpretation in der Audiodeskription – Darf man das?
Anfangs war ich mir nicht sicher, ob Svantje nicht zu viel Interpretation in die Beschreibung eingebaut hat. So sagt sie zum Beispiel: „Omar liegt parallel zur Bühnenrückwand in der hinteren, rechten Ecke auf dem Rücken mit dem Kopf rechts. Weißes Licht auf seinen Körper. Er wacht auf, schaut sich fragend um. Wo bin ich? Was ist los? „Doch je mehr sie beschreibt desto klarer wird mir, dass genau diese Interpretationen, vereinzelt gestreut, mir helfen, der Performance zu folgen. Letztendlich hätte ich mir sogar noch mehr gewünscht. Ich bin froh, dass Svantje nicht nur beschreibt, welche Körperteile sich bewegen. Sie verwendet auch sehr schöne Bilder, darunter „mit den Armen seitlich ungelenk fuchtelnd, als ob er Insekten vertreiben möchte“, „flirrende Finger wie ein Harfenspieler“ und „Bewegung wechselt immer vom linken auf den rechten Fuß, ähnlich dem russischen Kasatschok- Tanz“. Diese Beschreibung ruft Bilder in mir hervor, ohne dass ich mich lange danach noch frage, was eigentlich passiert und wie das zu interpretieren ist. Davon hätte ich mir noch ein wenig mehr gewünscht.
Einige Formulierungen waren wiederum weniger eindeutig, zum Beispiel „wobei er mit einem Bein Schwung nimmt indem er es anwinkelt“. Ich bin kein großer Fan von angewinkelten Gliedmaßen in einer Audiodeskription, weil es meiner Meinung nach zu technisch klingt. Ich finde es ebenfalls schwierig, wenn mehrere Angebote für ein Bild gemacht werden, wie hier: „Versuch, etwas abzuschütteln, loszuwerden, von sich abzureißen.“ Eine Formulierung genügt vollkommen und ist eindeutiger. Das sind allerdings Kleinigkeiten. Alles in allem kann ich sagen, dass ich bei dieser Beschreibung zum ersten Mal das Gefühl hatte, die Audiodeskription für ein Tanzstück geht in die richtige Richtung, wobei ich dazu sagen will, dass das Stück kurz war, nur einen Darsteller hatte und der sich relativ wenig bewegt hatte und sich zudem offenbar an das gehalten hatte, was im Video zur Vorbereitung gezeigt wurde. Unter diesem Aspekt fand ich es fantastisch.
Wenn ihr wissen wollt, wie es sich anhört, wenn Po und Kopf ein angeregtes Gespräch miteinander führen, freut euch auf Teil 2 dieses Blogposts, in dem es um die Performance „Soliloque Dansé“ geht.
Unser Newsletter rettet euch vor kultureller Langeweile
Mehrmals monatlich halten wir euch über die aktuellen Vorstellungen mit Audiodeskription auf dem Laufenden. Hier geht’s zum Newsletter.