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„Ich bin wie ein Scharnier“ – Organisation von Audiodeskription am Deutschen Theater Berlin

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Immer wieder sprechen wir darüber, was wir von einer guten Audiodeskription erwarten und klären dabei Fragen wie. Was ist eine gute Beschreibung? Welche Requisiten und Kostüme sollten in der Tastführung nicht fehlen? Was kann das Theater für mich tun, um mir als blinde Zuschauerin den Besuch zu erleichtern? Worauf wir bislang nicht eingegangen sind, ist der enorme organisatorische Aufwand auf Seiten der Theater, wenn es an die Planung von Audiodeskription, Tastführung und den barrierefreien Zugang zum Haus geht. Im neunten Theaterclub des Berliner Spielplan Audiodeskription spreche ich mit Maura Meyer vom Deutschen Theater Berlin über die Organisation von Audiodeskription am Theater. Sie ist Theaterpädagogin am Jungen DT und für die Audiodeskription an ihrem Haus zuständig. Es folgt eine gekürzte Fassung des Interviews vom 12. September 2021.

Interview mit Maura Meyer

Lavinia: Was mich als Erstes interessiert ist der Anfang. Wie wird eigentlich die Audiodeskription für ein Stück an eurem Haus ausgewählt?

Maura: Die Frage, welche Stücke wir auswählen, entscheiden wir im Moment noch zusammen mit dem Projekt Berliner Spielplan Audiodeskription. Wir machen das seit zwei Jahren. Zuerst überlegen wir, welche Premieren anstehen. Dann kommt es natürlich auf die Art der Inszenierung an.

Wir haben auf dem Vorplatz „Tartuffe“ von Peter Licht aufgeführt, was uns sehr spannend erschien. Dann kam aber vom zuständigen Dramaturgen David Heiligers der Ausspruch: „Die Inszenierung ist sehr sehr textintensiv .“ Das ist für die Audiodeskription nicht passend, weil es keine Lücken für die Beschreibung gibt. Bei anderen Stücken versteht man viel, ohne das Beschreibung stattfindet. So geht das im Dialog hin und her, bis wir dann irgendwann sagen: „Ach ja, das klingt eigentlich total interessant, um Audiodeskription anzubieten.“

Lavinia: In einem Vorgespräch mit Imke Baumann fiel der Satz: „eine Audiodeskription ist nur so gut wie die Information, die die Audiodeskriptorin im Vorfeld erhält.“ Welche Informationen musst du bereitstellen, damit die Audiodeskriptorin ihren Job machen kann?

Maura: Ich bin an der Stelle wie ein Scharnier. Ich arbeite eng zusammen mit den Dramaturgen und Dramaturginnen, die die Produktion begleiten. Gemeinsam schauen wir: Was ist das Konzept dahinter? Wie sehen die Kostüme aus? Welche Sachen kann ich da schon im Vorfeld bereitstellen? Wie sieht die Bühne aus? Gibt es die Möglichkeit, im Vorfeld auf die Bühne raufzugehen, um sich Sachen aus der Nähe anzuschauen? Gibt es eine Aufzeichnung, die wir im Vornherein bereitstellen können, und kann ich auch ganz direkt den Kontakt zum Dramaturgen/zur Dramaturgin herstellen?

Die Dramaturgen sind eine wichtiger Knotenpunkt , die den Prozess einer Inszenierung künstlerisch begleiten, und die Einsicht haben in die unterschiedlichen künstlerischen Disziplinen. Dadurch, dass sie eng am Entstehungsprozess beteiligt sind, hilft das ungemein, diese Informationen zusammen zu tragen.

Lavinia: Ist es nur dein Job den Kontakt zwischen Dramaturg*innen und Audiodeskriptor*innen herzustellen?

Lavinia: Besonders bei der Tastführung des „Don Quijote“ ist mir aufgefallen, wie liebevoll alles aufgebaut war. Man konnte Requisiten und die Kostüme betasten und sogar mit Wolfram Koch sprechen. Was braucht es, um das zu organisieren?

Maura: Ich erinnere mich sehr lebhaft an eine sogenannte „Dispo-Sitzung“ – das ist immer mittwochs nachmittags eine Sitzung, in der alle Abteilungsleiterinnen und Abteilungsleiter zusammenkommen und aus organisatorischer technischer Sicht jeweils die übernächste Woche besprechen.  Ich war in dieser Sitzung mit dem Anliegen: „Der Don Quijote wird beschrieben und ich würde gerne eine Tastführung machen.“ Erstmal kam die Frage: „Wie? Dann kommen alle auf die Bühne und wir sind noch nicht mit dem Aufbau fertig.“

Wir mussten noch einmal das Datum verändern, weil wir einen Tag finden mussten, an dem vormittags keine Bühnenprobe stattfindet.

Im deutschen Staatstheatersystemgehört es zum Konzept, jeden Abend etwas anderes zu zeigen und an den Vormittagen nutzen die Produktionen die Bühne, die bald Premiere haben. Das heißt, es gibt jeden Tag zwei Auf- und Umbauten, das ist natürlich eine logistische Meisterleistung. Beim „Don Quijote“ dauert der Auf- und Abbau aller Gewerke ungefähr fünf Stunden. In so einen eng getakteten Plan kommt die Info: „Der Aufbau von Don Quijote muss nicht um 19:00 Uhr, sondern schon um 17:00 Uhr fertig sein.“ Wir mussten einen Tag finden, zusammen mit den Kollegen von der Beleuchtung, der Bühnentechnik, der Requisite und der Abteilung Ton/Video. Das war die Grundbedingung, dass überhaupt eine Tastführung stattfinden kann. Danach haben wir gemeinsam überlegt, welche Gegenstände und Bühnenelemente wir zeigen wollen und können.

Lavinia: Bei „Der kleine König Dezember“ war es ja so, dass das Kostüm des kleinen Königs das Originalkostüm war. Wie schwierig ist es, diese Requisiten und Kostüme im Original zu bekommen?

Maura: bei „Der kleine König Dezember“ war ich tatsächlich sehr auf die Antwort gespannt, als ich nach der Original-Perücke gefragt habe. Der kleine König trägt eine Lockenperücke, und die Locken werden jedes Mal neu eingedreht. Ich habe mich weit aus dem Fenster gelehnt und gesagt, „da passiert nichts.“- was ja dann auch gestimmt hat – und dann wurde uns das erlaubt. Bei dem Mantel des kleinen Königs gab es eine Rückfrage an die Schauspielerin, ob es für sie okay ist, dass der Mantel berührt wird. Das war für sie total okay. Beim „Don Quijote“ gab es nicht das Originalkostüm für die Tastführung, weil es zu empfindlich war.

Denn wenn um 17:00 Uhr etwas mit dem Kostüm passiert, hat man nicht mehr die Flexibilität, es zu flicken. Das ist von Kostüm zu Kostüm unterschiedlich.

Lavinia: Was macht ihr, wenn ihr nicht das Originalkostüm zur Verfügung stellen könnt?

Maura:  Reserve-Kostüme gibt es selten, beim Don Quijote war es dann das Probenkostüm.

Lavinia: Zu einer Audiodeskription gehört außer der Tastführung und der Vorstellung mit Audiodeskription noch mehr – zum Beispiel, Tickets reservieren und die Ausgabe der Empfangsgeräte. Wie organisiert ihr sowas?

Maura:  Was die Tickets angeht, da ist es immer total gut, wenn wir sehr früh entschieden haben, dann und dann soll eine Audiodeskription stattfinden, weil wir ein Kontingent blocken, bevor der Vorverkauf startet. Wir haben zwanzig Geräte. Jede Person, die ein Gerät braucht, darf eine Begleitperson mitbringen. Das sind vierzig Tickets. Im Foyer haben wir eine Ausgabestation und unser Abenddienst ist auch eingewiesen.

Lavinia: Ich habe noch eine provokante Frage für dich und zwar seid ihr ja nicht das einzige Theater, dass Audiodeskription anbietet. Theater sind normalerweise Konkurrenten, aber eine Audiodeskription erfordert, dass man sich abspricht, damit nicht in einem Monat viele Stücke mit Audiodeskription gezeigt werden und im anderen Monat überhaupt nichts. Wie verläuft diese Kommunikation unter Konkurrenten?

Maura: Ich bin an der Stelle glücklich über das gesamte Projekt Berliner Spielplan Audiodeskription, weil auf eine Ausgewogenheit geachtet wird. Wenn es darum geht, auf eigenen Füßen zu stehen, kann ich mir vorstellen, in guter Kommunikation zu sein. Das hat damit zu tun, dass wir z.B. im Feld der Theaterpädagogik schon gute Kontakte zu anderen Theatern haben.  Wir haben es schon geübt, uns nicht nur als Konkurrenten wahrzunehmen, sondern als eine diverse Berliner Theaterlandschaft, die sich gemeinsam um ein Publikum kümmert

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