Direkt zum Inhalt

Sensibilisierung an der Deutschen Oper Berlin

Posted in Barrierefreiheit im Theater

„Kommen Blinde alleine ins Theater?
Warum gibt es keinen Moment der Stille in der Beschreibung?
Lohnen sich Platznummern in Punktschrift?“

Fragen über Fragen werden in der Sensibilisierungsschulung der Deutschen Oper Berlin am 13. Januar 2022 gestellt und beantwortet. Dabei sind Imke Baumann (Projektleiterin des Berliner Spielplan Audiodeskription) sowie zwei blinde bzw. sehbehinderte Referent*innen – Michael Baumeister und ich. Das Ziel der Sensibilisierung ist dasselbe wie schon in dem Workshop am Berliner Ensemble im Winter 2019, das Servicepersonal auf den Umgang mit blinden und sehbehinderten Opernliebhaber*innen vorzubereiten.

Was ist Audiodeskription?

Diese Frage muss für die meisten Teilnehmerinnen und Teilnehmer erstmal beantwortet werden. Zum Einstieg spielt Imke einen Ausschnitt aus der Oper „Jenufa“, die die Deutsche Oper bereits mehrmals als Stream mit Audiodeskription zur Verfügung gestellt hat. Wie jedes Mal, wenn sehende Menschen zum ersten Mal mit Audiodeskription konfrontiert werden, wundert die Gruppe sich auch hier, dass so viel zwischendurch gesprochen wird. Gleichzeitig gibt es Stimmen, die bemerken, wie sensibel dennoch mit der Musik umgegangen wurde. Imke erklärt, dass dieser Balanceakt in einer Opernbeschreibung besonders herausfordernd ist, weil es nicht nur Dialoge, sondern auch Musik gibt, die zur Geltung kommen sollen. Die Frage, ob man nicht zum Beispiel die Beschreibung am Ende des Aktes weglassen könnte, verneint Michael. Selbst wenn nur gesagt würde, dass man den Orchestergraben sieht und das Bild dunkel wird, sei das doch etwas, das er wissen wolle. Wie sonst sollte man wissen, dass der Akt zu Ende ist?

Foto_Bjarke Walling. Imke Baumann führt Lavinia zu einer Glastür in der Deutschen Oper

Die üblichen Hindernisse

Für blinde Menschen ist der Gang ins Theater oder in die Oper mit Hindernissen verbunden. Doch haben die Einrichtungen einen entscheidenden Vorteil. Sie wissen, dass diese Menschen kommen und können sich vorbereiten. Michael und ich erklären, welche Hindernisse im Alltag auftauchen. Michael erzählt, dass es ihm schwerfällt, in einer Schlange zu stehen. Er weiß nicht, wo das Ende der Schlange ist, kann den Abstand nicht wahren und reißt regelmäßig Absperrbänder um. Darüber hinaus wird er oft missverstanden, weil er einen Sehrest hat und trotzdem auf den Blindenstock angewiesen ist. Wenn er dann ein Fernglas in die Hand nimmt, um die Anzeige auf dem Bahnsteig zu lesen, wird er komisch angemacht.
Wir beiden haben immer wieder Probleme mit Menschen, „die es gut meinen“ und einen irgendwo hin schubsen, ziehen und festhalten. Als ich einmal an der Jannowitzbrücke an einer Baustelle vorbeiging, stürzte eine Frau auf mich zu, packte mich am Arm und fragte, wo ich hinwolle. Kurz darauf kam ein älterer Herr und packte mich am anderen Arm. Auf diese Weise war ich effektiv außer Gefecht gesetzt. Die beiden beratschlagten, was sie mit mir tun sollten, weil ich ja an der Baustelle unmöglich selbst vorbeikommen könne. Nach fünf Minuten konnte ich sie endlich dazu überreden, mich an der Baustelle vorbeizuführen und danach wieder auf freien Fuß zu setzen.

Probe mit den Teilnehmerinnen und Teilnehmern

Mit einer Teilnehmerin üben wir, wie man Hilfe anbieten kann. Sie kommt von vorne, stellt sich vor und bietet Hilfe an. Michael nimmt die Hilfe an und erklärt, wohin er möchte. Das ist alles. Kein ungefragtes Ziehen, kein Schieben ohne Ankündigung von hinten, kein Am-Arm-Packen. Stattdessen eine höfliche und direkte Ansprache mit einer Erklärung, wer man ist und anschließendem Hilfsangebot. Wenn die Hilfe nicht in Anspruch genommen werden will, verzichtet die Teilnehmerin auf weiteres Bedrängen. Dass es unhöflich ist, jemanden von hinten zu erschrecken und ungefragt anzufassen, scheint jedem auf Anhieb klar zu sein. Da frage ich mich, warum es im Alltag dennoch so viele Menschen falsch machen?

Foto: Bjarke Walling. Imke Baumann und Lavinia stehen inmitten der Workshop-Teilnehmer*innen

Führen und führen lassen

Zum Schluss übt die Gruppe, sich gegenseitig zu führen. Zuerst zeigen Imke, Michael und ich, wie es gemacht wird. Der rechte Arm oder die rechte Schulter wird angeboten bzw. die linke Seite, wenn es sich um Linkshänder handelt. Wird der Arm gewählt, soll er entspannt herabhängen und nicht angewinkelt werden. Michael und Imke führen es vor. Ich werde als Vorführmodell benutzt und teilweise zu meinem Erstaunen recht ruppig herumgewirbelt. Die Paare – einer sehend, einer blind – bewegen sich unsicher durch den Raum. Es ist nicht leicht, die Kontrolle abzugeben und darauf zu vertrauen, dass die andere Person einen nicht irgendwo anecken lässt. Tatsächlich kann es durchaus passieren, dass selbst ein erfahrener Begleiter mich gegen ein Schild führt, das er nicht gesehen hat oder in einen Menschen hinein, der sich abrupt bewegt hat. Einmal habe ich einem Begleiter mein Vertrauen verweigert und bin mit dem Blindenstock neben ihm hergegangen, nachdem er mich dreimal hintereinander gegen ein parkendes Fahrrad geführt hatte. In den meisten Fällen komme ich allerdings unversehrt und wohlbehalten dort an, wo ich hinmöchte.

Die Sensibilisierung endet

Blindes Vertrauen aufzubauen zwischen der Deutschen Oper und ihren seheingeschränkten Besucherinnen und Besuchern braucht Zeit. Einige Stolpersteine standen im Weg. Zuerst musste die „Zauberflöte“ im März 2020 abgesagt werden. Jetzt wurde die Zauberflöte verschoben und „Der Zwerg“ coronabedingt abgesagt. Trotzdem wird der Tag bald kommen, an dem die Teilnehmerinnen und Teilnehmer der Sensibilisierungsschulung ihr Knowhow anwenden können.

Unser Newsletter rettet euch vor kultureller Langeweile

Mehrmals monatlich halten wir euch über die aktuellen Vorstellungen mit Audiodeskription auf dem Laufenden. Hier geht’s zum Newsletter.

Relevante Links