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Eine schmerzhafte Reise in die Vergangenheit: „Der Bus nach Dachau“ – Eine Rezension

Posted in Theaterrezension

„Du fühlst die Scheiße mit deinem Arsch wie ein Blinder die Brailleschrift liest.“

Am 16. Mai habe ich mir das Stück >“Der Bus nach Dachau“ im Haus der Berliner Festspiele im Rahmen des 60. Berliner Theatertreffens angesehen. Als eines von drei Stücken wurde es mit einer Audiodeskription versehen und von Charlotte Miggel eingesprochen. Ich hatte die Möglichkeit, an der Generalprobe teilzunehmen. Die Premiere des Stücks mit Audiodeskription fand einen Tag später statt. Schon während der Einführung wurde deutlich, dass es sich um ein komplexes und nervenzerreißendes Stück handelt, das mich tief berührt und zugleich verwirrt hat.

Als wir anfangs den Saal betraten, saßen bereits einige Personen auf der Bühne. Der Regisseur Ward Weemhoff hielt eine Rede. Zuerst dachte ich, sie proben noch. Als die Türen geschlossen wurden, merkte ich aber und Charlotte bestätigte, dass er eine improvisierte Rede über den Holocaust hielt. Er erzählte die Geschichte von dem Buch „Der Bus aus Dachau“, von niederländischen Gefangenen, die lange nicht nach Hause kommen und auch dort erst einmal in Quarantäne versetzt werden, weil sie Typhus haben. Er erzählte von seinem Vater, der einen Film zum „Bus aus Dachau“ machen wollte, aber nach einer Menge Arbeit, die nötige Unterstützung nicht bekommen hatte.

Die eindringliche Atmosphäre des Stücks:

Das Stück bestand aus Szenen, die auf mich zunächst wie willkürlich zusammengewürfelte Schnipsel wirkten. Sie wechselten zwischen KZ-Insassen, dem Dreh eines Films und der Abholung von Juden. Das war anfangs verwirrend. Es war schwierig zu verfolgen, wem die Geschichte genau folgte. Einige Teile des Stücks wurden auf Niederländisch mit Übertiteln gezeigt, die von Charlotte Miggel zusammengefasst wurden. Insgesamt entstand bei mir der Eindruck, bei dem Dreh eines Films hinter die Kulissen zu blicken, dessen Einzelteile noch nicht final zusammengefügt wurden.

Die Handlung drehte sich um den KZ-Insassen Teddy und seine Leidensgenossen, den Vater des Regisseurs Ward Weemhoff, der einen Film zum Buch „Der Bus aus Dachau“ drehen wollte, sowie eine Gruppe von Filmemachern, die über den Holocaust und insbesondere über Steven Spielbergs „Schindlers Liste“ diskutierten. Besonders beeindruckte mich die Rede einer Schauspielerin. Sie kritisierte, , dass der deutsche Fokus auf das eigene Leid, wie zerbombte Städte, die Vergewaltigung deutscher Frauen oder Hunger in der Nachkriegszeit, die Leiden der Opfer in den Hintergrund rücken ließ. An dieser Stelle fragte ich mich zum ersten Mal, was meine eigene Familie im Krieg getan hatte.

Die Darstellung des Holocausts:

Die eindringliche Atmosphäre des Stücks rückte immer wieder auf unangenehme Weise an mich heran. Besonders schockierend war der Moment, als der Regisseur die Schauspieler aufforderte, in eine angedeutete Baracke auf der Bühne zu gehen und einen kollektiven Schrei auszustoßen. In diesem Moment überkam mich eine Gänsehaut und ich spürte Tränen in meinen Augen aufsteigen. Die Darstellung von Gewalt erschütterte mich zutiefst. So zum Beispiel die Peitschenhiebe, obwohl sie gleich klangen und zu regelmäßig waren, um echt zu sein.

. Die Szenen reichten von prügelnden Insassen bis hin zu von der Gestapo gestürmten Häusern und einer Familie, die am Esstisch von Angst erfüllt war. Die abschließende Stille hinterließ einen nachhallenden Eindruck. Dieses Stück ließ mich erstmals darüber nachdenken, was meine eigenen Verwandten während des Krieges getan haben könnten. Laut dem Stück glauben 30 % der Deutschen, Freiheitskämpfer gewesen zu sein, wenn es in Wahrheit nur 0,3 % waren.

Die Audiodeskription

Charlottes Stimme kommt klar und deutlich über den Empfänger in mein Ohr. Kein einziges Mal muss ich die Lautstärke verändern, obwohl es an einigen Stellen laut wird. Das Stück an sich kommt jedoch in weiten Teilen ohne Audiodeskription aus, da viel gesprochen wird. Charlotte verwendet bildhafte Verben wie „tigern“ und „abpuhlen“, die sowohl für ein klares Bild als auch für sprachliche Vielfalt sorgen. Es gefällt mir, dass ich in der Einführung Informationen zum Schrifttyp Tannenberg bekomme, der für die Übertitel benutzt wird – eine deutsche Schrift, die als NS-Schrift angesehen wird. Am besten gefällt mir, dass ihre Stimme bei der Übersetzung der Übertitelung in den Charakter geht, während ihre Bühnenbeschreibung eher neutral ist. Das geschieht zum Beispiel, als Ward Weemhoffs Vater mit seinem Sohn auf Niederländisch telefoniert.

Fazit

In der Stille des Schlusses klingt das Stück „Der Bus nach Dachau“ in mir nach. Es war eine schmerzhafte Reise in die Vergangenheit, die mich tief berührt hat. Obwohl ich während des Stücks oft das Gefühl hatte, nicht zu wissen, wo ich mich gerade befand, konnte ich dennoch die Schrecken des Holocausts auf eine greifbare Weise erfahren. Von Gaskammern und Gewalt über Enteignung bis hin zur Entmenschlichung führte mich das Stück durch unsere düstere Geschichte.

Als blinde Zuschauerin hatte ich zwar Schwierigkeiten, die visuellen Elemente des Stücks wie Videoprojektionen zu erfassen, aber die Audiodeskription half mir dabei, die Geschichte zu verstehen. „Der Bus nach Dachau“ fordert uns heraus, uns mit der Vergangenheit auseinanderzusetzen und die Bedeutung der Erinnerungskultur zu erkennen. Allzu oft vergessen wir das Leid der anderen vor unserem eigenen. Man möchte wegsehen, nicht erinnert werden, doch im Erinnern liegt die Erkenntnis und damit das Umgehen der gleichen Fehler. Das war ein emotional aufreibender Theaterbesuch, der mich mit schwerem Herzen und vollem Kopf nach Hause schickt. In den nächsten Tagen werde ich mich immer wieder daran erinnern. Ich bin mir sicher, dass es vielen, die dieses Stück erlebt haben, genauso geht.

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