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Ein wortarmes Familienstück wird farbenfroh

Posted in Theaterrezension

Was packst du in deinen Koffer? Einen Sturm? Den Tod? Einen Fallschirm? Oder doch nur einen gewöhnlichen Juckreiz? Kuriose Gestalten, die des Nachts ein Hotel heimsuchen. Ihr Gepäck verrät, woher sie kommen, aber nicht, wohin sie gehen. „Pythonparfum und Pralinen aus Pirgendwo“ ist in jeder Hinsicht ein bildhaftes Stück. Passend zu Weihnachten und Silvester stellt das Theater an der Parkaue sein erstes Familienstück mit Audiodeskription als Livestream zur Verfügung. Das Stück trägt ungemein zur weihnachtlichen Stimmung bei, ist ereignisreich, farbenfroh, frech und fantasievoll. Die Audiodeskription, gesprochen von Joyce Ferse, ist eine wundervolle Ergänzung für ein ansonsten wortarmes Stück.

Der Inhalt der Koffer erzählt vom Leben

„Pythonparfum und Pralinen aus Pirgendwo“ verzichtet großteils auf Sprache. Die acht DarstellerInnen drücken sich in Gesten und unartikulierten Lauten, unterstrichen von der wundervollen Musik von Tanja Pannier, aus. Das Stück beginnt mit dem Piccolo. Er schläft auf dem Tresen. Bald schon wird er aber von einer körperlosen Hand geweckt. Gemeinsam mit dem frechen Hausgeist Hanni bereitet er das Hotel auf Gäste vor. Diese lassen nicht lange auf sich warten. Nacheinander trifft ein Tierforscher, eine Lady mit Hut, eine Tennisdame, ein bleicher Herr, eine Bruchpilotin und schließlich eine Dame mit Pelz im Hotel ein. Der Inhalt ihrer Koffer erzählt von ihrem Leben. Der Koffer des Tierforschers enthält einen Juckreiz, der alle zum Kratzen bringt. Aus dem Koffer der Lady fällt Schmuck. Die Handtasche der Tennisdame entlässt tosenden Applaus. Jedes Gepäckstück erzählt von den Wünschen und Träumen ihrer Besitzer und letztlich von ihren Misserfolgen.
Meine Lieblingsfigur ist Hanni der freche Hausgeist. Sie äfft die Bewegungen der Hotelgäste nach, vertauscht ihr Gepäck, lugt in Taschen und ist von der Gestik her am umfangreichsten. Sie zwingt die BesucherInnen, sich anzunähern und steht dem Piccolo mal mehr, mal weniger hilfreich zur Seite oder im Weg.

Es gibt einiges zu hören

Obwohl ich das Stück nur höre, malt die Audiodeskriptorin Joyce Ferse ein klares Bild vor meinem inneren Auge. Ihre angenehm weiche Stimme passt genau auf die Dramatik des Stücks. Weil so wenig gesprochen wird, besteht generell keine Gefahr, über etwas drüber zusprechen, wie es ansonsten bei vielen Theaterstücken der Fall ist. Mir erscheint es so, als würden oft nur eine oder zwei Personen zusammenspielen, was die Beschreibung natürlich erleichtert. Besonders schöne Stellen sind zum Beispiel, wenn es im Hotel zu regnen anfängt. Hanni beginnt, ihr Kleid auszuwringen. Die Figuren treiben wellenartig auf der Bühne von vorne nach hinten. Eine andere Szene ist der Sturm, der mit der Frau im Pelz kommt. Die Beschreibung, wie sich alle gegen den Sturm Stämmen, ist so eindeutig bildhaft, dass ich mir alles gut vorstellen kann. Das ist ein Grund dafür, dass ich ein besonderes Faible für Kinder- und Familienstücke habe. Die Bilder, die dort mit Gesten und Geräuschen und letztlich mit der Audiodeskription gemalt werden, regen meine Fantasie oft mehr an als ein dreistündiges Theaterstück, das hauptsächlich aus langen Dialogen besteht.

Musik untermalt Persönlichkeiten

Das Wundervollste an diesem Stück sind für mich die Musik und die Geräusche, die von Tanja Pannier erzeugt werden. Jeder Charakter bekommt seine eigene Melodie. Es beginnt mit dem Piccolo, der zu Beginn noch schläft. Dazu spielt das Ticken eines Weckers und eine Melodie wie eine Spieluhr setzt ein. Während der Sound des Tierforschers mysteriös ist und an eine Detektivgeschichte erinnert, wird die Tennisdame von rhythmischer, dynamischer Musik untermalt. Der Ton des bleichen Herrn ist geheimnisvoll. Die Dame im Pelz tritt vor dem Hintergrund eines Sturms ein. Die Geräusche und die musikalische Untermalung berichten von den Persönlichkeiten der Charaktere. In Verbindung mit Joyces Beschreibung ergibt sich für mich ein ganzes Bild davon, was jeden der Figuren einzigartig macht. Musik und Geräusche können viel über einen Charakter aussagen. Deshalb sollten sie meiner Meinung nach mehr zum Ansprechen aller Sinne im Theater genutzt werden.

Habt ihr „Pythonparfum und Pralinen aus Pirgendwo“ verpasst?

Wenn ihr „Pythonparfum und Pralinen aus Pirgendwo“ verpasst habt, keine Sorge. Es wird voraussichtlich eine weitere Aufführung geben, entweder als Livestream oder vielleicht sogar LIVE im Theater. Haltet Augen und Ohren offen und werft ab und zu einen Blick in unseren Spielplan! Dort findet ihr immer die nächsten Theaterstücke mit Audiodeskription in Berlin. Wir wünschen euch ein frohes und gesundes neues Jahr 2021 mit vielen weiteren inklusiven Theaterstücken.

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