Bei einer Audiodeskription steht die Sprecherin oder der Sprecher im Vordergrund, den man letztlich im Ohr hat. Dass mehrere Personen an der Erstellung der Audiodeskription beteiligt sind, bekommt man eher am Rande mit. Umso spannender ist es, einmal zu hören, wie der Job einer blinden Co-Autorin für Audiodeskription aussieht.
In diesem Blog habe ich bereits mehrmals das Vergnügen gehabt, mit der blinden Künstlerin Silja Korn Interviews zu führen. Wir haben bereits über Inklusion in Zeiten von Corona und analoge und digitale Barrierefreiheit gesprochen. Diesmal frage ich Silja darüber aus, wie sie Co-Autorin für Audiodeskription wurde.
Lavinia: Was war das letzte Theaterstück, an dem du mitgearbeitet hast?
Silja: Das letzte Theaterstück war „Ein Sommernachtstraum“. Das war sehr gut. Wir waren in der Schweiz. Ich konnte alle Kostüme anfassen und die Bühne begehen. Dadurch war es auch leichter, die Audiodeskription zu erstellen als beispielsweise bei „Arise Grand Show“ im Friedrichstadt-Palast Berlin, wo wir die Bühne nicht begehen konnten.
Lavinia: Das klingt aufwändig, extra in die Schweiz zu fahren?
Silja: Mit dem Zug kommt man schnell dort hin, aber das Problem ist die Deutsche Bahn. Plötzlich fuhr die eine Linie nicht. Dann mussten wir alle in einen anderen Zug umsteigen. Dort war es so voll, dass wir gar nicht richtig arbeiten konnten. Nach dem Frühstück am nächsten Tag haben wir dann das Video angeschaut und sind vom Hotel aus zum Theater gegangen. Also ich habe von der Schweiz nichts gesehen, nur Hotel und Theater.
Ansonsten war das Theaterstück schön. Auch wenn ich es nicht mit Audiodeskription gehört hatte, konnte ich der Handlung einigermaßen folgen, weil ich mich vorher informiert hatte, was darin passiert. Ich bin auf der Webseite des Schauspiel Basel gewesen und habe mir deren Podcast angehört. Jutta hatte ein Kinderbuch zu „Ein Sommernachtstraum“ geholt. Das hat sie mir vorgelesen und somit hatten wir viele Informationen.
Lavinia: Was war dein erster Zugang zum Theater?
Silja: Ich bin auch ohne Audiodeskription schon sehr gerne ins Theater gegangen.
Ich hatte eine Freundin, die leider jetzt verstorben ist, mit der ich regelmäßig in sämtliche Theater in Berlin gegangen bin.
Als ich gehört habe, dass es Audiodeskription für Theater geben soll, war ich gleich bereit, mitzumachen. Ich habe bereits Audiodeskription fürs Fernsehen gemacht und fand, dass es im Theater bei manchen Stücken auch wichtig wäre.
Lavinia: Weißt du noch, wann du das erste Mal von Audiodeskription gehört hast?
Silja: Das war 1993. Da fing es fürs Fernsehen an und bald gab es auch Audiodeskription im Kino. Immer wenn es wieder neue Filme im Kino gab, bin ich hingegangen, selbst wenn ich dachte, der Film ist nicht mein Fall. Ich fand es einfach schau, diese Möglichkeit zu haben, endlich alles zu erfahren. Vorher hat mein Mann oder meine Freundin mir ins Ohr geflüstert, was passiert. Manchmal habe ich es nicht verstanden, weil es zu leise geflüstert war oder sich die anderen Leute aufgeregt haben. Einmal wären mein Mann und ich fast aus dem Kino geworfen worden, weil er geflüstert hat.
Lavinia: Wie hat man damals Audiodeskription gehört?
Silja: Es war wie heute im Theater. Es gab einen Kopfhörer mit Sender und dann wurde live eingesprochen. Irgendwann gab es die Live-Variante nicht mehr, aber man hatte immer noch einen Kopfhörer mit Sender. 2013 kam die Greta-App, mit der man sich die Audiodeskription selbst aufs Handy herunterladen konnte.
Lavinia: Weißt du noch, was dein erstes Theaterstück war, an dem du an der Audiodeskription mitgearbeitet hast?
Silja: Ich glaube, das war „Max und Moritz“ oder „Hamlet“. Zum ersten Mal habe ich in Leipzig von Theater mit Audiodeskription erfahren. Wir sind mit dem Blindenverein hingefahren. Imke Baumann war auch dabei. Sie sagte, dass sie sich dafür stark machen möchte, dass auch die Theaterhäuser in Berlin ihre Stücke mit Audiodeskription anbieten. Sie hat gefragt, ob mich das interessieren würde und so kam es zustande.
Lavinia: Wie lange hattest du davor schon fürs Fernsehen beschrieben?
Silja: Ich habe im November 2014 bei der Deutschen Hörfilm gGmbH angefangen. Ich hatte mich schon einmal 2009 beworben, aber da hatten sie schon genügend. 2014 fragten sie nach, ob ich noch interessiert wäre. Ich sagte: „Ja klar!“ Dann habe ich angefangen, mit ihren Mitarbeitern an der Audiodeskription zu arbeiten.
Lavinia: Gab es eine Einführung in die Erstellung einer Audiodeskription?
Silja: Die anderen Mitarbeiter haben mich eingeführt. Ich musste erstmal lernen, zu sagen, was ich nicht verstehe und erklärt haben möchte. Das habe ich mich vorher nicht getraut, denn die Schreiberinnen und Schreiber waren schon mehrere Jahre dort, und ich war ganz neu. Ich musste zuerst Vertrauen zu mir und ihnen fassen. Wenn ich dann die Filme im Fernsehen gehört habe, dachte ich manchmal: „Oh nein, da hätte ich doch mehr auf meinen Vorschlag drängen sollen.“ Dadurch wurde es immer besser.
Ich sollte mir auch Filme anschauen, die andere gemacht haben und aufschreiben, was gut und was weniger gut war. Somit wurde ich immer mehr sensibilisiert
Lavinia: Du sagst also, dass es besonders wichtig für eine blinde Co-Autorin ist, Vertrauen in sich selbst und die Beschreiberin zu haben?
Silja: Es ist wichtig, hinter dem zu stehen, was man sagt. Einmal ist es mir passiert, dass ich nicht bemerkt habe, dass wir einen Namen in einem Film vertauscht hatten. Einem blinden Zuschauer ist das aufgefallen, und er hat es angesprochen. Das war natürlich hinterher peinlich.
Deswegen versuchen wir, immer konzentriert zu sein. Das muss man auch erst lernen, weiterhin zuzuhören und nicht abzuschweifen. Daran habe ich gemerkt, wie wichtig es ist, dass die Bilder sehr gut erklärt werden, damit du nicht anfängst zu überlegen. Sonst bekommst du wichtige Details nicht mit, auch während du an der Audiodeskription arbeitest.
Lavinia: Wo gibt es noch Verbesserungsbedarf im Theater mit Audiodeskription?
Silja: Ich fände es gut, wenn Audiodeskription nicht mehr so eine Heimlichkeit wäre. Natürlich kann ich verstehen, dass manche Menschen sich gestört fühlen, wenn sie während eines Stücks plötzlich jemanden beschreiben hören. Man könnte aber einen Raum schaffen, der im Theatersaal ist und wo die Beschreiberin oder der Beschreiber sitzt. Die Leute müssen sie ja nicht hören, aber sie können sie sehen. Ich finde es gut, wenn sie genauso sichtbar sind wie die Gebärdendolmetscher. Gut wäre es auch, wenn die Audiodeskription im Stück integriert wird.
Ich hoffe, dass die Menschen so viel Offenheit im Theater erfahren, dass sie es irgendwann genauso wichtig finden, dass jeder Mensch ins Theater kommt, seien es Sitzplätze für Rollstuhlfahrer, Audiodeskription für mich, Gebärdensprache oder leichte Sprache. Es ist schwierig, an so viele Sachen zu denken, aber ich weiß, dass es möglich ist. Man muss es nur wollen und einplanen.
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