„Video – Deutsche Oper Berlin, JavaScript:/, Video Player Region, leere Region, Video Player Region Ende, images/img-play, Lieblingsstücke … Bodypercussion“
So ungefähr hörte sich die Video-Seite der Deutschen Oper Berlin noch im Juni 2020 an, als ich sie mit meiner Sprachausgabe bzw. meinem Screenreader durchgegangen bin. Als Blinde arbeite ich mit einem Hilfsprogramm namens JAWS, das mir ermöglicht, einen Computer zu bedienen, ohne die Maus zu benutzen. Stattdessen navigiere ich Webseiten mit Tastenbefehlen. So bringt mich die Taste „H“ im Internet zur nächsten Überschrift, „B“ zum nächsten Schalter, „G“ zur nächsten Grafik usw. Eine nette Computerstimme liest dann vor, was an diesen Stellen zu sehen ist. Das Ganze funktioniert jedoch nur dann, wenn die Internetseiten, die ich zu navigieren versuche, barrierefrei programmiert sind. Barrierefrei würde zum Beispiel bedeuten, dass Überschriften und Schalter als solche programmiert und Grafiken mit Alternativtexten ausgestattet sind, die beschreiben, was auf dem Bild zu sehen ist. Das Problem besteht darin, dass die meisten Webentwickler keine Ahnung von Barrierefreiheit haben und sie sowieso eher als Luxus, als Nachgedanke denn als Standard betrachtet wird. Das Resultat ist eine Seite wie diese, wo es keine Überschriften gibt und der Play-Schalter „images/img-play“ heißt. Man stelle sich eine Computerstimme à la Steve Hawking vor, die diese wenig bezeichnende Wortzusammensetzung genauso vorliest, wie sie dasteht. Fazit: Die Seite mag zwar visuell gut aussehen, ist aber für einen Blinden mit Screenreader nahezu unbedienbar.
Im ständigen Austausch mit den Theaterpartnern über Barrierefreiheit
Seit das Projekt „Berliner Spielplan Audiodeskription“ begonnen hat, sind wir in ständigem Austausch mit den kooperierenden Theatern. Das umfasste von Anfang an nicht nur die Planung der Stücke, Tastführungen und Sensibilisierungsschulungen, sondern auch die Barrierefreiheit der jeweiligen Seiten. Inzwischen verfügt jede Webseite unserer Theaterpartner über eine Rubrik für behinderte Gäste, wo auch Audiodeskription Erwähnung findet.
Jedes Theater macht es irgendwie anders
Besonders in den letzten Monaten wurde die Barrierefreiheit der Seiten immer wichtiger. Jedes Theater machte es irgendwie anders. Das Stück „Hamlet“ vom Schauspiel Bochum wurde in der ZDF-Mediathek gezeigt. Dort musste man zuerst in den Einstellungen nach Audiodeskription suchen und sie extra einschalten. Leider habe ich das nicht von Anfang an gewusst und mindestens zehn Minuten psychedelischer Intromusik gelauscht, bevor mir klar war, dass ich gerade die Version ohne Audiodeskription höre. Andere Theater wie das Schauspiel Leipzig haben zwei Videos hochgeladen – eines mit, eines ohne Audiodeskription – und das Video mit Audiodeskription an den Anfang gestellt. Diese Variante hat mir persönlich besser gefallen, denn ich musste mich nicht noch fragen, ob das die richtige Seite ist.
Man weiß nie, was einen so erwartet
Die meisten Webseiten bedürfen einer gewissen Einarbeitung, denn man weiß nie im Voraus, was einen erwartet. Sind die Schalter wirklich Schalter oder sehen sie nur so aus? Wenn ich mit einem Sehenden wie meinem Mann eine Seite durchgehe, höre ich oft Sätze wie: „Kannst du nicht einfach zur nächsten Überschrift springen?“ Theoretisch ginge das, aber wenn die Überschrift nur wie eine Überschrift formatiert, im Code jedoch nicht als solche markiert ist, kann ich sie eben nicht anspringen. Meine einzige Alternative besteht dann darin, die Webseite mit den Pfeiltasten einzeln durchzugehen, hier und da mal etwas auszuprobieren und vielleicht dadurch zum gewünschten Ergebnis zu kommen. Viel Arbeit, um mir ein Theaterstück im Internet anzusehen. Wenigstens war die Seite der Deutschen Oper relativ kurz. Die Oper „Die Perlenfischer“ vom Musiktheater im Revier war dermaßen versteckt, dass ich letztendlich mit der Suchfunktion hinspringen musste. Die funktioniert in den meisten Fällen zumindest.
Problematisch sind auch Videos, die gleich anfangen zu spielen. Das Problem hatte ich bei „Das Weiße Rössl im Central Park“ von den Sophiensälen und in „School of Shame“ vom Tanzlabor Leipzig. Habt ihr schon einmal versucht, zwei Menschen gleichzeitig zuzuhören? Während das Video fröhlich weiterspricht, versuche ich, das Ohr an die Lautsprecher meines Laptops gepresst, meinen Screenreader zu verstehen, damit ich das Video anhalten kann.
Statt des Videos startet fröhliche Fahrstuhlmusik
Ganz anders war es hingegen beim Deutschen Theater Berlin. Als ich mir „Die Pest“ ansehen wollte, startete statt des Videos fröhliche Fahrstuhlmusik. Das habe ich mir eine ganze Weile angehört, bis mir aufging, dass dies wohl doch noch nicht das Stück war. Schließlich rief ich nach meinem Mann, der mir mitteilte, dass die Hintergrundmusik einen Countdown unterstrich, der allerdings nur visuell erlebbar war. Ohne das Zuziehen von Augen hätte ich mich wahrscheinlich noch eine ganze Weile gefragt, ob ich das richtige Video erwischt habe und schließlich frustriert aufgegeben.
Digitale Barrierefreiheit wird meistens nicht von Anfang an mitgedacht
Barrierefreiheit im Netz ist sicherlich ein schwieriges Thema. Sie wird meist nicht von Anfang an mitgedacht und ist hinterher schwierig zu ergänzen. Es gilt: Je einfacher die Seite, desto einfacher ist sie auch navigierbar. Leider beißt sich das in manchen Fällen mit dem Design und die Barrierefreiheit zieht fast immer den Kürzeren. Da stelle ich mir die Frage: Würde ich ein Haus kaufen, bei dem ich jedes Mal einen Hindernisparcours überwinden muss, um in die Küche zu kommen, egal wie toll es von außen aussieht? Eher nicht…
Es gibt aber schon einige wenige Änderungen, die zumindest Livestreams barrierefreier machen würden:
- ein Extravideo für die Audiodeskription bereitstellen
- das Video an den Anfang der Seite stellen
- den Titel des Stücks mit dem Wort „Audiodeskription“ als Überschrift markieren
- den Play-Schalter auch „Play/Abspielen“ nennen.
Da Barrierefreiheit in den meisten Fällen eben doch ein Nachgedanke ist, ist eine separate Seite, auf der alle wichtigen Infos zur Audiodeskription und kommenden Stücken stehen und von der aus man auch auf Livestreams zugreifen kann, die einfachste Variante. Obwohl ich natürlich trotzdem für Barrierefreiheit als Standard plädiere, kann ich mich vorerst auch mit dieser Lösung arrangieren.
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