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Hinter den Kulissen einer Audiodeskription Teil 2: Das Ringen um politische Korrektheit

Posted in Hinter den Kulissen

Wer hinter den Kulissen einer Audiodeskription einmal Mäuschen spielen darf, bekommt neben Diskussionen um das perfekte Wort auch das Ringen um politische Korrektheit mit. Eine Audiodeskription soll wertfrei und inklusiv sein. Was aber, wenn das Stück, das beschrieben werden soll, eben das nicht ist? Hier ist der zweite Teil des „Hinter den Kulissen“-Beitrags zu der Oper „Der Zwerg“ von der Deutschen Oper Berlin. Die AudiodeskriptorInnen sind Kathrin Wiermer, Anke Nicolai und Felix Koch.

Behinderte spielen Behinderte

In der Inszenierung der Deutschen Oper Berlin ist die Rolle des Zwergs zweigeteilt. Der tatsächliche Zwerg wird von einem kleinwüchsigen Schauspieler gespielt, sein zweites Ich von einem großen muskulösen Tenor. Zwischen den AudiodeskriptorInnen steigt dabei die Frage auf: Ist es positiv, wenn behinderte Charaktere von behinderten Menschen dargestellt werden oder nicht?

Felix: Dann gibt es Premierenstimmen, auf der Webseite der Deutschen Oper, wo sie Leute interviewen, wie sie es fanden. Und dann sagt ein Zuschauer: Ich fand es ganz toll, vor allem, dass der Zwerg wirklich ein Zwerg war.“
Anke: Schrecklich. Das hat etwas von „Ausstellen“.
Katrin: Ja, und gleichzeitig gibt es auch immer wieder die Forderung, dass Schauspieler mit Behinderung auch die Rollen spielen und nicht Schauspieler, die keine Behinderung haben. Klar, kann man sagen: „Super, dass ein Kleinwüchsiger dabei ist. Da ist jetzt einer der entsprechenden Zielgruppe beteiligt.“ Zumindest wird nicht über Leute gesprochen, sondern mit Leuten geredet. Aber, klar hat er dann die doofe Rolle – die hässliche, die Zwergenrolle.

Warum Zwerg?

Politisch korrekt sein wollen wir alle, aber niemand so sehr wie eine Audiodeskriptorin, deren Job es ist, das Bühnengeschehen zu beschreiben. Eine Spiegelwand, ein pinker Luftballon, ein Smartphone – all diese Gegenstände lassen sich problemlos beschreiben, zumindest im Vergleich zu den Charakteren.

Felix: Ich habe noch eine letzte Frage zu dem Zwerg-Begriff. Ich habe mir den „Describing diversity-Bericht “ von „Vocal eyes“ durchgelesen. Da gibt es diese zwölf Punkte, auf die man achtgeben kann: dass man zum Beispiel Begriffe, die man benutzt, ruhig am Anfang benennen soll. Dann habe ich mich gefragt: „Sollte ich auch benennen, warum wir Zwerg sagen?“ Ich habe in der Einführung einen Satz geschrieben: „Da die Rolle des kleinwüchsigen Mannes weder im Libretto noch in der Inszenierung mit einem Namen benannt wird, verwenden wir auch in der Audiodeskription den Rollennamen Zwerg.“ Da war ich mir unsicher, ob das zu viel ist. Bei den Hautfarben habe ich es gemacht, denn da haben „Vocal eyes“ gesondert Wert daraufgelegt, dass man einen Cast, selbst wenn er komplett weiß ist, auch benennt. Aber bei dem „Zwerg“ habe ich gedacht, es ist doch schon im Titel und allen schon klar. Muss man es da nochmal sagen?
Anke: Du sagst ja auch: Der und der Schauspieler, und gesungen wird er vom Sänger mmm. Und damit hast du die Rolle klar gemacht. Es ist ein bisschen wie, wenn du in Proben keinen Namen bekommst, dann bleibt es eben „der Lehrer“ oder „die Blonde“ oder so.
Felix: Das sind aber keine diskriminierenden Begriffe.
Katrin: Ich verstehe deinen Ansatz, dass du das einmal sagen willst, im Sinne von: Wir wissen, dass das politisch schwierig ist, aber wir machen es trotzdem, weil das Stück das schon vorgibt.
Felix: Ich kann mir vorstellen, wenn ich kleinwüchsig wäre, dann weiß ich in was für ein Stück ich gehe, wenn das Stück schon „Der Zwerg“ heißt. Aber wenn ich in einer Audiodeskription in jedem dritten Satz „Der Zwerg“ höre, ist es natürlich nochmal etwas anderes, als wenn ich es im Titel höre.
Lavinia: Was ist letztendlich wichtiger, die Beschreibung und dass etwas verständlich ist, oder dass man nie jemandem auf die Füße tritt? Und wenn nur das eine von beiden geht, wofür entscheidet ihr euch?
Katrin: Ich glaube, ich würde mich für das Beschreibende entscheiden, weil das „Niemandem auf die Füße treten“, das ist an sich schon unmöglich. Aber wir haben in der Einführung die Möglichkeit, genau darauf hinzuweisen.

Audiodeskription ohne jemanden zu beleidigen

Gerade ältere Opern, Filme und Theaterstücke, die Bezeichnungen wie „Zwerg“ in „Der Zwerg“ oder „Mohr“ in „Die Zauberflöte“ verwenden, konfrontieren das AutorInnenteam mit einem Dilemma: Nah an der Inszenierung und doch ohne jemanden zu beleidigen?

Anke: Es geht ja in dem Stück darum: Sie kriegt einen kleinwüchsigen Hofnarren geschenkt und kann mit dem machen, was sie will. Früher wurden kleinwüchsige Menschen in Zirkussen vorgeführt. Das ist ein Stigma, was kleinwüchsige Menschen sicherlich erleben werden. Ich glaube, dass man darauf sehr sensibel reagieren könnte.
Katrin: Weil es ein historisches Zitat ist, finde ich es okay. Aber ich würde das mit einem Satz sagen, und dann ist es abgehandelt.
Es gibt so viele Begriffe, die sich in die Umgangssprache eingeprägt haben, wo man nicht sofort eine Behinderung im Kopf hat. ein Sätzchen sichert uns vor Kritik. Dann können wir sagen: „Wir haben es in der Einleitung erzählt. Wir wissen um diesen Umstand.“
Anke: Wir richten uns komplett nach der Begrifflichkeit des Originals.

In diesem Fall bleibt es also bei „Zwerg“, um zum einen nicht vom Original abzuweichen und zum anderen die Audiodeskription kurz zu halten. „Der singende Kleinwüchsige“ zu sagen, dauert nun einmal länger als „der singende Zwerg“. Auch in aktuellen Stücken tauchen Konflikte wie diese immer häufiger auf. Welche Konventionen es bei dem Beschreiben von Diversitäten gibt, könnt ihr auf der Seite von „Vocal eyes“ nachlesen.

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