Gastbeitrag von Margit Grieshammer zu „Brechts Gespenster“ im Berliner Ensemble.
Das war ein Theater-Ereignis, wie ich es liebe: einfallsreich, intelligent, abwechslungsreich in der Darstellung, Sprache und Musik, ein Feuerwerk der Gedanken. Dazu das ungewöhnliche Bühnenbild auf der Vorbühne. Ungefähr hundert Puppen hängen herab; jede von ihnen stellt Weggefährten oder Zeitgenossen der Weltgeschichte dar aus Bertolt Brechts Zeit, aber auch der Nachfolgezeit. Kleine, mittlere und in Lebensgröße gebaute Puppen, eine sparsame Möblierung mit einer Couch, in der Ecke Musik-Instrumente. Das alles wurde in der Einführung durch die AD so anschaulich beschrieben, dass ich mir ein gutes Bild machen konnte, obwohl ich die Gesichter der Puppen natürlich nicht erkannte.
Die Handlung
war nicht durchgehend, und so galt es, die einzelnen Szenen schnell zu erfassen und die Monologe und Dialoge den handelnden Puppen zuzuordnen. Schon erstaunlich, wer da mit wem als Gespenst als Gespenst miteinander redet und wer seine Meinung in einem Monolog kundtut.
Da lässt sich Kafka in einem Brief über Gespenster aus. Da tritt Brecht selbst mit seiner Anschauung über das Theater auf, da kommen Marx und Gott in einem fiktiven Gespräch über Religion zueinander, da geistert das Gespenst des Kommunismus herum und macht auf sich aufmerksam, da versucht Maggie Thatcher das Proletariat zu beeinflussen und es zu spalten. Da sitzen Freud und Lenin auf dem Sofa und diskutieren, Pavarotti setzt sich in Szene, Manfred Wekwerth als späterer Nachfolger von Brecht verteidigt die Dialektik Brechts mit roter Kommunardenmütze. Die Szenen-Abfolge ist schnell und es gilt, sich zu konzentrieren, damit auch alles verstanden wird. Der Text enthält Witz und Humor; Lachen und Schmunzeln sind erlaubt.
Die Darstellung
der Puppen ist fulminant. Suse Waechter und ihr Puppenspieler Hans Jochen Menzel überzeugten mich von der großen Kunst des Puppenspiels. Beide sind zugleich große Stimmen-Imitatoren und lassen die dargestellten Figuren lebendig werden. Der leicht bayrische Tonfall von Bertolt Brecht, der leicht wienerische Tonfall von Sigmund Freud oder die aufgeregte herrische Stimme von Maggie Thatcher anzuhören, sind für mich ein Erlebnis gewesen. Ergänzt wird das durch die Musik vom Schlagwerk, der Trompete, Tuba und dem Synthesizer. Gruselige Geistermusik und die Begleitung der Brecht-Songs reißen einfach mit.
Brecht auf dem Schoß
Für mich als Sehbehinderte war die Vorstellung der Puppen durch Suse Waechter ein ganz besonderes Erlebnis. Sie fand eine Stunde vor der Vorstellung statt und vermittelte Vorfreude und Neugier auf den Abend. Die Künstlerin verstand es, ihre Puppen als geliebte Wesen vorzustellen. Sie schilderte ihr Werden, das Material und ließ einige zum Betasten herumreichen. In jeder Sekunde spürte ich die Empathie, die sie ihren Puppen entgegenbringt. Es war schon etwas Besonderes, Herrn Brecht auf dem Schoß sitzen zu haben, ihn etwas zu bewegen, vielleicht sogar mit ihm zu kommunizieren. Asche aus seiner Zigarre fand sich nicht bei mir!
Beurteilung
Gibt es an diesem Abend überhaupt etwas zu kritisieren? Eigentlich eher nicht, aber ich hätte mir vielleicht gewünscht, ein paar Gespenster aus dem Privatleben Bertolt Brechts zu hören oder aus einigen wichtigen Begebenheiten in seinem Leben: dem Prozess in New York zum Beispiel. Aber sicher hat die Autorin beschlossen, diese Einzelheiten nicht mehr in den Abend hineinzubringen, um ihn nicht zu überfrachten.
Empfehlung
Ein Besuch dieses Theaterstücks lohnt sich allemal, und ich kann diesen Besuch nur jedem/r Theaterinteressierten empfehlen! Ich habe die Anregung mitgenommen, mich mit den Lebensläufen einiger der Charakterköpfe zu befassen. Das hat mir im Nachhinein den Theaterabend noch einmal wichtig gemacht!
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