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Märchenstunde mit Audiodeskription

Posted in Theaterrezension

Es war einmal ein Märchen mit Audiodeskription, das von dem Staatstheater Hannover inszeniert wurde. Zwischen dem 10. und dem 22. Juni wird das Märchen „Die Gänsemagd“ als Stream gezeigt und zwar mit einer Beschreibung, die von Frank Schraders eingesprochen wird. Bereits zu Weihnachten hat das Staatstheater mit „Hänsel und Gretel“ bewiesen, dass sich Märchenopern wunderbar mit Audiodeskriptionen versehen lassen. „Die Gänsemagd“ ist eine farbenfrohe Oper, nicht nur wegen der wechselnden Bühnenbilder, die ein blaues Meer, einen roten Fluss und grüne Wiesen darstellen, sondern auch wegen der unterschiedlichen Geräusche, der Orchestermusik im Hintergrund und natürlich wegen des Gesangs. Definitiv ein Stück für Kinder und junge Herzen.

Die Prinzessin wird zur Gänsemagd

Ein Mädchen – eine Prinzessin, um genau zu sein – begibt sich auf eine Reise in die Welt, um ihren Bräutigam zu treffen. Ihr Pferd Fallada und ihre Dienerin begleiten sie ins Abenteuer. Bevor sie loszieht, gibt ihre Mutter, die Königin, ihr drei Dinge mit: einen goldenen Becher, einen Fächer und ein Tuch mit drei Blutstropfen aus dem Herzen der Königin. Besonders das Tuch soll sie nicht verlieren. Aber natürlich verliert sie es trotzdem. Ihr Blutstropfentuch fällt in einen roten Fluss. Darüber freut sich vor allem die neidische Dienerin. Weil die Prinzessin ihr Tuch und damit den Schutz ihrer Mutter verloren hat, kann die Dienerin nun ihre Rolle übernehmen. Die Prinzessin muss ihre Kleider mit der Dienerin tauschen und obendrein versprechen, dass sie niemandem etwas von diesem Betrug erzählt. Als Prinzessin ausstaffiert, gibt sich die Dienerin als zukünftige Braut des Prinzen aus und wird als solche aufgenommen. Die richtige Prinzessin muss derweil als Gänsemagd arbeiten. Aber ruhig schläft die Dienerin nicht, denn das Pferd Fallada hat nicht versprochen zu schweigen.

Viel zu viele Schritte zum Video

Bei jedem Online-Theaterangebot mit Audiodeskription stellt sich unweigerlich die Frage nach der Barrierefreiheit der Streaming-Webseite. Eine tolle Vorstellung kann leider daran scheitern, dass ich sie mit dem Screenreader (der Sprachausgabe auf meinem Computer) nicht finden kann. „Die Gänsemagd“ stellt mich vor Herausforderungen. Es beginnt unkompliziert: Ich bekomme ein Ticket als PDF-Anhang per E-Mail und finde den Code direkt unter „Stream-Code“ und den Link unter „Den Stream finden Sie unter“. Die Webseite ist schon weniger übersichtlich. Mit der Taste „H“ springe ich von Überschrift zu Überschrift. Nach 22 Überschriften finde ich endlich „AUDIODESKRIPTION: DIE GÄNSEMAGD“. Darunter steht ein Text, der mich auffordert einen Schalter „Stream-Code“ zu finden. Den finde ich leider nicht genau unter der Anweisung, sondern letztendlich durch eine Wortsuche über der Überschrift „Audiodeskription“. Dort hätte ich nie gesucht. Ich aktiviere den Schalter „Video ansehen Stream-Code“, woraufhin ich erstmal zum Anfang der Seite katapultiert werde und wieder die richtige Überschrift suchen muss. Im Folgenden passiert mir das nach jedem Schritt. Ich gebe den Code ein – Anfang der Seite. Ich drücke auf den Schalter „Weiter“ – Anfang der Seite. Ich drücke auf „Film starten“ – Anfang der Seite. Jetzt steht viermal untereinander „imgtoolkit.culturebase – Film“. Hier fehlt offenbar ein Alternativtext. Ich aktiviere einfach mal das erste Angebot – Anfang der Seite. Der Film beginnt und während schon gesprochen wird, muss ich mich noch durch die Überschriften zum Play-Schalter hin navigieren. Das ist wirklich umständlich. Zum einen sollte der Cursor nicht nach jeder Aktion zum Anfang der Seite springen. Zum anderen wäre es einfacher, wenn ich den Code eingeben könnte und gleich danach der Play-Schalter im Fokus ist, das Video aber nicht automatisch startet.


Eine farbenfrohe Welt der Töne und Geräusche

Als die Oper startet, genieße ich sie durchaus von Anfang bis Ende. Die Einführung ist zwar kurz, und ich kann mir die verschiedenen Farben der Bühne nicht merken, weil ich noch auf der Suche nach dem Play-Schalter bin, aber danach nimmt mich vor allem der Gesang ein. Da es eine deutsche Oper ist, verstehe ich auch fast alles. Nur wenn sehr hohe Töne angeschlagen werden, habe ich Schwierigkeiten, die Worte zu verstehen. Besonders gut gefällt mir das Duett von Dienerin und Prinzessin, als sie sich auf ihr Abenteuer begeben. Die beiden glasklaren Frauenstimmen treffen die freie Stimmung des Aufbruchs perfekt. Später bildet der brummige Bass des Königs einen Kontrast zu den Frauenstimmen. Für mich stellt sich heraus, dass sehr tiefe Töne ebenso schwierig zu verstehen sind wie hohe.

Ich möchte auch die stimmungsgebende Hintergrundmusik nicht unerwähnt lassen. Mal sorgen Streichinstrumente für eine ominöse Stimmung. Ein anderes Mal tanzen Prinzessin, Dienerin und Fallada zu rhythmischer, jazziger Musik. Dann wieder erklingen Fanfaren, als der König die falsche Prinzessin erspäht. Mein persönliches Highlight sind die vielfältigen Geräusche: eine knarzende Tür, Pferdewiehern, das Platschen eines Gegenstands, der ins Wasser fällt, das Gackern von Gänsen, Schmatzgeräusche, während die Dienerin isst. Die Bühne mag blau, rot oder grün sein. Für mich sind es diese Geräusche, Klänge, Gesänge und natürlich die Stimme des Audiodeskriptors, die diese Oper farbenfroh gestalten.

Alles andere als neutral

Wer eine neutrale Audiodeskription erwartet, die sich im Hintergrund hält, wird enttäuscht. Die Audiodeskription von „Die Gänsemagd“ ist ebenso farbenfroh wie die Oper an sich. Ich habe das Gefühl, einer Märchenstunde mit einem Erzähler beizuwohnen, der seine Stimme an das Stück anpasst. Ist die Stimmung traurig, wird seine Stimme ernst. Ist die Stimmung ausgelassen, hört man auch das Lächeln in seiner Stimme. Diese leichte Emotionalität hat das Kindermärchen für mich noch bunter gemacht. Leider hat sich die Audiodeskription durch die Wortwahl manchmal eher nach einem Hörspiel als nach einer Beschreibung für Blinde und Sehbehinderte angehört. Ein Beispiel ist: „Die Prinzessin macht wilde Zaubergesten.“ Wenn nicht zumindest in der Einleitung gesagt wird, wie diese Gesten aussehen, kann ich mir nichts darunter vorstellen. Generell finde ich das Wort „Geste“ nicht eindeutig. Es gibt einfach zu viele Gesten und selbst wenn man dann noch „ausladend“ davorsetzt, beschreibt das immer noch nicht die Bewegung an sich. Hier dürfte die Beschreibung konkreter werden. Insgesamt ist die Audiodeskription jedoch wunderbar abwechslungsreich. Ein Beispiel: „Sie purzelt auf den Hintern.“ Das „Purzeln“ malt ein klares Bild. Ich kann „Die Gänsemagd“ nur weiterempfehlen und dringend um mehr Kinderopern mit Audiodeskription bitten.

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