Heute folgt der zweite Teil meines Besuchs der Kuyum Tanzplattform 2023 im Theaterhaus Mitte. Im ersten Teil habe ich von der Performance „Silence des Esprits“ mit Omar Sene (Audiodeskription: Svantje Henke) berichtet. Nun folgt „Soliloque Dansé“ mit Yahi Nestor Gahé (Audiodeskription: Jutta Polic).
„Soliloque Dansé“ oder wenn der Po sich meldet
„Soliloque Dansé“ ist eine etwas längere und was die Bewegungen angeht, aufwendigere Performance. Jutta beschreibt sie mit ihrer ruhigen Art und der abwechslungsreichen Wortwahl, die ich inzwischen von ihr gewohnt bin. Eine Tanzbeschreibung höre ich allerdings von ihr heute zum ersten Mal. Als wir den Saal nach der Pause betreten, wabert noch immer der Olfakto-Geist aus dem vorherigen Stück umher. Es riecht leicht nach Weihrauch.
Körperteile im Gespräch
Yahis Stück beginnt mit einem Prolog, in dem er einige Bewegungen vorab vorführt. Dann setzt er sich und liest Zeitung. Im Hintergrund spielen Nachrichtenberichte über das „neuartige Corona-Virus“. Yahi schlägt die Zeitung zu und tritt in die Rolle des „Tänzers“. Er lässt das Individuum hinter sich und wird zur Leinwand einer Gesellschaft, deren Individuen durch die einzelnen Körperteile dargestellt werden: Finger, Zehen, Kopf, Schulter, Ellenbogen, Bauch, Po… Alle sind im intensiven und immer aggressiver werdenden Austausch. Einige Körperteile, die Jutta als „Individuen“ bezeichnet, wollen ihren eigenen Weg gehen, was aber nur begrenzt möglich ist, da sie sich nicht vom Körper abgrenzen lassen. Es entsteht ein Tanz, in dem Konflikte offenbart werden zwischen dem Ganzen und den Einzelteilen, den Individuen und dem Organismus, dem Einzelnen und der Gesellschaft. Immer heftiger wird der Austausch, bis die Hände auf den Kopf einschlagen.
Juttas Verben gefallen mir, wie immer, am besten: fuchteln, trippeln, zappeln, pendeln, usw. Auch sie benutzt gekonnt Bilder, um eine soeben beschriebene Bewegung zu verdeutlichen: „Die Finger spreizen sich etwas und bewegen sich, als ob sie auf die Saiten oder Tasten eines Instruments mal schneller, mal langsamer, mal stärker, mal schwächer tippten.“
Ein unerwartetes Zusammenspiel von Humor und Audiodeskription
Und dann „meldet sich der Po.“ Bei einigen Äußerungen muss ich ein Lachen unterdrücken. Das ist ungelogen das erste Mal, dass ich wegen einer Audiodeskription lachen musste, ohne dass der Saal um mich herum lacht. Ich stelle mir vor, wie mich alle fragend angucken, weil ich als einzige lache. Wenn ihr hören könntet, was ich höre!
Diese Performance bietet mir persönlich mehr Interpretationsspielraum als die vorherige, obwohl oder gerade, weil nicht viel mehr passiert, als dass Yahis Körperteile sich in einem atemberaubenden Tempo miteinander bewegen. Die Abfolge scheint mir aber auch irgendwann eintönig. Die Körperteile und die Intensität wechseln zwar, aber alles in allem führen sie vierzig Minuten lang ein „Gespräch“ miteinander. Ich muss leider zugeben, dass ich durch die Eintönigkeit bestimmt einige tolle Formulierungen verpasst habe.
Ein neuer Zugang zum Tanz
Ich gehe mit einem wundervollen Gefühl nach Hause. Ich habe das Gefühl, etwas Neues erlebt zu haben in Sachen Tanz und Audiodeskription. Natürlich muss ich in Betracht ziehen, dass diese Performances durch Videoaufnahmen, wenig Improvisation und generell einer kurzen Spieldauer leichter zu erstellen sind als andere, die kein Videomaterial zur Verfügung stellen und erst einen Tag vorher fertig werden. Das ändert aber nichts daran, dass diese beiden Stückbeschreibungen hörenswert waren und ich wünschte, man könnte immer so ausführlich arbeiten.
Ein großer Vorteil des Veranstaltungsortes war es auch, dass der Saal relativ klein war. Ich saß in der ersten Reihe und konnte tatsächlich die Performer hören – ihr schwerer Atem, ihre klatschenden Füße, das Wedeln von Gegenständen. Ihre Präsenz war spürbar, und das ist etwas ganz Seltenes. Heute hatte ich das Gefühl, dass Tanz vielleicht doch nicht so unzugänglich ist für ein blindes Publikum. Also, gebt ihm eine Chance, und wenn der Po sich meldet, hört auf ihn!
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