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„Die Gewehre der Frau Kathrin Angerer“: Mit Audiodeskription, aber textlastig

Posted in Theaterrezension

Ich bin mal wieder in der Volksbühne. Statt mir den Hintern vorm EM-Spiel Deutschland gegen Spanien plattzusitzen, entscheide ich mich am 5. Juli für das Stück „Die Gewehre der Frau Kathrin Angerer“ von René Pollesch. Nun bin ich kein Fußballfan und nehme deshalb an, die richtige Entscheidung getroffen zu haben. Als ich um 22:00 Uhr wieder aus dem Theater komme, bin ich mir darüber nicht mehr so sicher.

Ein spektakuläres Bühnenbild

Es beginnt, wie immer, mit der Tastführung. Und ich muss sagen, alleine deshalb lohnt sich der Besuch, denn auf der Bühne gibt es so einiges zu sehen und zu fühlen. Zunächst einmal gibt es viele Treppen, allen voran eine Show-Treppe die zum sogenannten „dicken Ding“ in der Mitte der Bühne führt. Das „dicke Ding“ ist eine Art riesige Trommel, eine gigantische Metallkonstruktion, die von vorne wie eine Frontlader-Waschmaschine beschrieben wird. In der Mitte der Trommel befindet sich ein großer Raum, der wie eine Bar mit Stühlen und Tisch eingerichtet ist. Das ist der „Spinning Room“, so genannt, weil er sich drehen kann. Eine fest installierte Kamera vor dem Raum dreht sich mit und erweckt anscheinend den Eindruck, dass die Schauspieler*innen die Wände hochgehen oder oben von der Decke baumeln. Vorstellen kann ich es mir nicht wirklich und den Raum betreten, darf ich leider auch nicht. Dafür bekomme ich wenigstens die Gelegenheit, mir die Metallkonstruktion genauer anzuschauen. Neben dem dicken Ding ist ein gewaltiger Kran. Während der Vorstellung manövriert ein Kranführer eine Kamerafrau über die Bühne. Sie sitzt auf einem wenig vertrauenerweckenden Stuhl und filmt das Geschehen von oben, sodass man zum Beispiel die Tanzgruppe aus der Vogelperspektive zu Gesicht bekommt.

Abseits der Bühne kann ich mir außerdem den Schminkspiegel, die Stühle, wo die Schauspieler*innen ihre Schuhe und Kostüme wechseln und den Fahrstuhl, über den die Kostüme aus dem vierten Stock gebracht werden, anschauen.

Auf die Bühnenführung folgen Stoffproben der Kostüme. Die Kostüme selbst sind offenbar bereits in Gebrauch oder zu wichtig, um angefasst zu werden. Es sind auf jeden Fall ein paar einzigartige Stoffe dabei – geriffelte, samtene, seidige, glitzernde Satinstoffe. Ein ungeplantes Vergnügen taucht in Form einer vorbeieilenden Tänzerin auf, die sich trotzdem genug Zeit nimmt, um mich ihre Frisur betasten zu lassen. Diese ist in Wellen gelegt, was offenbar eine Frisur der 1920er/1930er Jahre war und neben Dauerwelle bei Großmüttern sehr beliebt, die Anfang des letzten Jahrhunderts geboren wurden. Am Ende der Tastführung bin ich bereits voller Eindrücke und Informationen und habe das Gefühl, dass sich der Verzicht auf das Fußballspiel bislang gelohnt hat.

Zum Stück

Ich habe bislang bereits zwei Stücke von René Pollesch an der Volksbühne gesehen – „Geht es dir gut?“ und „Und jetzt?“. Deswegen bin ich nicht überrascht, dass auch „Die Gewehre der Frau Kathrin Angerer“ ein sehr textintensives Stück ist, um nicht sogar textlastig zu sagen. Leider ist es nicht nur textintensiv, sondern auch großteils unverständlich. Das liegt zum einen daran, dass ich mich wirklich anstrengen muss, wenn die Schauspieler*innen außerhalb des Spinning Rooms ohne Mikrofon sprechen und sich dann auch noch wegdrehen. Die Akustik war gelinde gesagt nicht die Beste. Zum anderen folgen die Schauspieler*innen keinem für mich klar erkennbaren dramaturgischen roten Faden.

Es geht um das Jahr 1938. Ein Tanzfilm soll gedreht werden. Gleichzeitig geht es aber auch ums Wrestling und wie inszeniert die Bewegungen im Wrestling sind. Es geht um Schauspielstars und ihre Kurzlebigkeit und um Jesus, der wie ein Schauspieler dem Publikum geopfert wird. Und irgendwie geht es auch um Brecht und sein Stück „Die Gewehre der Frau Carrar“. Sieben Schauspieler*innen und zehn Tänzer*innen stehen auf der Bühne, darunter Martin Wuttke und Kathrin Angerer. Die beiden haben lange Textpassagen, von denen ich oft nur einen Bruchteil verstehe. Martin bringt das Publikum mit seiner zerstreuten Art zum Lachen. So sagt er zum Beispiel, als sich der Spinning Romm zum ersten Mal dreht: „Ich habe mir unter Drehen etwas ganz anderes vorgestellt. Ich dachte, wir drehen hier einen Tanzfilm.“

Derweil sorgt „Kathie“ für schmunzeln durch ihre leicht überforderte schnarrende Stimme. Mit Blick auf die Kamerafrau hoch oben im Krahn: „Mein Nacken ist schon ganz steif.“

Unterbrochen werden die Textpassagen dankenswerter Weise durch klassische oder jazzige Musik aus den 1920er Jahren und dem schmissigen Tanz der Tänzerinnen. Das sind Momente des Aufatmens für mich. Nach zwei Stunden bin ich mehr als bereit, den Theatersaal zu verlassen. Ich komme mir etwas unintelligent und mehr als ein bisschen überfordert vor, nach diesem textuellen Giganten, der so gar keine Rücksicht auf mein Bedürfnis nach Verständlichkeit hat.

Ich klammere mich an die Audiodeskription.

Die Audiodeskription wird an diesem Abend von Imke Baumann eingesprochen. Trotz der lauten musikalischen Einlagen, gelingt es ihr, sich verständlich zu machen. Ich klammere mich förmlich an ihre Beschreibung. Wenigstens der kann ich ungehindert folgen. Stellenweise ist sie wesentlich deutlicher als die Schauspieler*innen. Ich bin dankbar, dass Imke die lauten Musikstellen ansagt. Das eine Mal, als es ihr nicht rechtzeitig gelingt, falle ich vor Schreck fast aus meinem Stuhl. Leider übersetzt die Audiodeskription nicht den Inhalt des Stücks oder beantwortet das große Fragezeichen, das mir sicherlich auf der Stirn geschrieben steht.

Doch lieber Fußball?

Als ich die Volksbühne verlasse, ist das Spiel längst vorbei. Der Stimmung vorm Theater nach zu urteilen, hat Deutschland verloren. Dass ich in der U-Bahn nur Spanisch und sogar einen spanischen Fußballkommentar höre, bestätigt meinen Verdacht. Die Fahrt ist ruhig, was sicherlich anders wäre, wenn Deutschland gewonnen hätte. So bleibt mir die Zeit, um über „Die Gewehre der Frau Kathrin Angerer“ zu reflektieren. Nein, ich bereue nicht, in die Volksbühne gegangen zu sein. Die Tastführung hat sich in jedem Fall gelohnt. Das Stück war herausfordernd und stellenweise lustig. Trotzdem muss ich sagen, dass zweistündige philosophische und zusammenhangslose Gespräche, die sogar den Schauspieler*innen merklich Schwierigkeiten bereiten, nicht mein Fall sind. Wer jedoch an einem Freitagabend noch zum Mitdenken aufgelegt ist, René Polleschs Stücke mag und ein spektakuläres Bühnenbild erleben und tolle Musik hören will, der oder dem kann ich „Die Gewehre der Frau Kathrin Angerer“ ans Herz und ans Ohr legen. Alle anderen sollten vielleicht doch lieber Fußball schauen.

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