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Automatenbüfett mit Audiodeskription

Posted in Theaterrezension

„Der Automat, der unterscheidet ja nicht den Menschen vom Individuum. Jeder, der was reinwirft, kriegt was raus.“ (Frau Adam)

Das Weib sollte an den Kochtopf oder ins Bett. So sagt der Oberförster. Der Apotheker fragt mit Blick auf Evas Kehrseite, ob man da mal reinzwicken darf. Pankraz legt sich ungefragt zu ihr ins Bett und Adam bittet sie, ihre körperlichen Reize für seine Zwecke einzusetzen. „Automatenbüfett“ von Anna Gmeyner in der Regie von Barbara Frey ist das dritte Stück, das im Rahmen des 58. Theatertreffens 2021 neben „Einfach das Ende der Welt“ und „SCORES that shape our friendship“ mit einer Audiodeskription für Blinde und Sehbehinderte ausgestattet wird. In wundervoll übertriebener Weise zeigt das Stück, wie die Ankunft einer Frau eine männerlastige Gemeinde in Aufruhr versetzt. Adam rettet Eva vor einem geplanten Selbstmord im Weidenteich und nimmt sie mit in das Restaurant, das seiner meist übellaunigen Ehefrau gehört. Das Restaurant heißt Automatenbüfett, was dem mehrfächrigen Automaten geschuldet ist, aus dem sich die Gäste ihre Mahlzeiten und vor allem ihr Bier ziehen. Die ausschließlich männlichen Gäste sind sofort begeistert von der jungen Frau und stellen ihr derart aufdringlich nach, dass es schon fast komisch ist. Dies nutzt Adam für seine Zwecke. Er überredet Eva, ihn mit ihren körperlichen Reizen zu helfen. Sie soll die Honoratioren des Amateur-Fischer-Verbands dazu überreden, Adams Idee eines Zuchtteiches zu unterstützen. Dadurch soll die gesamte Stadt mit Süßwasserfischen versorgt, die Arbeitslosigkeit durch eine Dosenfabrik reduziert und sogar eine Verbindung zum Meer gebaggert werden.

„Automatenbüfett“ ist noch bis zum 11. September 2021 kostenlos in der ZDF-Mediathek abrufbar und zwar mit einer Audiodeskription gesprochen von Nadja Schulz-Berlinghoff.

Navigation mit Screenreader zum Stück mit Audiodeskription

Als ich vor einem Monat das erste Mal versucht habe, mir das Stück anzusehen, musste ich das Video starten, dann anhalten, die Audiodeskription in den Spracheinstellungen anschalten und das Video noch mal zurückspulen, um den Anfang nicht zu verpassen. Inzwischen hat sich dieses aufwändige Procedere ein wenig verbessert. Als Screenreader-Nutzerin springe ich mit der Taste „H“ zur Überschrift „Automatenbüfett“ und gehe dann mit den Pfeiltasten weiter. Zuerst kommt ein Schalter „Teilen und Merken“, dann „Artikel“ und schließlich „Dieses Video mit Audiodeskription starten. Anwendung“. Letzteres versuche ich mit der Enter-Taste zu aktivieren. Es folgt ominöse Stille. Meine Sprachausgabe sagt mir nicht, wo ich bin, die Pfeiltasten funktionieren nicht mehr und noch mal auf Enter drücken, erzeugt auch keine weiteren Erkenntnisse. Ich dachte, ich wäre auf einem Play-Button. Offensichtlich nicht. Also springe ich noch mal hoch zur Überschrift „Automatenbüfett“. Weiter unten entdecke ich „Video abspielen Schalter“. Hier muss ich zweimal Enter drücken, um das Video zu starten. Ich finde es lobenswert, dass es ein Extravideo für die Audiodeskription gibt und diese so weit oben auf der Webseite steht. Um Verwirrung zu vermeiden, könnte der Abspielschalter jedoch direkt unter der Überschrift platziert werden. Hinzu kommt, dass ich nach dem Start des Videos nicht einfach noch mal die Enter- oder Leertaste drücken kann, um das Video anzuhalten. Ich muss mit Tab zum Schalter „Anhalten“ navigieren. Hier wäre es komfortabler für mich als blinde Nutzerin, wenn „Pause“ und „Play“ bereits im Fokus wären.

Adam und Eva

Das gesamte „Automatenbüfett“ befasst sich auf überspitzte Weise mit der Abhängigkeit zwischen Männern und Frauen. Adam rettet Eva gegen ihren Willen vor dem Freitod. Er wirkt zunächst abwesend, fast träumerisch, als er von seinem Traum von Zuchtteichen für Karpfen schwärmt. Auf seine schüchterne Art bittet er Eva, die Honoratioren der Stadt für seine Idee weichzuklopfen, indem sie ihre Anziehungskraft auf Männer ausnutzt. Eva ist der Köder und Adam der Angler, der aber trotzdem Skrupel zu haben scheint: „Aber nur, wenn Sie wollen, Eva.“ Er hat offensichtlich Gewissensbisse, weil er ihren Körper für sich einsetzt, versucht sich aber zu beruhigen, indem er ihr scheinbar die Wahl lässt. In „Automatenbüfett“ verführt die Frau die Männer ebenso wie Eva den Adam in der Bibel verführt. Hier tut sie es allerdings auf den Wunsch eines Mannes. So sagt Eva zu Adam: „Bei uns ist es umgekehrt. Wie in der Bibel, meine ich. Bei uns verführt der Adam die Eva und Äpfel gibt’s leider auch nicht. Ich esse so furchtbar gerne in der Nacht Äpfel.“ Das Stück zeigt, dass es nicht nur das eine Geschlecht ist, das manipuliert. Manchmal ist es der Mann und manchmal die Frau durch den Mann und dann wieder der Mann durch die Frau.

Der Körper als Köder

Meine Lieblingsfigur ist Frau Adam, die Besitzerin des „Automatenbüfetts“. Mit ihrem Leben, ihrer unaufgeregten Ehe, dem Eindringling Eva und Diebstählen in ihrem Restaurant ist sie unzufrieden. Einen wärmeren Ton schlägt sie erst an, als zahlende Gäste im Gasthaus eintreffen und immer, wenn der junge Pankraz ihr über den Weg läuft. Pankraz ist ein Casanova, der sich nachts ins Bett von Eva zu schleichen versucht. Als Frau Adam ihn erwischt, klagt sie Eva an.

Frau Adam: „Ich wusste, dass Sie ihn rufen.“
Eva: „Ich habe ihn nicht gerufen.“
Frau Adam: „Man kann rufen und der Mund bleibt zu dabei.“

Sie ist eifersüchtig auf Evas Jugend. Schließlich jagt sie die junge Frau aus dem Haus und ihren Ehemann gleich dazu. Frau Adam fühlt sich noch jung. Weil Adam seine Frau in diesem Glauben nicht bestätigt, neigt sie sich mehr und mehr Pankraz zu. Der weiß die Sehnsucht der Hausherrin auszunutzen. Ihrem Mann will Frau Adam kein Geld zur Unterstützung seiner Zuchtteichidee geben. Als Pankraz sie jedoch auffordert, ihm einen Teil ihres Vermögens zu geben, damit er sie nie wieder um Geld bitten müsse, willigt sie enthusiastisch ein. Ebenso wie Eva benutzt auch Pankraz seinen Körper als Köder für die Lust eines anderen und ist damit am Ende sogar erfolgreicher als die Frau.

Ein vielschichtiges Stück

Wie immer wurde die Audiodeskription von Nadja Schulz-Berlinghoff wundervoll eingesprochen. Die Einführung separat auf einer anderen Webseite anzubieten, finde ich umständlich. Das heißt, dass man sich als Blinde gleich zwei Webseiten aneignen muss statt nur einer. Dass das Aussehen der Figuren während des Stückes wiederholt wurde, macht es mir aber leichter, sie voneinander zu unterscheiden.

„Automatenbüfett“ ist ein vielschichtiges Stück. Obwohl der Fokus auf der übertriebenen Anziehungskraft von Eva auf die Männer liegt, ist die Abhängigkeit der Geschlechter und wie jede Figur diese für ihre Zwecke einsetzt, das wirklich Interessante.

„Automatenbüfett“ ist noch bis zum 11. September 2021 kostenlos in der ZDF-Mediathek abrufbar.

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