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Und jetzt?“ Über Textlabyrinthe und Audiodeskription an der Volksbühne

Posted in Theaterrezension

„Ich will ‚ne Pause!“

Ich habe selten ein Stück erlebt, bei dem der Name derart Programm ist, wie bei „Und jetzt?“ an der Volksbühne. Ich sehe bzw. höre mir das Stück am 12. November 2023 an. Nachdem ich vor einem Jahr bereits „Geht es dir gut?“ von René Pollesch mit Fabian Hinrichs in der Hauptrolle erleben durfte, damals allerdings ohne Audiodeskription, habe ich mir bereits gedacht, dass auch dieses Stück mehr als ein bisschen Hirnschmalz erfordert, nichtsdestotrotz unterhaltsam ist, ein großes Fragezeichen hinterlässt und laut ist. Zumindest Letzteres wurde mir bereits vorher angekündigt. Was den Hirnschmalz angeht:  Das konnte ich mir bereits von der Beschreibung des Stückes auf der Webseite der Volksbühne herleiten. Statt einer schnöden Handlungszusammenfassung kann man hier nämlich einen Textauszug aus dem Stück lesen, in dem sich zwei Figuren ausgiebig über Kaffeepausen unterhalten. Und jetzt? Das frage ich mich bereits im Voraus. Ob und wie diese Frage beantwortet wird, erfahrt ihr, wenn ihr euch traut, weiterzulesen.

Verwirrt verlasse ich den Saal

In „Und jetzt“ philosophieren sich drei Männer für vierundneunzig Minuten durch alle möglichen Themen, vom petrolchemischen Kombinat Schwedt über Pausen, absolute Zufälle und Situationismus bis hin zu Arbeitertheatern in der DDR. Letzteres ist dann auch der theaterhistorische Hintergrund, vor dem dieses Stück stattfindet. Die drei Darsteller sind Franz Beil, Milan Peschel und Martin Wuttke. Sie spielen drei Mitarbeiter des petrolchemischen Kombinats Schwedt, die 1968 Gerhard Winterlichs „“Horizonte“ proben, das auf Shakespeares „Ein Sommernachtstraum“basiert  und nach der Ausstrahlung im DDR-Fernsehen an die Berliner Volksbühne kam. Zwischen den langen Textpassagen, handwerkeln die Drei immer wieder. Donner ertönt, Blitze schlagen ein. Jeder der Drei wird mal getroffen, und am Ende habe ich das Gefühl, selbst vom Blitz getroffen zu sein, so verwirrt verlasse ich den Saal.

Eine Tastführung oder das Angeln nach Requisiten

Um 16:00 Uhr treffen wir uns zur Tastführung. Wir dürfen die Bühne begehen und alles ertasten, was uns in die Finger kommt. Die Bühne ist rund. An der linken Seite befindet sich eine Tribüne aus Holz. Mittig sind drei Becken hintereinander in den Boden gelassen. Im vorderen Becken taste ich mich umher. Hier stehen einige Utensilien aus Metall, alles überaus schmutzig, weil dieses Becken im Verlauf des Stückes in Brand gesetzt wird. Es gibt einen Eimer, einen Werkzeugkasten, einen umgedrehten Stuhl, Metallplatten und vieles mehr. Alles fühlt sich verrostet an. Das zweite Becken ist ein Kinderschwimmbecken. Dort liegen einige Kostüme der Schauspieler. Ich versuche, mir eines mit dem Blindenstock zu angeln. Es fällt herunter. Leider doch kein Souvenir für mich. Das hinterste Becken ist mit Holzbrettern abgedeckt. Es ist das Kleinste. 

Nach dem Bühnenbild betasten wir noch einige Requisiten – ein Schachbrett, eine längliche Holzschale, einen Baseballschläger, Zahnstocher und Essstäbchen. All diese Dinge werden von den Darstellern hergestellt. Zum Schluss bekommen wir noch ein paar Stoffproben in die Hand gedrückt. Die Kostüme dürfen wir nicht betasten.

Es ist eine ausführliche Tastführung, allerdings habe ich, abgesehen von dem Baseballschläger und einigen anderen Dingen, nicht das Gefühl, dass es in diesem Stück auf die Requisiten ankommt.

Keine Ahnung, worum es geht

„Und jetzt?“ ist ein textreiches Stück mit musikalischen und pyrotechnischen Einlagen. Musik und vor allem der Donner sind so laut, dass die meisten Audiodeskriptionshörer*innen weiter hinten platziert werden, damit wir die Beschreibung hören können. Ich hatte keine Schwierigkeiten, aber ich könnte mir vorstellen, dass es weiter vorne schon schwieriger gewesen wäre, die Audiodeskription zu hören. Auf der anderen Seite muss ich mich anfangs sehr konzentrieren, um die Schauspieler zu hören, die ohne Mikrofon sprechen. Das Gute daran ist allerdings, dass ich meistens weiß, wo sie sich auf der Bühne befinden. Nach einer Weile kann ich sie auch an den Stimmen unterscheiden. Martin Wuttkes leicht schusselige Stimme gefällt mir am besten. Ich muss dazu sagen, dass ich die meiste Zeit keine Ahnung habe, worüber sie reden, aber ich könnte trotzdem stundenlang zuhören.

Immer wieder Pause

 

Audiodeskription verschwindet im Textlabyrinth

Die meisten clownesken Einlagen, von denen es einige zu geben scheint, gehen an mir vorbei. Ich höre das Publikum immer wieder lachen. Den Witz verstehe ich allerdings nicht oder vielleicht sind manche Dinge visuell auch einfach lustiger als beschrieben.

Verbale Witze verstehe ich allerdings durchaus. Anfangs finde ich es noch lustig, wenn Martin immer wieder nach einer Pause verlangt und darüber sinniert, warum eine Inszenierung des Sommernachtstraums drei Pausen braucht. Er wiederholt das so oft, dass man einfach schmunzeln muss. Ebenso geht es mir an anderen Stellen. Wenn zum Beispiel immer wieder betont wird, dass die Existenz einer bestimmten Person unwahrscheinlich und ein absoluter Zufall ist. Oder wenn Martin immer wieder vom Blitz getroffen wird, weil Milan und Martin „Macbeth“ auf der Bühne sagen. Irgendwann denkt man sich: „Okay, ich habe es verstanden.“ Aber die fast schon penetrante Wiederholung führt dazu, dass man quasi zum Lachen gezwungen wird.

Die Audiodeskription wurde von Imke Baumann erstellt und gesprochen. Ich kenne Imke hauptsächlich in ihrer Position der Projektleiterin. Ihre Stimme etwas anderes sagen zu hören außer: „Hm, Hm, hm, mach das mal“, ist ungewohnt, aber durchaus erfrischend. Ihre Stimme hat etwas Süffisantes, als würde sie die Audiodeskription ohne Text sprechen und einfach nur kommentieren, was die Schauspieler machen. Groß aufgefallen, ist sie mir allerdings nicht, weil ich meistens damit beschäftigt war, mich in dem Textwust des Stückes zurechtzufinden.

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