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Zwanzigster Deutscher Hörfilmpreis

Posted in Veranstaltungsbericht

Der „Deutsche Hörfilmpreis“ wird zwanzig Jahre alt. Zu diesem Anlass gelingt es mir gerade noch so, mich in ein Abendkleid mit viel Stretch zu quetschen. Ich bin inzwischen im siebten Monat schwanger, und wer weiß, wann ich wieder die Gelegenheit habe, ein Abendkleid zu tragen? Neben den vielen bekannten Gesichtern oder vielmehr Stimmen aus Film, Fernsehen Blindenvereinen und Politik freue ich mich vor allem über die Häppchen, die auf unsichtbaren Tellern in fünfminütigen Abständen auf mich zugeschwebt kommen. An diesem Abend findet die Preisverleihung in den Bollehöfen in Alt-Moabit statt. Sechsmal wird der Preis heute vergeben. Dazwischen hören wir einige Reden, Musik von „Regener Pappik Busch“, Laudatios bekannter Stimmen, die Moderation des unverkennbaren Steven Gätjen und eine Live-Beschreibung von Anke Nicolai, die an einem kleinen Tisch auf der Bühne sitzt. Um 20:00 Uhr geht der Vorhang auf.

„Um Filme zu lieben, muss man sie nicht sehen“

Anke Nicolai beginnt mit der Beschreibung der Bollehöfe, der Bühne und der Musik-Band. Die Raumbeschreibung ist so detailliert, dass ich nur mitbekomme, dass es Pilaster gibt und einen lilafarbenen Teppich. Spannender finde ich die Beschreibung der Band: drei ältere Herren, zwei mit Brille, der Dritte mit Glatze. Empörte Widerworte steigen auf Seiten des kahlköpfigen Bandmitglieds auf. Ankes Antwort: „Ich sage das, was da ist … oder auch nicht mehr.“

Kurz darauf betritt Steven Gätjen die Bühne, und bedankt sich, dass er inzwischen Bestand des „Deutschen Hörfilmpreises“ ist, weil er immer noch der Günstigste zu sein scheint, und vielleicht auch weil er, seiner Beschreibung zufolge, in einem Tweet-Ensemble und mit seiner sportlichen Figur viel herzugeben scheint. Ich freue mich besonders darüber, seine Stimme zu hören.

Nach der Begrüßung durch Steven bittet er unter anderem die Staatsministerin für Kultur und Medien Claudia Roth auf die Bühne. Sie war lange Jahre Jurymitglied des Hörfilmpreises, und obwohl sie es inzwischen nicht mehr ist, macht sie sich immer noch für Audiodeskription stark. Sie beschreibt die „Adele“ als „wichtigster, schönster, bedeutendster Filmpreis in Deutschland“ und endet mit: „Es müsste selbstverständlich sein. wenn das die Privaten immer noch nicht verstanden haben, dann „shame on them“!“ Rasender Applaus folgt auf ihre Worte.

Auf Talks von Claudia Roth und der „Aktion Mensch“ als Hauptförderer sowie der Vorstellung der Jury-Mitglieder folgen Glückwünsche unter anderem von Ernie aus der Sesamstraße, und dann startet endlich die Preisverleihung.

And the winner is…

Die erste Adele wird in der Kategorie „Kinder und Jugendfilm“ vergeben. Sie geht an „Ein Känguru wie du“. In diesem Film treffen zwei Katzen auf ein homosexuelles Känguru und müssen ihre Vorurteile überwinden. Das Besondere an diesem Film ist, dass die Audiodeskription von einer Zwölfjährigen eingesprochen wurde. Anke Nicolai zufolge, die den Text der Audiodeskription geschrieben hat, sollten „Kinderfilme viel öfter von Kindern eingesprochen werden“.

In der zweiten Kategorie „Filmerbe“ räumt der Film „The Million Dollar Hotel“ von Wim Wenders ab. Es geht um eine Liebesgeschichte in Los Angeles, die sich in einem alten heruntergekommenen Hotel abspielt. Die Audiodeskription wurde von Nadja Schulz-Berlinghoff eingesprochen, eine Stimme, die wir auch in Theaterstücken wie „Bella Figura“, „Max und Moritz“ und „Jenufa“ genießen durften. Die Laudatio wird übrigens von Reiner Schöne gesprochen, dessen Stimme ich vor allem als Darth Vader wiedererkenne.

In der Kategorie „Dokumentationen“ gewinnt „Der Tunnel der Freiheit“. Der Film handelt von dem Bau eines Tunnels aus der DDR 1962. Die Herausforderung für die Audiodeskription besteht darin, dass der Film immer wieder zwischen Zeitebenen springt. Mal verfolgt er den Bau des Tunnels in der Vergangenheit, mal verfolgt er den damals geflüchteten Markus Vetter in der Gegenwart. Die Audiodeskription wird als feinfühlig und authentisch beschrieben.

Als nächstes ist die Kategorie „Kino“ an der Reihe. Es gewinnt der dänische Film „Der Rausch“ von Tomas Winterberg mit Mads Mikkelsen. Vier Lehrer versuchen ein Experiment, wonach man erst nach einem gewissen Alkoholpegel zu seinen Bestleistungen fähig ist. Die Herausforderung für die Sprecherin der Audiodeskription besteht darin, den Stimmungswandel der Figuren hörbar zu machen. Im Kontrast zu den männlichen Protagonisten ist die Stimme der Audiodeskription weiblich. Produziert wird die Audiodeskription von „Kinoblindgänger e.V.“. Eine Adele wird somit von Barbara Fickert entgegengenommen, die wir als Blinde Autorin für Audiodeskription auch aus Stücken wie „Don Quijote“ kennen.

In den letzten Jahren und durch den Lockdown vorangetrieben, ist eine neue Kategorie aufgetaucht – „TV-Mediatheken und Streaming“. Es gewinnt „Lieber Thomas“, ein Drama, das das Leben des Schriftstellers und Filmemachers Thomas Brasch verfolgt. Die Herausforderung der Audiodeskription war der Sprung zwischen Realität, Traum und Fiktion, was ihr auf facettenreiche Weise gelungen ist.

Zuletzt und nach drei Stunden sehnsüchtig erwartet, wird der Gewinner des Publikumspreises bekanntgegeben. Der Gewinner mit 12 % der Stimmen ist: „Die Toten von Marnow“.

„Wir feiern immer mehr die, um die es geht: Das Audiodeskriptoren-Team!“

Der Abend schließt mit Statements des Behindertenbeauftragten Jürgen Dusel und des DBSV-Geschäftsführers Andreas Bethke. Dusel wünscht sich, dass Audiodeskription in Zukunft auch bei den privaten Fernsehsendern verpflichtend wird. Bethke wünscht sich, dass viel mehr Filme mit Audiodeskription in den Apps angeboten werden. Zum Schluss geht ein großes Danke an Anke und an die beiden Gebärdendolmetscherinnen und Gebärdendolmetscher, die den Abend begleitet haben.

Nach diesem dreistündigen Event ohne Pause bin ich zum einen erfüllt und zum anderen ermattet. Antipasti und ein, zwei, aber bestimmt nicht mehr als zehn Kekse gönne ich mir noch, bevor ich mich auf den Heimweg mache. Ich habe es genossen, mich an diesem Abend im Rahmen meiner Möglichkeiten elegant anzuziehen und die Errungenschaften der letzten zwanzig Jahre im Bereich Audiodeskription zu ehren. Im Bereich Film und Fernsehen geht es mit großen Schritten voran. Mein Wunsch wäre es, dass wir im Theaterbereich Vollgas geben, um diesen Vorsprung einzuholen. Wenn es soweit ist, würde ich zu einem Keks oder zwei oder drei auch nicht nein sagen.

Die gesamte Preisverleihung könnt ihr hier einsehen bzw. einhören

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