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Ist Audiodeskription Kunst? Eröffnung des Berliner Spielplan Audiodeskription

Posted in Allgemein, and Veranstaltungsbericht

Ist Audiodeskription Kunst?

„Im Publikum sitzen etwa 40 Menschen. Sie schauen auf eine Bühne. Dort sind Stühle aufgebaut und Tische. Auf der Bühne steht eine Frau. Sie hält einen Blindenstock in der Hand und ein Mikrofon. Sie trägt eine schwarze Lederhose, schwarze Schuhe und eine Jacke mit großen schwarzen Kreisen. Sie hat silberne Ohrringe, blonde Haare, etwa Kinn lang. Es ist die Moderatorin, Dörte Maack.“

Am 23.10.2019 eröffnet die blinde Moderatorin Dörte Maack mit diesen Worten die Podiumsdiskussion zur Eröffnung des Berliner Spielplan Audiodeskription. Das Thema lautet „Wie wird Audiodeskription im Theater zum Erfolg“. Dabei werden auch so heikle Fragen diskutiert wie „Ist Audiodeskription Kunst?“ Zu Gast sind Matthias Doepke (Dramaturg, Schauspiel Leipzig), Stephan Steinmetz (Dramaturg, Musiktheater im Revier in Gelsenkirchen), Jan Meuel (dbsv-Projekt „Barrierefreier Zugang zu Audiodeskription“), Roswitha Röding (Autorin und Redakteurin für Audiodeskription). Ich selbst bin ebenfalls auf einem der billigen Plätze auf dem Podium dabei und nutze diese Gelegenheit selbstverständlich zur charmelosen Werbung für unseren Theaterblog und den Theaterhören-Podcast.

Audiodeskription aus Prinzip oder als Grundbedürfnis?

Im Verlauf der Diskussion wird besprochen, warum Audiodeskription im Theater für Blinde so wichtig ist. Geht es hierbei lediglich ums Prinzip oder gibt es ein grundlegendes Bedürfnis nach Theatervorstellungen? Warum überhaupt Theater, wenn es Audiodeskription bereits für Kinofilme gibt?
„Das Theater ist im Vergleich zum Kinofilm lebendiger. Das ist pures Leben. […] Kinofilm ist für mich ’ne Konserve und Theater ist für mich wie Frischobst.“
So beschreibt Roswitha Röding, warum Theater für sie ein viel lebendigeres Medium ist als es ein Kinofilm je sein kann.
Jan Meuel bestätigt: „Es ist einfach so ein Erlebnis im Moment.“

Ist Audiodeskription Kunst?

In Sachen Audiodeskription gehen das Schauspiel Leipzig vertreten durch Matthias Doepke und das Musiktheater im Revier vertreten durch Stephan Steinmetz mit großem Beispiel voran. Ersteres zeigt monatlich eine Vorstellung mit Audiodeskription. Letzteres ist schon seit 10 Jahren dabei. Beide verfügen über feste AudiodeskriptorInnen und blinde bzw. sehbehinderte AutorInnen. Trotzdem wird Audiodeskription in den meisten Fällen nicht durch die Theater selbst, sondern mit externen Mitteln finanziert. Das gilt auch für ein so langjähriges Projekt wie die Audiodeskription des Musiktheaters im Revier. Grund dafür ist, dass Live-Beschreibung oftmals als Service, nicht als Kunst angesehen wird.
Was folgt, ist eine lebhafte Diskussion im Publikum und auf dem Podium. Die Antwort ist einheitlich:
„Es ist ein künstlerischer Beitrag, der dafür sorgt, dass das Kunstwerk im Ganzen wahrgenommen werden kann“ (Matthias Doepke)
„Es ist Teil eines Kunstwerks.“ (Stephan Steinmetz)
„Wir wissen alle, dass Übersetzen ein schöpferischer Akt ist.“ (Publikumsmeldung)
Um auch den letzten Zweifel aus dem Weg zu räumen, meldet sich Anke Nicolai zu Wort, die bereits seit Jahrzehnten als Sprecherin und Audiodeskriptorin tätig ist: „Ja, das ist so. Wir sind Autoren. Seit 20 Jahren bin ich in der KSK [Künstlersozialkasse].“
Audiodeskription ist eine Kunst und zwar eine, die gelernt werden will. Dazu bedarf es zum einen der Mitwirkung von Theatern, die in erster Linie für ein solches Projekt bereit sein müssen. Es braucht zum anderen die Beteiligung und das Feedback von blinden und sehbehinderten ZuschauerInnen, die Zusammenarbeit von blinden und sehenden AutorInnen und gut ausgebildete sprach- und sprechbegabte AudiodeskriptorInnen. Das alles geschieht nicht über Nacht, sondern ist ein langwieriger Prozess, selbst für Häuser, die schon so viel Erfahrung haben wie das Schauspiel Leipzig und das Musiktheater im Revier.

Der Anfang vom Ende oder das Ende vom Anfang?

Am Ende der Podiumsdiskussion lässt Dörte maack alle fünf TeilnehmerInnen in einen Beutel greifen. Darin befinden sich kleine Gegenstände, anhand derer das individuelle Schluss-Statement formuliert werden soll.
Ich bin die Erste und ertaste das glatte Modell eines rechteckigen Holztisches. Ein Bein fehlt. Aus diesem Grund bleibt mir nichts anderes übrig, als festzustellen, dass den Berliner Theatern ohne Audiodeskription auch ein wichtiges Standbein fehlt.
Als nächstes greift Stephan Steinmetz in den Beutel und hält einen Kinderschuh in der Hand. Sein Schluss-Statement: „Fangen Sie einfach mal an!“
Matthias Doepke ertastet ein kleines unbequemes Sofa. Seine Gedanken zur Audiodeskription fasst er daraufhin zusammen mit: „Es muss für uns alle nicht immer der TV-Abend sein […]. Es kann auch ein ganz bequemer Theaterstuhl sein.“
Roswitha Röding hält einen Stempel in der Hand und drückt die Hoffnung aus, „dass das Projekt Berliner Spielplan Audiodeskription der Kultur in Berlin seinen Stempel aufdrückt.“
Zuletzt greift Jan Meuel in den Beutel und holt eine kleine Pferde Figur aus Plastik hervor. Mit diesem Modell, so erhoffe er sich, werden wir bald in bessere Zeiten reiten und auch neben der Frequenz die Qualität von Audiodeskription immer im Auge behalten.
Das letzte Wort an diesem Tag behält die Moderatorin Dörte Maack. Sie zieht noch ein weiteres Objekt hervor und bläst hörbar hinein. Es ist ein Luftballon. Je größer er wird desto klarer werden seine Umrisse. Es ist ein Herz. Als er groß genug ist, lässt sie ihn zerplatzen.
Auf diese Weise endet die Eröffnung und beginnt gleichzeitig das Projekt Berliner Spielplan Audiodeskription mit einem Knall und Konfettiregen.

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