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Die Audiodeskription von Isadora Duncan blieb still

Posted in Allgemein, and Theaterrezension

Ein Leben bewegt durch die Liebe zum Tanz, ein Tanz bestimmt durch die Freuden und Leiden des Lebens – das zeigt das Stück des französischen Choreografen und Tänzers Jérome Bel über die Tänzerin Isadora Duncan am 17. August am Deutschen Theater Berlin. Durch Zufall liest Bel die Memoiren der 1877 geborenen Tänzerin. Vor dem Hintergrund ihres Lebens und der gerade mal 40 von ihr überlebenden Tänze erstellt er eine Performance, die gleichzeitig erzählerisch und tänzerisch ihr Leben präsentiert. Das Stück wechselt zwischen der Erzählerstimme, die von isadoras Liebe zum Meer berichtet, ihrer Passion für den Tanzunterricht, die Liebe zu ihren Kindern und ihren Glauben an die Oktoberrevolution. Zwischendurch zeigt die Tänzerin und Lehrerin Elizabeth Schwartz die von isadora Duncan geschaffenen Tänze. Einmal bewegt sie sich fließend wie die Wellen über die Bühne. Ein anderes Mal hüpft sie im kindlichen Übermut umher. Dann winkt sie in einer herzzerreißenden Geste ihrem verlorenen Kind nach. Zuletzt ruft sie mit stampfenden Bewegungen als Rächerin der Unterdrückten zur Revolution. Elizabeth führt jeden Tanz mehrmals vor – mit und ohne Musik. Um Isadora Duncans Liebe für das Unterrichten darzustellen, werden dreizehn ZuschauerInnen auf die Bühne gebeten und ahmen mit mehr oder weniger tänzerischem Talent Elizabeths Bewegungen nach. Das alles erfahre ich nicht etwa durch die Kopfhörer, die ich mir in Erwartung der Stimme der Audiodeskriptorin immer fester ans Ohr drücke, sondern hauptsächlich durch die Erzählerstimme und die im Vorfeld stattfindende Tasttour. Die Audiodeskription von Isadora Duncan bleibt an diesem Abend still.

Tastführung und Audiodeskription von Isadora Duncan

Mein Eindruck der Vorstellung basiert großteils auf den geflüsterten Worten meiner Begleitung und meiner eigenen schemenhaften Wahrnehmung. Von der Audiodeskription bekomme ich leider überhaupt nichts mit. Vor der Vorstellung wird mir empfohlen, meinen Platz in der 7. Reihe gegen Sitze im ersten Rang zu tauschen, weil der Empfang dort besser sei. Da es an meinem ursprünglichen Sitzplatz tatsächlich einige Störgeräusche gab, willigte ich gerne ein. Leider erwies sich diese Entscheidung als fatal, denn als die Vorstellung losgeht, höre ich nur ein paar Mal das Rauschen einer Stimme, dann nichts. Die Audiodeskription von Isadora Duncan ist still und bleibt es für den Rest der Vorstellung. Zum Glück besteht das Stück nicht nur aus tänzerischen Einlagen, sondern hat auch erzählerische Elemente. Hinzu kommt, dass ich dank der schwarzen Bühne und dem dazu im starken Kontrast stehenden weißen Kleid der Tänzerin zumindest einige der Bewegungen schemenhaft verfolgen kann. In meinen Augen wirkt der Körper der Tänzerin wie eine weiße Feder, die erst sanft und dann gnadenlos über den schwarzen Hintergrund geblasen wird. Dass die Bewegungen jedoch nicht so mühelos sind, wie man denken könnte, erfahre ich am eigenen Leib. Während der vorangehenden Tastführung liegen meine Hände auf ihrem Kopf und ihrer Brust, während sich die 69-jährige Elizabeth wellenartig bewegt. Dabei muss ich erkennen, dass die Performance, die bei ihr so graziös aussieht, sich für mich so anfühlt, als würde ich mit einem Bären im Ring stehen. Durch die Tastführung und die Beschreibung meines Sitznachbarn kann ich mir, trotz mangelnder Audiodeskription, ein Bild von der Performance machen. Für Blinde bleibt Elizabeths wunderbare Performance leider unsichtbar.
Bei meinem nächsten Besuch im Deutschen Theater Berlin wünsche ich mir einen gründlichen Soundcheck.

Gelungene Performance, trotz mangelnder Audiodeskription von Isadora Duncan

Trotz der mangelnden Audiodeskription hat mir das Stück außerordentlich gut gefallen. Ich bekam den Eindruck einer Tänzerin, deren Kunst von den einschneidenden Erfahrungen ihres Lebens stark beeinflusst wurde, von den Wellen des Meeres über die Liebe zu ihren Kindern und dem Schmerz ihres Verlustes, als sie beide durch einen Unfall ums Leben kommen. Etwas langatmig wurde die Performance, als die dreizehn auserwählten ZuschauerInnen immer wieder denselben Tanz proben, besonders wenn man von den Gelächter hervorrufenden Bewegungen so gar nichts mitbekommt. Alles in allem war es jedoch eine gelungene Performance. Ich zumindest kann mir keine bessere Art vorstellen, das Leben einer Tänzerin darzustellen als durch den von ihr so geliebten Tanz.

Wenn ihr wissen wollt, welche Stücke demnächst mit Audiodeskription erscheinen, werft einen Blick auf unseren Spielplan!

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