Ein Abend voller Kämpfe gegen Riesen und Heerscharen, die sich als Windmühlen und Viehherden entpuppen, eine fantasievolle Reise zweier trauriger Gestalten, die sich ihr Leben in schillernden Farben ausmalen. Das ist „Don Quijote“ von Jakob Nolte nach den Romanen von Miguel de Cervantes am Deutschen Theater Berlin am 25. Februar 2020. Don Quijote gespielt von Ulrich Matthes zieht mit seinem redegewandten Knappen Sancho Panza gespielt von Wolfram Koch durch die Weltgeschichte auf der Suche nach Abenteuern, die in den meisten Fällen fatal für ihn ausgehen. Gemeinsam mit ihrem stattlichen Ross Rosinante, das beim genauen Hinsehen nichts weiter als ein Einkaufswagen ist, ziehen sie von eingebildeter Schlacht zu eingebildeter Schlacht. Dabei erinnern sie stark an zwei Obdachlose, die sich die traurige Realität durch die Geschichten von ihren Abenteuern schön zu reden versuchen.
Wie ich dem Theater aufs Dach steige
Die Tastführung ist wie beim „Kleinen König Dezember“ in mehreren Etappen aufgebaut. Wir treffen uns zwei Stunden vor Stückbeginn und betreten die Bühne vom Seiteneingang. Dort steht zunächst einmal nur ein quadratischer Container aus Holz, den die beiden Schauspieler während des Stücks immer wieder über die Bühne ziehen und als Schauplatz für ihre Abenteuer verwenden. Die Seiten lassen sich herunterklappen und ich zumindest lasse es mir nicht nehmen, dem Theaterteam über eine Leiter aufs Dach zu steigen. Ich bin froh, dass es überhaupt etwas auf der Bühne gibt. Moderne Theaterstücke weisen oft ein derart karges Bühnenbild auf, dass sich eine Begehung im Prinzip erübrigt. Auf der anderen Seite ist das ein Vorteil für die Audiodeskriptorin, die dann natürlich weniger beschreiben muss. An drei Tischen sind Requisiten und Kostüme aufgebaut. Besonders lebensecht ist der Bauch von Sancho Panza, die von der Audiodeskriptorin Charlotte Miggel völlig zurecht als Plauze betitelt wird. Wolfram Koch selbst führt die Kostüme, einen metallenen Helm, den Handschuh von Don Quijote, ein Kettenhemd und dessen fantasievollen Helm vor, der eigentlich aus einem Basecap besteht, das mit Blumen geschmückt ist.
Nicht unwesentlich ist auch das sogenannte Ross des Ritters, in dieser Inszenierung ein Einkaufswagen, gefüllt mit allerlei Schnickschnack wie Decken, eine Rüstung, eine Trompete, Gummihandschuhe usw. Die letzte Station besteht aus einem Tisch mit mehreren Instrumenten wie einem Handscheinwerfer, einem rostigen Schwert und einer Lanze, die eigentlich nur ein über vier Meter langer Teleskopstab ist. Dass sowohl der Dramaturg und ein Schauspieler sich die Zeit nehmen, um die Requisiten und das Bühnenbild zu erklären, finde ich lobenswert. Auf der anderen Seite wurde während der Tastführung auch erklärt, was das Bühnenbild genau repräsentiert und wie das Stück endet, was ich als jemand, der das Stück bis dato nur vom Namen her kannte, nicht wissen muss. Das war aber kein großer Spoiler und alles in allem bin ich froh um die liebevoll organisierte Tastführung.
Eine Audiodeskription, die Fantasie zur Wirklichkeit macht
„Don Quijote“ ist das perfekte Stück für Audiodeskriptionen. Es gibt nur zwei Schauspieler. Das Bühnenbild ist karg, die Kostüme prägen sich schnell ins Gedächtnis ein. Trotzdem wüsste man an vielen Stellen nicht, was passiert und würde sich ob des anhaltenden Gelächters schnell ausgeschlossen fühlen, wäre da nicht die bildhafte Beschreibung von Charlotte Miggel. Ihre angenehme und ungehetzte Stimme fügt sich nahezu perfekt in das Bühnengeschehen ein. Fast kommt es einem so vor, als wäre die Audiodeskription von Anfang an mitgedacht worden. Die Beschreibung, wie sich Sancho Panza alle möglichen Gegenstände in seine viel zu enge Leggings stopft und sie immer wieder bis zur Brust über seinen dicken Bauch zieht, stelle ich mir auf diese Weise erzählt fast lustiger vor, als wenn ich es sehen würde. Nur einige seltene Male spricht Charlotte über die Dialoge und lässt mit der lustigen Pointe auf sich warten. In den meisten Fällen ist ihre Beschreibung aber punktgenau, eindeutig und noch dazu so lebhaft, dass ich mir das Stück gar nicht ohne vorstellen könnte. Ihre Stimme und Sancho Panzas pointenreiche Erzählweise sind für mich die Highlights an diesem Abend.
Eine nahezu perfekte Audiodeskription
Wenn ich vom Zusammenspiel zwischen Audiodeskription, Tastführung und Schauspiel ausgehe, gefällt mir „Don Quijote“ von den im Berliner Spielplan Audiodeskription bislang gespielten Stücken am besten. Zwar ist es eine sehr lange Vorstellung (ungefähr zweieinhalb Stunden) und mit einer Tastführung, die zwei Stunden vor dem Stück beginnt, ist man hinterher sehr müde, aber den unterhaltsamen Abend, den man zur Belohnung bekommt, ist es in jedem Fall wert. Wer einmal erleben will, wie zwei Schauspieler und eine Audiodeskriptorin einen ursprünglich tausendseitigen figurenreichen Roman auf humorvolle Weise zum Leben erwecken, sollte sich „Don Quijote“ mit Audiodeskription nicht entgehen lassen.
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