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Theater für alle! Wieder nur eine endliche Vision?

Posted in Veranstaltungsbericht

Ein erlebnisreicher „Fachtag Berliner Spielplan Audiodeskription“ endet mit einem Panel zum Thema „Theater für alle! Wieder nur eine endliche Vision?“ Zu Gast sind Marion Mair (Direktorin Vertrieb und Marketing an der Deutschen Oper Berlin), Charlotte Miggel (Audiodeskriptorin), Imke Baumann (Projektleiterin) und Barbara Fickert (Kinoblindgängerin und Autorin für Audiodeskription) dabei. Ein weiterer Gast, Ingo Sawilla vom Berliner Ensemble, musste leider krankheitsbedingt ausfallen, sodass wir an diesem Abend eine durchgehend weibliche Runde sind. Ich moderiere das Gespräch und fange mit etwas Nostalgie an. Ich musste an die Eröffnung des Projekts zurückdenken, insbesondere an Ensemble, das Panel, auf dem alle Gäste ein Schlussstatement anhand eines Gegenstandes abgeben sollten. Da wurden Hoffnungen ausgedrückt, Audiodeskription solle in eine bessere Zukunft mit hoher Frequenz und Qualität reiten oder mein persönlicher Favorit: Audiodeskription solle der Berliner Kulturlandschaft ihren Stempel aufdrücken.  Ob uns das gelungen ist und vor allem, welche Aufgaben uns noch bevorstehen, nachdem in zwei Jahren wirklich Schluss ist und zwar, wie Imke betont, wirklich Schluss, darüber geht es in dieser Diskussion.

Von welchen Erfahrungen können wir profitieren?

Drei Jahre Berliner Spielplan Audiodeskription sind vorbei. Mich interessiert, welche positiven Erfahrungen gesammelt wurden. Wo sind wir heute im Vergleich zu gestern?

Für Charlotte war „Don Quijote“ das erste und gleichzeitig das beste Stück, das sie bisher im Rahmen des Projekts beschrieben hat. Alles, von der Kommunikation mit dem Dramaturgen bis hin zur Zusammenarbeit mit Barbara Fickert als blinde Redakteurin, sei gut gelaufen. Dass „Don Quijote“ bereits viermal mit Audiodeskription gezeigt wurde (darunter einmal im Stream) spricht für sich.

Barbara erzählt, wie genau sie mit Charlotte zusammenarbeitet, wenn sie eine Audiodeskription erstellen. Die Herausforderung sei das Bühnenbild. Für Don Quijote haben sie das Bühnenbild aus einem beweglichen Kasten auf Barbaras Esstisch nachgestellt.

Imke beschreibt einen reibungslosen Ablauf, wie sie es inzwischen in der Kommunikation mit dem Deutschen Theater Berlin erreicht hat. Imke ist als Projektleiterin nicht nur für das Antreiben ihrer Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter zuständig, sondern auch für die Koordination, Auswahl, Verhandlung und Rücksprache mit den Theatern in Bezug auf ihr Programm. Zuerst wird eine Auswahl des Stücks getroffen. Dafür schaut sie sich den Spielplan an und die Verantwortliche am Haus (in diesem Fall Maura Mair) schlägt Stücke vor. Proben und Vorstellungen werden besucht, Termine gefunden. In diesem Zusammenhang ist „Woyzeck Interrupted“ ihrer Meinung nach reibungslos gelaufen.

An der Deutschen Oper war schon 2020 „Die Zauberflöte“ geplant und musste verschoben werden. Anfang 2022 musste sie noch einmal coronabedingt abgesagt werden. Zuerst wollten sie hauptsächlich klassische Opern mit Audiodeskription versehen. In Rücksprache mit Imke haben sie sich aber dafür entschieden, auch unkonventionelle Opern wie „Der Zwerg“ und vor Kurzem „Il Viaggio a Reims“ dazu zunehmen. Letztere war eine besondere Herausforderung, weil es keine Handlung im engeren Sinne gibt. Frau Mair hofft, die beste Produktion mit Audiodeskription kommt noch.

Herausforderung, Hindernisse, Barrieren

Jedes Projekt hat seine Herausforderungen und der Berliner Spielplan Audiodeskription ist keine Ausnahme. Zum Glück kann man aus Fehlern lernen und Herausforderungen gemeinsam angehen.

Für Imke stellt sich immer noch die Frage: Welche Strategien entwickeln wir? Eine Koordination, die zwischen den Häusern stattfindet, wäre ihrer Meinung nach wünschenswert. Eine Terminabsprache zwischen den Häusern ist unabdingbar, damit es nicht fünf Termine in einer Woche gibt. Das gelingt Imke zufolge selbst innerhalb des Projekts nicht immer.

Barbara sieht für das blinde Publikum wenige Herausforderungen. Die Vorstellungen werden rechtzeitig angekündigt. Sie verabredet sich gerne, um ins Theater zu gehen und falls sie vor Ort Hilfe braucht, hätte sie auch kein Problem, danach zu fragen. Jedoch gibt sie zu, dass sie die Ticketreservierung oft ihrem Mann überlässt.

Charlotte fällt keine Produktion ein, bei der etwas schiefgelaufen wäre, wenn man einmal von coronabedingten Ausfällen absieht.  So sei das Stück „Frankenstein“ am Deutschen Theater leider ausgefallen. Eine Herausforderung sieht sie darin, dass die Produktion sich noch verändert, was heißt, dass sich auch ihr Text verändern muss. Bislang hatte sie allerdings keine Probleme damit, die nötigen Materialien für die Audiodeskription zu bekommen.

Eine Herausforderung besteht laut Frau Mair noch in der Kommunikation innerhalb des Hauses. Viele Abteilungen sind an einer Produktion beteiligt und von allen die nötigen Dokumente für die Audiodeskription zu bekommen, ist schwierig. Es braucht unter anderem den Klavierauszug, die Übertitel, eine Requisiten- und Kostümliste. Am Abend selbst braucht es die Zusammenarbeit von Kolleginnen und Kollegen unter anderem Spielleiter, Inspizienten und Besucherservice, um eine Tastführung zu ermöglichen.

Zukunftsaufgaben

Nach den gesammelten Erfahrungen innerhalb des Projekts und den noch existierenden Herausforderungen, geht es nun an konkrete Zukunftsaufgaben.

Um die Qualität der Audiodeskription in Zukunft zu gewährleisten braucht es Charlotte zufolge die Abnahme des Textes durch eine blinde oder sehbehinderte Redakteurin und eine zweite sehende Person. Sie möchte die Zeit haben, eine Strategie für jedes einzelne Stück zu entwickeln, da jede Inszenierung anders ist und die Audiodeskription sich stilistisch und ästhetisch einfügen muss.

Auf die Frage danach, wie und wo Barbara als blinde Besucherin am liebsten von Stücken mit Audiodeskription erfährt und ihre Tickets bekommt, sehnt sie sich nach der guten alten Zeit zurück, in der sie Tickets an der Theaterkasse kaufen konnte. Frau Mair schlägt die Plattform „Berlin-Bühnen“ als Plattform vor, auf der alle Angebote gebündelt werden könnten. Dort können die Berliner Theater bereits alle ihre Stücke einstellen. Imke stimmt dem zu, stellt aber die Frage, ob das Angebot genutzt wird. In jedem Fall bräuchte es eine Kampagne von „Berlin-Bühnen“, die das blinde Publikum über ein mögliches barrierefreies Angebot aufklärt.

Bleibt noch die Frage nach der Finanzierung. Imke ist gegen Privatfinanzierung und teurere Eintrittskarten. Am besten kann sie sich ein Partnerschaftsmodell vorstellen, in dem die Theater Teile ihres Budgets investieren und den Rest aus einem durch das Bundesland bereitgestellten Topf beziehen können.

Eine letzte Frage

Zuletzt habe ich eine Frage, die ich eigentlich Herrn Savilla stellen wollte. Wie schafft man es, eine Infrastruktur zu schaffen, bei der man nicht immer wieder von Null anfangen muss?

Imke zufolge liegt das Problem darin, dass in Theatern eine Art Staffellauf vonstattengeht. Intendanten kommen und gehen und wenn sie gehen, nehmen sie oft die Expertise mit. Es bräuchte eine übergeordnete Organisation, die für Routine auf diesem Gebiet sorgt.

Charlotte ist ebenfalls für ein Kooperationsmodell. Die Häuser sollten zusammenarbeiten, gemeinsam in die Technik investieren und dann vielleicht durch eine übergeordnete Instanz Stücke und Technik koordinieren.

Gemeinsam die Rübe herausziehen

Der Abend endet mit einer kleinen Geschichte zum Thema Zusammenarbeit:

„Großvater hat ein Rübchen gesteckt und spricht zu ihm:
»Wachse, mein Rübchen, wachse, werde süß!
Wachse, mein Rübchen, wachse, werde fest!«
Das Rübchen ist herangewachsen: süß, fest und groß – riesengroß.
Großvater geht, das Rübchen ausziehen:
Er zieht und zieht – kann’s nicht herausziehen.
Da ruft der Großvater die Großmutter.
Die Oma fasst den Opa an,
Der Opa fasst die Rübe an.
Sie ziehen und ziehen – und können’s nicht herausziehen.

Da ruft die Großmutter das Enkelein.
Das Mädchen fasst die Oma an,
Die Oma fasst den Opa an,
Der Opa fasst die Rübe an.
Sie ziehen und ziehen – und können’s nicht herausziehen.

Da ruft das Enkelein das Hündlein.
Das Hündlein fasst das Mädchen an,
Das Mädchen fasst die Oma an,
Die Oma fasst den Opa an,
Der Opa fasst die Rübe an.
Sie ziehen und ziehen – und können’s nicht herausziehen.

Da ruft das Hündlein das Kätzchen.
Das Kätzchen fasst das Hündchen an,
Das Hündlein fasst das Mädchen an,
Das Mädchen fasst die Oma an,
Die Oma fasst den Opa an,
Der Opa fasst die Rübe an.
Sie ziehen und ziehen – und können’s nicht herausziehen.

Da ruft das Kätzchen das Mäuslein.
Das Mäuslein fasst das Kätzchen an,
Das Kätzchen fasst das Hündchen an,
Das Hündlein fasst das Mädchen an,
Das Mädchen fasst die Oma an,
Die Oma fasst den Opa an,
Der Opa fasst die Rübe an.
Sie ziehen und ziehen..
… und haben das Rübchen herausgezogen.“

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