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Der Zwerg mit Audiodeskription: Die Musik rückt in den Hintergrund

Posted in Theaterrezension

Was würdest du tun, wenn dein wahres Ich klein und hässlich ist, du dich aber selbst stark und wunderschön siehst? Mit dieser Frage beschäftigt sich die Oper „Der Zwerg“ von Alexander von Zemlinsky in der Inszenierung der Deutschen Oper Berlin. Die Infantin Donna Clara feiert Geburtstag. Der Sultan schenkt ihr zu diesem Anlass einen kleinwüchsigen singenden Diener, den Zwerg. In den Augen aller ist er klein und hässlich. Da er sich selbst jedoch noch nie im Spiegel gesehen hat, hält er das Lachen, Schmunzeln und den Hohn der Geburtstagsgäste für den Beweis seiner Schönheit und Tapferkeit.

„Ja, ich muss friedvoll sein, da alle lächeln, die mich sehen.“

Als der Zwerg sich letztlich doch in einem Spiegel erblickt, muss er erkennen, dass er nicht nur hässlich, sondern auch unwürdig ist, die Infantin zu lieben. Er nimmt sich das Leben. Die Audiodeskription wird von Anke Nicolai und Romanus Fuhrmann eingesprochen.

Auf der Bühne stehen zwei Zwerge

Der Zwerg ist zwiegespalten. Der „wirkliche“ Zwerg wird von einem kleinwüchsigen Schauspieler verkörpert, der über die Laufzeit der Oper stumm bleibt. Er drückt sich ausschließlich mit Gestiken aus. Der große muskulöse Mann, für den sich der Zwerg hält, wird durch den „singenden Zwerg“ dargestellt. Er fasst in Worte, was sein stummer Teil nur gestikuliert. Ich finde diese Zweiteilung faszinierend, denn sie zeigt, wie tiefgreifend der Unterschied zwischen dem Bild, das wir von uns selbst haben und dem Bild der anderen eigentlich sein kann. Zuerst erscheint der singende Zwerg als eine Art Randfigur. Der Zwerg steht für mich absolut im Mittelpunkt, obwohl er nicht spricht und nur die Stimme des singenden Zwergs zu hören ist. Die Infantin ermutigt den Zwerg, als er davon träumt, ein Ritter zu sein, der sie vor einem Drachen rette. Ab und zu scheint sie das Selbstbild des Zwergs zu erkennen. Das passiert zum Beispiel, wenn der singende Zwerg sie berührt und sie überrascht aufblickt. Dann aber spottet sie wieder über ihn. Der Zwerg hält ihren Spott für wahre Liebe, bis Donna Klara ihre Dienerin auffordert, ihm einen Spiegel zu zeigen. Bis zu diesem Zeitpunkt ist der singende Zwerg immer mehr in den Vordergrund getreten. Eine Spiegelwand fährt herunter und zum ersten Mal erblickt sich der Zwerg. Er verdammt sich. Ein Kampf bricht aus, in dem der singende Zwerg sich auf sein wahres Ich stürzt. Zuletzt bittet er die Infantin: „Sag mir, dass es nicht wahr ist. Sag mir, dass ich schön bin.“
Ihre Zurückweisung gibt ihm den Rest. Der singende Zwerg erwürgt den Zwerg und nimmt sich dadurch selbst das Leben – das Opfer eines verqueren Schönheitsideals.

Der Zwerg und die Prinzessin: Wer ist hier hässlich?

Es ist schon bezeichnend, dass die Anhänger der schönen, adligen Gesellschaft durchweg grausam, eingebildet und oberflächlich sind. Die Prinzessin der Oberflächlichkeit ist die Infantin Donna Clara. Sie animiert den Zwerg, den Ritter zu spielen, macht sich über seine Liebe lustig und fordert ihn sogar auf, sich eine Frau aus ihrem Hofstaat auszusuchen. Er wählt natürlich sie. Sie tanzt mit ihm und schenkt ihm eine weiße Rose. Als sie sich aber genug über ihn lustig gemacht hat, befiehlt sie ihrer Dienerin Ghita, ihm sein Spiegelbild zu zeigen. Auf das Flehen des Zwergs, ihn doch zu lieben, sagt sie: „Lieben kann man nur einen Menschen und du bist wie ein Tier.“
Selbst, nachdem er sich umgebracht hat, findet sie es nur schade, ein Spielzeug verloren zu haben. Kurz darauf zuckt sie mit den Schultern und sagt: „Gut, ich tanze weiter.“ Die Infantin ist letztlich ebenso zweigeteilt wie der Zwerg. Während der Zwerg von allen wegen seiner Hässlichkeit ausgelacht wird, sich aber selbst als schön empfindet, wird die Infantin von allen wegen ihrer Schönheit bewundert, ist aber innerlich flach. Sie erkennt nicht, wer sie selbst ist. Sie stellt sich nicht ihrer eigenen Verantwortung. Das Ende des Zwerges ist auf zweierlei Art tragisch. Zum einen, weil der Zwerg stirbt, weil er die Sicht der anderen als seine eigene annimmt. Zum anderen, weil Donna Klara zur Oberflächlichkeit verdammt wird.

Kompromiss oder Teilung der Audiodeskriptionsspuren?

Wie schon in der „Jenufa“-Oper wird auch „Der Zwerg“ von zwei AudiodeskriptorInnen eingesprochen. Anke Nicolai übernimmt die Bühnenbeschreibung, während Romanus Fuhrmann das Gesungene übertitelt. Die beiden Stimmen lassen sich gut voneinander unterscheiden und vor allem Romanus‘ schauspielerische Leistung ist ein wahrer Ohrenschmaus. Da die Oper jedoch auf Deutsch gespielt wird, stellt sich mir die Frage, ob eine Übertitelung tatsächlich notwendig ist. In meinem Fall kann ich das mit „Ja“ beantworten. Obwohl ich einen Teil des Gesungenen verstehe, gibt es Passagen, zum Beispiel, wenn der Chor singt, denen ich nicht folgen kann. An diesen Stellen bin ich außerordentlich dankbar für Romanus‘ Part. Auf der anderen Seite rückt dadurch die Musik in den Hintergrund. Mir stellt sich die Frage, ob eine Oper eher ihrer Musik oder ihrer Geschichte wegen genossen werden sollte. Natürlich wegen beidem, aber wie lässt sich das in der Audiodeskription umsetzen? Im letzten Theaterclub haben wir über den „Zwerg“ und genau dieses Problem gesprochen. Ein Vorschlag wäre, das Stück einmal mit und einmal ohne Übertitelung anzubieten, sodass diejenigen, die nur wissen wollen, was auf der Bühne passiert, aber nicht, was gesungen wird, eine Möglichkeit haben, die Musik zu genießen. Ein erhöhter technischer Aufwand! Hier zeigt sich, dass es selbst unter blinden und sehbehinderten Zuschauerinnen noch unterschiedliche Bedürfnisse gibt, die in Betracht gezogen werden müssen.

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