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Über Kunstvermittlung und Audiodeskription: Interview mit Kunstvermittlerin Uta Sewering

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Im elften Theaterclub des Berliner Spielplan Audiodeskription habe ich mit der Theaterpädagogin Uta Sewering vom Theater an der Parkaue gesprochen. Ihre Aufgabe ist es, das Theaterpublikum dabei zu unterstützen, frei über relevante Themen in Theaterstücken zu sprechen und sie sich künstlerisch anzueignen. Als Kunstvermittlerin bildet sie die Schnittstelle zwischen der Produktion und dem Publikum. Ihre Aufgabe? Jeden ernst zu nehmen.

Lavinia: In unserem Vorgespräch hast du gesagt, dass man heutzutage viel lieber von Kunstvermittlung als von Theaterpädagogik spricht. Kannst du kurz erklären, warum dieser eine Begriff besser oder bezeichnender ist, als der andere?

Uta: Kunstvermittlung wird als eigene soziokulturelle Kunst verstanden. Im bundesweiten Theaterbetrieb wird es mittlerweile immer mehr zu einer eigenen Sparte. In anderen Städten konnte man das vor zehn oder fünfzehn Jahren z.B. mit der Entwicklung der Bürgerbühnen beobachten. Das heißt, dass die Kunstvermittlung und Kunstvermittlerinnenrolle eine andere wird und wesentlich mehr als ist als die didaktische Art und Weise, einen Zugang zu einem Theaterstück zu konzipieren.

Lavinia: Was bedeutet soziokulturelle Kunst?

Uta: Mit soziokultureller Kunst meine ich in dem Zusammenhang, dass alle Produkte, die aus solchen Arbeiten entstehen, eine eigene Kunstform sind. Das kann der Jugendclub sein, aber es kann auch eine längere Ferien-Werkstatt sein, in dem man künstlerisch zusammenarbeitet. Das bedeutet nicht nur, Laien kommen zusammen, um z.B. Theater zu machen. Dieses „Sich austauschen und zusammen entwickeln“ ist Kunst.

Lavinia: Kannst du uns etwas über deinen Alltag als Kunstvermittlerin sagen?

Uta: Wir sind eine eigenständige Abteilung am Haus mit sechs Personen, die selber Konzepte entwickeln. Das heißt, wir sind an der Spielplanung beteiligt, arbeiten eng mit der Dramaturgie zusammen, entwickeln Formate und versuchen forschend vorzugehen. Wir haben viele Sitzungen, in denen wir uns darüber austauschen, welche aktuellen Diskurse wir aufgreifen möchten. Dann sind wir damit beschäftigt, Workshops zu entwickeln. Wann setzen wir welche Workshops an? Sollen sie übergreifend sein für verschiedene Inszenierungen? Geht es um verschiedene Ästhetiken oder machen wir einen Workshop für eine Inszenierung? Einmal in der Woche haben wir Jugend- oder Kinderklubs. Da haben wir unsere feste Gruppe, mit denen wir über eine Spielzeit hinaus ein Stück entwickeln, das im Haus Premiere hat und zwei- bis dreimal gespielt wird

Lavinia: Am Theater an der Parkaue lief vor einem Jahr der Stream von „Pythonparfüm und Pralinen aus Pirgendwo“ mit Audiodeskription. Es war das erste Stück, dass an dem Theater mit Audiodeskription gezeigt wurde. Weihnachten 2021 und im März 2022 lief das Stück live am Theater. Wie warst du an diesem Stück beteiligt?

Uta: Jedes Produktionsteam wird von einer Kunstvermittler*in begleitet. Das heißt, wir sind am Probenprozess beteiligt. Wir sind nicht jedes Mal vor Ort wie die Dramaturgie, aber wir versuchen so oft wie möglich bei den Proben dabei zu sein, um zu entscheiden, welches Vermittlungsprogramm man dazu konzipieren kann. Als Kunstvermittlung am Haus sind wir die Schnittstelle zwischen der Gesellschaft und der Theaterproduktion. Beim „Pythonparfum“ war ich fünf- oder sechsmal bei den Proben dabei. In den Endproben ist man öfter dabei, wenn es auf die Bühne geht. Vorher ist man phasenweise auf der Probebühne und kann die Entstehung der Choreographie und das Arbeiten im Team gut miterleben.

Lavinia: Was würdest du sagen, hätte ein Workshop zu der Wahrnehmung dieses Stücks beigetragen?

Uta: Ich glaube, dass ein Workshop für die Teilnehmer*innen einen anderen Erfahrungsraum öffnet, weil sie relevante Themen aus dem Stück noch einmal anders wahrnehmen und ausdrücken können. zum Beispiel könnte man ausprobieren, welche Figuren man entwickeln kann, die wie in dem Stück ein ungewöhnliches Eigenleben haben, wie man zusammen in Bewegung sein kann und welche Bewegungsmuster jeder Einzelne hat. Ich glaube, man würde in die Richtung gehen, wie Gregory Caers , der Regisseur von „Pythonparfum und Pralinen aus Pirgendwo“, gearbeitet hat. Er hat jeder Person im Ensemble verschiedene Bewegungsaufgaben gegeben, sie dann zusammengefügt und weiterentwickelt. Alle waren am Prozess beteiligt. Gregory Caers ist Bewegungschoreograf und die Schauspieler*innen, mit denen er gearbeitet hat, waren keine Tänzer*innen. Deshalb hatte seine Arbeitsweise in der Probenphase Momente, die an Workshops erinnerten.

Lavinia: Wo ist die Schnittstelle zwischen Kunstvermittlung und Audiodeskription?

Uta: Genauso wie Workshops oft als Zusatzangebot gesehen werden, und nicht als Teil des ganzen Erlebnisses, kann man Audiodeskription als etwas sehen, das hinterher gemacht wird, um Zugang für verschiedene Perspektiven zu schaffen. Aber es macht auch ein eigenes Aufführungserlebnis aus. Alleine die Tatsache, dass die Sprecher*innen immer live sprechen, ist der Grundkern von Theater. Ich finde, man kann sagen, dass die Audiodeskription eine ganz klare künstlerische ästhetische Setzung ist.

Lavinia: Inwiefern hattest du bei „Pythonparfum und Pralinen aus Pirgendwo“ mit Audiodeskription zu tun?

Uta: Ich war an Rücksprachen mit dem Dramaturgen Justus Rothländer und dem Berliner Spielplan Audiodeskription beteiligt. Wir haben uns gemeinsam überlegt, wie eine Tastführung aussehen könnte. Was könnte man daran noch weitererforschen? So wie eine Tastführung jetzt aufgebaut ist, ist sie das Äquivalent zum Einführungsgespräch für das sehende Publikum. Da wäre die Frage, wie man andere Formate entwickeln kann, die einen anderen Einstieg ermöglichen.

Lavinia: Was würdest du zu Lehrer*innen sagen, die behaupten, ihre Kinder würden das Stück nicht verstehen?

Uta: Man hat die Multiplikator*innen, ob das Lehrer *innen oder Erzieher*innen sind. Sie haben ihre Sicht auf Theater, und die bringen sie mit. Je nachdem wie experimentell die Ästhetik ist oder welche Sicht aufs Theater die erwachsene Person hat, taucht das Problem auf, dass sie denken, es ginge ums Verstehen. Ich glaube, ins Theater gehen ist eine eigene Erfahrungswelt, in der es nicht um Verstehen im eigentlichen Sinne geht

Ich glaube, „Pythonparfüm“ ist eine Inszenierung, die diese eigene Welt aufmacht, die keiner klaren Narration folgt, was das Publikum in seiner eigenen Welt fortsetzt. Deswegen ist diese Frage nach Verstehen und Theater sehr schwierig. Ein verschultes Verständnis von Verstehen lässt sich nicht eins zu eins ins Theater transportieren, weil Theater ein Erfahrungsraum ist.

Lavinia: Ihr habt einen Theaterbeirat für Kinder und Jugendliche. Wie könnte man blinde und sehbehinderte Schüler*innen einbeziehen?

Uta: Wir sind dabei uns immer weiter zu öffnen und wollen diese wichtigen Perspektiven mit den Formaten verweben, die wir schon haben. Es ist schwierig, bestimmte Communities zu erreichen. Sie kommen nicht einfach so an ein Haus, wenn sie nicht wissen, ob dort an sie gedacht wurde. Daher geht es gerade darum, entweder explizite Formate zu entwickeln oder Formate, an denen jede Person teilnehmen kann und sich eingeladen fühlt.

Das Interview erscheint demnächst auf unserem Podcast-Kanal. Wer mehr über das Stück „Pythonparfum und Pralinen aus Pirgendwo“ wissen will, kann auch die folgenden Beiträge lesen:

Ein wortarmes Familienstück wird farbenfroh

Theater mit Audiodeskription an Schulen.

Pythonparfum und Pralinen aus Pirgendwo

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