Direkt zum Inhalt

Richtlinien für die Audiodeskription von Performances

Posted in Theaterrezension

Ich habe mich in vielen Blogbeiträgen darüber ausgelassen, warum ich eine Audiodeskription grandios, die andere allerdings kompliziert, schwierig zu folgen oder einem Fußballkommentar gleich empfinde. Seit einiger Zeit bin ich als blinde Co-Autorin für Audiodeskription in der freien Szene tätig. In dieser Zeit habe ich einige tolle Wortwendungen gehört und einige, die mir wenig bis gar nichts sagen. Viel ist von dem Stück abhängig, anderes von der Wortwahl der Audiodeskription und für wieder anderes brauche ich dringend eine Tastführung. Heute möchte ich mit euch einige Kriterien teilen, nach denen ich Audiodeskriptionen redigiere – kein Anspruch auf Vollständigkeit.

Verben statt Adjektive

Mir ist aufgefallen, dass viele Autorinnen und Autoren für Audiodeskription in der freien Szene gerne auf Adjektive wie „anmutig“, „ausdrucksvoll“, „nachdenklich“, etc. zurückgreifen. Ich möchte Adjektive nicht diskriminieren, aber wenn es darum geht, Bewegungen zu beschreiben, bin ich immer dafür, eher auf eine gute Variation von Verben als auf Adjektive zu achten. Allzu oft höre ich das Wort „bewegen“, was leider eines der unkonkretesten Verben ist, wenn es darum geht, eine spezifische Bewegung zu beschreiben. Zwischendurch höre ich jedoch wundervolle Verben wie „wippen“, „krabbeln“, „schwanken“, „schlurfen“, „schlängeln“, etc. Bei diesen Wörtern habe ich ein klares Bild vor Augen, ohne dass die oder der Beschreibende zu viel interpretiert. Wenn ich hingegen ein Adjektiv in einem Satz wie „Er wirkt nachdenklich“ höre, werde ich selbst nachdenklich. Warum sieht er nachdenklich aus? Sind seine Augenbrauen zusammengezogen? Sind seine Lippen geschürzt? Kratzt er sich den Kopf oder legt die Hand ans Kinn? Bei einem Verb stelle ich mir diese Fragen nicht.

Verwendet Adjektive

Nach dem vorherigen Abschnitt mag euch diese Überschrift verwirren. Eben habe ich noch geschrieben, Verben statt Adjektive und jetzt schreibe ich, verwendet Adjektive? Ich habe nichts dagegen, dass die Autorinnen und Autoren Adjektive benutzen, insofern sie weitere Details einbauen. Zum Beispiel: „Sein Gesichtsausdruck wirkt nachdenklich. Er hat das Gesicht in eine Hand gestützt und die Augenbrauen zusammengezogen.“ Auf diese Weise kann ich verstehen, warum die Autorin oder der Autor die Bewegung so interpretiert. Dieses Mittel würde ich jedoch sparsam einsetzen, weil es mehr Zeit in Anspruch nimmt als die reine Beschreibung einer Bewegung. Trotzdem kann die Bedeutung der Bewegung dadurch klarer gemacht werden. Hier muss nur darauf geachtet werden, dass die Interpretation der Autorin oder des Autors mit der Performance übereinstimmt.

Nicht zu viel sprechen und bitte in die Lücken

Das gilt wohl für jede Audiodeskription, ist aber besonders in einer Performance schwer durchführbar. Oft sprechen die Beschreibenden fast ununterbrochen, besonders, wenn in einer Performance nicht gesprochen wird. Oft behalten sie dabei auch den gleichen Tonfall und die gleiche Geschwindigkeit bei. Wenn Sprache in einer Performance auftaucht, wird sie in vielen Fällen übersprochen. Ich sehe ein, dass es schwierig ist, in einer teilweise oder komplett improvisierten Performance auf die Sprechlücken zu achten. Auf der anderen Seite verstehe ich weder die Audiodeskription noch das gesprochene Wort, wenn über einen längeren Zeitraum gleichzeitig gesprochen wird. Insofern möglich sollte nur bei Wiederholungen übersprochen und die Sprechgeschwindigkeit variiert werden. Die Audiodeskription ist für mich Teil der Performance und darf gerne spannend und abwechslungsreich präsentiert werden.

Abstrakte Sprache durch konkrete Bilder ersetzen

Leider höre ich immer noch oft abstrakte Phrasen wie „geometrische Figuren“, „die Finger manipulieren“ oder „Bewegungsqualitäten“. Im Probenprozess einer Performance mögen diese Formulierungen Sinn ergeben. In einer Audiodeskription reißen sie mich aus der Performance heraus. Während ich noch darüber nachdenke, welche geometrische Figur gemeint sein könnte oder wie zum Henker ein manipulierter Finger aussieht, verpasse ich den nächsten Teil der Beschreibung. Mündliche Sprache ist generell flüchtig. Ich höre die Beschreibung nur in dem Augenblick, in dem ich die Stimme der Autorin oder des Autors höre. Ist die Sprache abstrakt oder jargonhaft kann ich sie nicht nachvollziehen und nicht im Gedächtnis behalten. Bilder, Vergleiche, Wiederholungen und Rhythmen hingegen erleichtern mir das Erinnern einer Audiodeskription. Diese Beschreibung ist konkret: „Sie schwebt über den Teppich mit ausgebreiteten Armen wie ein Schwan.“ Das ist nicht konkret: „Sie geht diagonal nach rechts. Ihre Arme sind im rechten Winkel abgestreckt.“

Richtungsangaben an Kulissen festmachen

Wenn Adjektive sparsam eingesetzt werden sollten, dann gilt das für Richtungsangaben wie „links“, „rechts“, „vor“ und „zurück“ umso mehr. Sie wirken konkret, sind es aber nicht zwangsläufig. Wenn ich einer einstündigen Performance lausche, in der die Beschreiberin oder der Beschreiber immer wieder betont, dass die Performerin von links nach rechts geht oder von vorne nach hinten, frage ich mich, wo der Ball ist, denn es klingt tatsächlich eher nach einem Fußballkommentar als nach einem Kunstwerk. Wenn möglich höre ich lieber, worauf sich die Performerin genau zubewegt. Das setzt natürlich voraus, dass man in der Tastführung und Bühnenbeschreibung vorher etabliert hat, welche Bühnenbestandteile sich wo befinden. Zum Beispiel: „Sie trippelt auf den Esstisch zu.“ Diese Formulierung erfordert weniger Gedankenkraft meinerseits, weil ich weiß, dass der Esstisch links am Bühnenrand ist. Zudem handelt es sich um einen konkreten Gegenstand, den ich im Bestfall sogar schon betastet habe. Bei „links“ und „rechts“ brauche ich länger, um mir vorzustellen, wo die Performerin gerade ist. Eine Ausnahme wäre, wenn sie mit einem Rhythmus verbunden werden kann. Zum Beispiel: „Sie wiegt sich von links nach rechts, links und rechts, links und rechts.“ Um die Geschwindigkeit einer Bewegung darzustellen, kann das ein hilfreiches Mittel sein.

Fazit

All diese Punkte sind Richtlinien, die ich im Laufe der Zeit entdeckt oder von anderen Autorinnen und Autoren für Audiodeskription aufgeschnappt habe. Dieser Beitrag ist weder eine vollständige Liste noch sind die Punkte nach Wichtigkeit geordnet. Letztendlich muss man für jede Performance von vorne anfangen und die Karten neu mischen.

Unser Newsletter rettet euch vor kultureller Langeweile

Mehrmals monatlich halten wir euch über die aktuellen Vorstellungen mit Audiodeskription auf dem Laufenden. Hier geht’s zum Newsletter.

Relevante Links