Der Tod ist nah – zumindest in dem Tanzfilm „Tanz vom Tod“, der zwischen dem 15. September und dem 15. Dezember 2021 online bereitsteht. Unter der Regie von Saskia Oidtmann befassen sich zehn Tänzer*innen mit einem Thema, das in den vergangenen anderthalb Jahren allgegenwärtig geworden ist, dem Tod. Auch blinde und sehbehinderte Zuschauer*innen können sich durch die Audiodeskription von Simone Detig und Gerald Pirner die Frage stellen: „Wie verhalten sich lebendige Körper an toten Orten?“
Eine Facette des Todes erkennen
Eine Frau stößt einen stummen Schrei aus, eine andere wirft mit Kleidungsstücken, ein nackter Mann liegt auf dem kalten Boden, eine Frau steht an einem Abhang, ein Mann rennt immer schneller in Kreisen, ein Körper kämpft sich scheinbar durch eine dickflüssige Masse und eine schwangere Performerin pulsiert wie ein Herz. „Tanz vom Tod“ zeigt eine Collage aus zehn Solo-Performances, die unter anderem im Industriekomplex der Malzfabrik in Schöneberg, im Heizhaus der Uferstudios, auf dem Gelände der Fahrbereitschaft in Lichtenberg und in der Spreehalle in Oberschöneweide stattfinden. Alle Orte haben eines gemeinsam: Sie sind riesig und bis auf die Performer*innen leer. Jede Performerin und jeder Performer hat ihre und seine ganz eigene Herangehensweise. Ein Performer tanzt ekstatisch durch einen Raum und versteckt sich immer wieder hinter einer Säule, während die Kamera sich an ihn heranpirscht. Immer wieder hält er inne und blickt mit starrem Blick in eine leere Türöffnung. Eine andere Performerin bewegt sich wie von Fäden gezogen in einer großen Spirale durch den Raum. Sie wirkt fremdgesteuert, als ob irgendetwas sie an den Armen voranzieht. Besonders beeindruckt mich eine Sequenz, in der der Performer eine Anleitung zum Sterben gibt. Durch die angenehm ruhige Stimme wirkt diese Performance wie eine geleitete Meditation, wie ich sie mir manchmal auf Youtube anhöre. Diese Anleitung nimmt allerdings eine makabre Wendung, als der Performer beschreibt, wie man stirbt und von Würmern verschlungen wird. Mal ist die Begegnung mit dem Tod ein Kampf, mal ein Moment des Schreckens, ein Wettlauf mit der Zeit, aber auf der anderen Seite auch eine Wiedergeburt, ein letzter Applaus und ein Moment der Ekstase. Einige Performances sprechen mich mehr an als andere, aber in jeder kann ich eine Facette des Todes erkennen. Und eines ist klar: Es geht in diesem Film um mehr als den Tod als Verlust.
„Das Winken einer Ertrinkenden“
Zu Beginn vermisse ich eine Einführung in die Performance. Vor jeder Performance beschreibt Simone zwar kurz, wie der Raum und die Performerin oder der Performer aussehen. Was mir aber fehlt, ist eine Einführung in den Film, in der das Stück im Ganzen vorgestellt wird. Stattdessen werde ich sofort mit der ersten Performance konfrontiert. Zwei oder drei vorbereitende Sätze zum Ablauf hätten mir die anfängliche Verwirrung erspart. Simone versucht, die teilweise abstrakten Bewegungen in eine bildhafte Sprache zu übersetzen. An den meisten Stellen gelingt ihr das auch. Ich kann durch die Beschreibung nachvollziehen, worum es im Groben in jeder Performance geht. Je komplexer die Performance, desto weniger Bezug kann ich jedoch zu den jeweiligen Beiträgen aufbauen. Besonders gut konnte ich mir Wendungen vorstellen wie: „Der Arm pendelt langsam wie durch Wasser“, „Anna hält die Hand vor sich, als ob etwas Zähflüssiges von ihren Fingern tropft“ und „das Winken einer Ertrinkenden“. Schwieriger finde ich hingegen Formulierungen wie: „harmonische Kreisbewegungen“, „die Arme zu geometrischen Formen verschränken oder „ihre Gelenke klappen ein“. Diese Beispiele sind zu abstrakt, als dass ich mir auf die Schnelle darunter etwas vorstellen kann. Mein absoluter Favorit ist „Instructions for dying“, wo ich so gut wie keine Audiodeskription brauche, weil die Anleitung an sich schon beschreibend genug ist.
Noch bis zum 15.12.2021 online!
Der Tod ist ein Thema, mit dem wir uns selten direkt auseinandersetzen, obwohl wir tagtäglich damit konfrontiert werden. „Tanz vom Tod“ hat mir nicht zuletzt wegen Simones und Geralds Beitrag gezeigt, dass man dem Ende mit Wut, Angst, Panik, Erstarrung, Hingabe und Akzeptanz begegnen kann. Die Faszination für die Performance sind die verschiedenen Ansätze, wobei mich einige ansprechen und andere mir zu abstrakt sind, ob nun wegen der Audiodeskription oder wegen des Tanzes. Wer gerne dem Tod aus unterschiedlichen Perspektiven begegnen möchte, dem kann ich „Tanz vom Tod“ nur weiterempfehlen.
Ihr könnt euch die Performance noch bis zum 15. Dezember 2021 mit Audiodeskription ansehen. Tickets und die Kontodaten für eine Überweisung erhaltet ihr unter dieser Adresse: saskia.oidtmann@posteo.de
Mehr Infos zu diesem und anderen aktuellen Stücken findet ihr wie immer auch in unserem Spielplan.
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