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Mit ohne Audiodeskription: Eine Tanz-Performance all inclusive

Posted in Theaterrezension

Seidige Vorhänge über zwei Matratzen auf der Bühne, Sitzsäcke für das Publikum. Eine rundum gemütliche Performance erwartet uns im Studio 12 in den Uferstudios für zeitgenössischen Tanz am 17. September. Das Versprechen lautet „All inclusive“ – alles inklusiv. „With or Without you“ ist die erste Performance, die Fia Neises dramaturgisch selbst leitet. Sie verzichtet auf herkömmliche Audiodeskription, sorgt jedoch auf ihre eigene Weise für Beschreibungen. Ich bin sehr gespannt, inwiefern dieses Versprechen eingelöst wird.

Access Friends statt Tastführung

Zunächst einmal werden wir mit einem Mundschutz begrüßt, den wir während der Performance zum Schutz aller anderen tragen. Vor dem Studio 12 warten zudem sogenannte „Access Friends“, die den Zuschauer*innen, die wollen, vor Beginn der Performance die Bühne zeigen. Es gibt ansonsten keine Tastführung.

Der Raum ist zweigeteilt: Links vom Eingang liegt ein weißer Tanzboden mit Matratzen und seidigen Vorhängen. Rechts stehen Sitzsäcke und Stühle für das Publikum. Kaum habe ich mich in meinen Sitzsack gefläzt., beginnt eine aufgenommene Beschreibung der Bühne. Mir gefällt das, denn so bekomme ich noch einmal in den Worten der Performer*innen mit, wie sie die Aufstellung benennen, zum Beispiel, dass die Vorhänge „Silks“ heißen.

Warmup und Selbstbeschreibung

Zu Beginn höre ich zwei Personen auf der Bühne. Anweisungen wie „Noch zwei.“ Und eindeutig angestrengtes Stöhnen lassen mich vermuten, dass es sich um ein Warmup handelt. Kurz darauf beginnt eine Aufnahme zu spielen. Ich erkenne Fias Stimme. Es ist eine Aufnahme von Fias erstem Mal mit den Silks. Es wird klar, wie schwierig es für die Lehrerin ist, zu beschreiben, was Fia tun soll. Fia fragt immer wieder nach: „Ist das richtig so?“

Die Aufnahme geht zu Ende. Die Performer*innen stellen sich vor.

Auf der Bühne sind Fia, Irene und im Hintergrund die Musikerin Jana. Fia und Irene scheinen die Hauptperformer*innen zu sein. Fia erklärt, dass zwischen dem Tanzboden und dem Publikumsteil ein sicht- und fühlbarer Klebestreifen ist, den man als Orientierung benutzen kann, sollte man den Raum verlassen müssen. Ich strecke meine Füße soweit aus wie ich kann und fühle den Klebestreifen. Fia und Irene beschreiben sich selbst – eine mit kurzem blonden Haar, die andere mit dunklen Locken. Beide tragen ein blaugraues Kostüm.

„Assistenz ist ein Zustand“

Es wird schnell klar, warum das Stück ohne Audiodeskription auskommt. Eine aufgenommene Stimme, die als „Gucki“ (eine normal-sehende Person) bezeichnet wird, beschreibt die Bewegungen von Fia und Irene: „Ich habe Fia und Irene miteinander tanzen sehen… Fia rennt rückwärts und vertraut darauf, dass Irene sie begrenzt.“ Es gibt viele Berührungen und engen Körperkontakt zwischen Irene und Fia. Die Beschreibung über eine dritte Person, die von dem innigen Verhältnis zwischen Fia und Irene schwärmt, von ihrem Vertrauen, ist eine wundervolle Idee. Assistenz ist ein Zustand, sagen Fia und Irene. Es geht darum, einander so gut zu kennen, dass man keine unnütze Hilfe anbietet, nicht bevormundet, sondern sich automatisch auf die linke Seite stellt, da ist, wenn man gebraucht wird, aber seine Assistenz nicht aufzwingt.

Die beiden bewegen sich schnell. Ich bin mir sicher, dass weitaus weniger beschrieben wird, als letztendlich zu sehen ist. Ob ich viel verpasse, kann ich allerdings nicht sagen. Das einzige Manko dieser Art der Beschreibung ist, dass gleichzeitig relativ laute Musik gespielt wird und die Beschreibung geradezu geflüstert wird. Dabei geht einiges für mich unter, denn schließlich höre ich auch gleichzeitig auf das Stampfen und Keuchen von Fia und Irene. Von mir aus hätte die Musik reduzierter oder weniger häufig gespielt werden oder die Aufnahme hätte lauter gestellt werden können.

Ich frage mich auch, warum es zwei Matratzen gibt, denn oft ist mir nicht klar, ob Fia und Irene jetzt auf der einen oder anderen Matratze hochklettern. Das wird leider nicht gesagt und bleibt mir bis zuletzt unklar.

Mitmachen für VIP‘s

Schon im Audio-Trailer zu „With or Without you“ wird angekündigt, dass es einen Mitmachteil gibt. Hier bin ich hin und hergerissen, denn ich erwarte, selbst zum Mitmachen aufgefordert zu werden. Letztendlich kann aber nicht jeder mitmachen. Es geht vielmehr darum, zwei freiwillige Guckis aus dem Publikum zu rekrutieren, um Irenes Bewegungen in den Silks für die sogenannten „VIP’s“ (Visually Impaired Persons) zu beschreiben. Die zwei Freiwilligen sind Katherina und Marie. Sie machen ihre Sache richtig gut. Eine übernimmt nahtlos von der anderen und ihre Beschreibung ist detailliert, aber genau. Irene klettert an den Silks hinauf, lässt sich fallen, schwebt kopfüber, hält sich nur mit den Füßen fest und steckt den Kopf in die gerafften Silkbahnen an der Decke, die offenbar wie Wolken aussehen. Einmal fragt Fia, wie Irenes Gesichtsausdruck aussieht. Sie lächelt, ist angespannt und guckt verschwörerisch. Was Beschreibung angeht, ist diese Einlage fantastisch. Ich kann, ehrlich gesagt, kaum glauben, dass diese beiden Freiwilligen das zum ersten Mal machen. Jedoch wird mir an dieser Stelle klar, dass es doch hauptsächlich um die Sensibilisierung von Guckis geht, als um die Beteiligung der VIP’s. Persönlich hätte ich mich über eine zweite Mitmachrunde gefreut, in der ich als „VIP“ beteiligt bin anstatt ausschließlich Zuhörerin zu sein oder durch Bewegung selbst zu erleben anstatt mich auf Beschreibungen anderer zu verlassen.

„Ich bin nicht da für dein Karma!“

Unbestritten mein Lieblingsteil ist „Das Lied“. Fia singt „With or Without you – mit dir oder ohne dich“. Dazu spielt Irene Gitarre. Hier wird es sehr laut. Ich presse mir die Hände auf die Ohren und höre immer noch gut genug. Gott sei Dank wurden die lauten Stellen vorher angekündigt. Fia hat eine fantastische Singstimme. Das Lied handelt vom ungefragten Assistieren, vom Aufzwingen von Meinungen und Seheindrücken, von ungewollter, ungebrauchter, ungefragter Hilfe. „Ich bin nicht hier für dein Karma“ ist der Satz, der an diesem Abend in mir widerhallt, lange nachdem ich wieder zu Hause bin. Danach klettert Fia an den Silks hinauf, aber ich denke immer noch über das Lied nach und wie Fia es geschafft hat, ohne Jammern und Klagen auf das eigentliche Problem beim Assistenzanbieten zu deuten: Ich bin nicht hier, um dir ein gutes Gefühl zu geben. Ich bin nicht deine gute Tat des Tages.

Fazit

Ich habe mich seit Wochen auf diese Performance gefreut. Auf der anderen Seite war ich aber auch skeptisch, wie „all inclusive“ sie tatsächlich sein würde.  „With or without you“ kam großteils ohne Audiodeskription aus, allerdings nicht ohne Beschreibung. Es gab unglaublich viel für mich zu hören. Für andere wurden die lautesten Geräusche angekündigt. Es gab Platz für Rollstühle und das Gesagte wurde für taube Menschen übersetzt. Die Performance wollte viel und hat viel erreicht. Sie hat aber auch das gleiche Problem wie jede offene Audiodeskription: Wenn der Hintergrund, in diesem Fall die Musik, zu laut und die Beschreibung zu leise ist, hört man nur die Hälfte.

Die zentrale Botschaft der Performance – dass Assistenz ein Zustand des gegenseitigen Kennenlernens und nicht des Bevormundens ist – hat bei mir einen nachhaltigen Eindruck hinterlassen. Das bedeutet für mich, dass nur Vertrauen und Verständnis für die Bedürfnisse des anderen, Barrieren zwischen nicht-behinderten und behinderten Menschen abbaut. Hilfe sollte nicht angeboten werden, weil man glaubt, etwas Gutes zu tun. Nicht bevormunden, sondern kennenlernen ist der Grundboden für wertvolle Assistenz.

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