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„Arise“: Erfahrungsbericht einer blinden Zuschauerin

Posted in Interviews, and Theaterrezension

Birgit Martini schaut sich zum ersten mal eine Theatervorstellung mit Audiodeskription an. Vor acht Jahren ist sie erblindet. Das hält sie aber nicht davon ab, zu Kulturveranstaltungen zu gehen. Im Blindenhilfswerk Berlin e. V. nimmt sie seit einiger Zeit Punktschriftunterricht und wurde dort auf die Projektwoche „Theater, Theater“ aufmerksam gemacht, die in Zusammenarbeit mit dem Berliner Spielplan Audiodeskription im Februar 2023 stattfand. Ich stellte Birgit einige Fragen dazu, wie ihr die Vorstellung „Arise“ gefallen hat, und muss sagen, dass ich selten so eine positive Rückmeldung bekommen habe. Hier ist das Interview:

Lavinia: Welche kulturellen Veranstaltungen besuchen Sie am liebsten?

Birgit: Ich gehe gerne zu Konzerten, Lesungen und ab und zu auch mal ins Kino, wenn eine Audiodeskription dabei ist oder es ein Kinderfilm mit meinen Kindern ist.

Lavinia: Neben der „Arise Grand Show“ gab es einen Theater-Workshop und eine Führung „Hinter den Kulissen“ an der Volksbühne im Rahmen der Projektwoche „Theater, Theater“. Haben Sie auch an diesen Veranstaltungen teilgenommen?

Birgit: Leider nicht. Ich war nur am Friedrichstadt-Palast dabei und das auch sehr unvorbereitet. Ich habe eine Woche vorher davon gehört, war aber hellauf begeistert.

Wir wurden als Gruppe so VIP-mäßig abgeholt. Ich habe eine Begleitung gestellt bekommen. Ein Tastmodell der Bühne wurde uns vorgestellt. Es gab eine Einführung per Audiodeskription und Extrageräte. Ich habe mich sehr gut aufgehoben gefühlt.

Lavinia: Was hat Ihnen an der Vorstellung am besten gefallen?

Birgit: Ich kenne den Friedrichstadt-Palast noch aus meinen Kindertagen und wusste, dass es dort Revuen, Musik, Tanz und Shows gibt. Die Kindheitserinnerung war schon einmal schön. Dann hat mir gefallen, dass es Live-Musik gab, dass es bunte Kostüme gab, die beschrieben wurden und dass die Audiodeskription live war. Das war der absolute Hammer. Es fühlte sich an wie eine Fußball Reportage aus dem Radio, bloß zu diesem Musical. Ich habe mich so wertgeschätzt gefühlt, weil das alles für uns beschrieben wurde.

Als am Ende erwähnt wurde, dass Nikita Thomson und Conquita Wurst an dem Stück mitgearbeitet haben, war mir klar, dass es mir auch deshalb so gut gefallen hat. Ich mag beide Künstlerinnen sehr gern und das rundete das gelungene Gesamtkunstwerk für mich ab.

Lavinia: Der Friedrichstadt-Palast hat eine riesige Theaterbühne. Deshalb passiert dort auch immer unglaublich viel. Hatten Sie das Gefühl, irgendwas zu verpassen?

Birgit: Ich muss zugeben, es war eine Reizüberflutung. Meine sehende Begleitung hat auch die Audiodeskription angehört und meinte, ihr wäre das zu viel gewesen. Wenn ich draußen mit meinen Kindern unterwegs bin oder auf einem Konzert, versuche ich mich zu fokussieren und nicht alle hundert Eindrücke, die auf mich einprasseln, wahrzunehmen. So war das hier auch. Vielleicht habe ich nicht alle Kostüme von allen Mitwirkenden mitbekommen, aber das war mir auch nicht so wichtig. Ich fand die Musik super. Ich fand den Gesang toll und die Beschreibung auch.

Lavinia: Gab es an diesem Abend etwas, was ihrer Meinung nach noch verbessert werden könnte?

Birgit: Weil ich überhaupt nicht wusste, was mich erwartet, bin ich einfach nur komplett positiv überrannt und überrascht worden. Ich bin euphorisch nach Hause gekommen und kann mich an nichts Schlechtes erinnern.

Ich habe mit einer anderen blinden Zuschauerin gesprochen. Sie sagte, für sie war es zu viel, die Farben beschrieben zu bekommen. Das war wirklich ein Feuerwerk von Reizen. An diesem Abend hat mir das aber gut in den Kram gepasst.

Ich gehe auf viele Rock- und Popkonzerte und da ist eher die Frage: Bekomme ich eine Begleitkarte? Da sind wir nicht richtig präsent. Dass also einmal jemand an uns denkt, war mir neu.

Lavinia: Waren sie seitdem wieder im Theater?

Birgit: Jedenfalls nicht mit Audiodeskription. Ich wäre gerne zu „Carmen“ gegangen. Da gab es auch eine Audiodeskription, da hat mir aber der Termin einfach nicht gepasst. Ich habe euren Newsletter abonniert und bin auch auf jeden Fall wild entschlossen.

Lavinia: Was würden sie dann am liebsten sehen?

Birgit: „Carmen“ wäre schon toll. Ich wäre auch sehr gerne in die „Zauberflöte“ gegangen, weil ich das mit meinen Kindern vor einer Weile als Kinderaufführung miterleben durfte. Aber grundsätzlich würde mich erstmal alles interessieren, weil ich diese Mischung mit der Audiodeskription so spannend finde.

Was „die Zauberflöte“ angeht, könnte ich mir vorstellen, dass Birgit in der nächsten Spielzeit Glück haben wird. Darüber hinaus sind auch neue Stücke im Gespräch, darunter die Oper „Aida“ und „Fidelio“. Ich kann mir nur wünschen, dass sie ebenso euphorisch aus dem nächsten Stück mit Audiodeskription herauskommt wie aus der „Arise Grand Show“.

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