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„Und man sieht nur die im Lichte. Die im Dunkeln sieht man nicht.“

Posted in Theaterrezension

Zugegebenermaßen habe ich nach der alten Aufnahme von „Mutter Courage“, die wir vor einem Jahr mit Audiodeskription gezeigt haben, gewisse Vorbehalte gegenüber der „Dreigroschenoper“. Adjektive wie langatmig und alt sind mir auf jeden Fall durch den Kopf geschossen. Schließlich konnte man der „Mutter Courage“ ihr Alter anmerken, besonders wegen der Aufnahmequalität und der schnarrenden Stimmen der Schauspieler*innen. Als ich dann aber am 28. November im Berliner Ensemble sitze, fallen mir ganz andere Wörter ein: Sozialkritisch, aktuell und wundervoll gesungen und gesprochen sind auf jeden Fall darunter. Ich habe einen tollen Theaterabend, und falls ihr mir glaubt, ohne den ganzen Beitrag zu lesen, kann ich euch die zweite Vorstellung der „Dreigroschenoper“ mit Audiodeskription am 15. Dezember 2021 nur ans Herz legen. Kritische Geister und Geisterinnen lesen bitte weiter.

Vor dem Stück

Ich komme an einer langen Schlange an. „O je, wie kommen wir denn an den ganzen Leuten vorbei?!“ Da stürzt schon ein Servicemitarbeiter auf uns zu und lotst uns in die Eingangshalle. Ein anderer Mitarbeiter checkt unsere Tickets, Impf- und Personalausweise. Dann geht es zur Ausgabe der Audiodeskriptionsgeräte und zur Abgabe der Jacken in der Garderobe. Der prophylaktische Toilettengang versteht sich von selbst. Ein echter Parcours! Ich bin froh, dass die Mitarbeiter*innen am selben Tag eine Sensibilisierungsschulung durchlaufen haben. Das lief doch wie am Schnürchen.

Das Stück beginnt

Als ich eine ViertelStunde vor dem Theaterstück in meinem Sitz bin und das Empfangsgerät anstelle, redet der Audiodeskriptor Felix Koch leider schon. Ich ärgere mich.Wie viel habe ich von der Einführung jetzt schon verpasst? Ein Hinweis auf den Beginn der Einführung bei der Ausgabe der Geräte wäre toll gewesen. Die Audioqualität ist sehr rauschig und leise. Ich habe Zweifel, ob ich ihn über das Orchester hinweghören werde. Die Lichter gehen jetzt aus und das Stück beginnt.

Eingenommen vom Klang der Stimmen

Die „Dreigroschenoper“ handelt von zwei Gangstern, die sich gegenseitig eins auswischen wollen. Jonathan Peachum ist Eigentümer der Bettlermafia, ein Unternehmen, das gezielt Bettler auf die Straße schickt, um sich Geld zu erflehen und danach einen Anteil der Ausbeute erhält. Mackie Messer ist ein Verbrecher, der stiehlt, mordet und betrügt. Besonders Frauen betrügt er, und genau das wird ihm später zum Verhängnis. Er heiratet Peachums Tochter Polly ohne dessen Erlaubnis. Der rächt sich, indem er ihn bei der Polizei anschwärzt und verhaften lässt. Nun soll Mackie gehängt werden. Zunächst gelingt es ihm allerdings zu fliehen. Für fast drei Stunden schwelge ich in den Stimmen der Schauspieler. Besonders Peachum, Mackie, Celia und natürlich der Mond haben es mir angetan. Obwohl ich insbesondere während des Gesangs nicht jedes Wort verstehe, bin ich doch vollständig eingenommen vom Klang ihrer Stimmen. Indes kann ich die Frauenstimmen von Polly, Lucy und Spelunken-Jenny nicht auseinanderhalten und bin froh, dass Felix immer wieder sagt, wer gerade spricht, singt oder sich auf Mackie stürzt.

Meine Vorstellungskraft ist eingeschränkt

Ich merke, dass mir die Tastführung fehlt. Die Bühne kann ich mir nur vorstellen, wenn Felix beschreibt, wo die Figuren sich gerade aufhalten. Von den Kostümen weiß ich nichts, außer dass Mackie einen Anzug aus blendendem weißem Stoff trägt. Ich kann nur immer wieder betonen, dass die rein akustische Beschreibung ohne irgendein haptisches Element meine Vorstellungskraft stark einschränkt. Ein Bühnenmodell, so abgespeckt es auch sein mag, würde einen gewaltigen Unterschied machen.

Eine der besten Stimmen

An der Audiodeskription habe ich kaum etwas auszusetzen. Im Gegenteil: Felix fühlt sich hörbar in das Stück ein. Seine Stimme bleibt zurückhaltend, aber wann immer es z.B. dramatisch wird, wird seine Stimme auch dramatischer. Das muss sie auch, da man ihn ansonsten über die Kombination „lauter Gesang und bombastische Musik“ kaum verstanden hätte.  An einigen Stellen beschreibt er wesentlich zu früh. Zum Beispiel vergehen einmal mehrere Sekunden, bevor das Licht, das ausgehen sollte, tatsächlich ausgeht. Wenige Male beschreibt er etwas wie ein Niesen, das ich auch ohne Beschreibung gehört hätte. Das stört mich aber nicht. Obwohl ich beispielsweise einen Kuss hören kann, will ich doch auch wissen, wer wen geküsst hat und wohin. Was mich jedoch verwirrt, ist die Satzaufteilung. An einigen Stellen muss Felix eine Beschreibung aufteilen, um nicht über den Gesang zu sprechen. Normalerweise kein Problem, sobald mehrere Sekunden vergehen und der Satz immer noch nicht beendet wird, frage ich mich, ob er sich einfach versprochen hat. Der Nachteil dieser Methode ist, dass ich wissen will, wie der Satz wohl enden mag und währenddessen nicht auf das Stück höre. Dann lieber mal kurz drüber gesprochen oder weggelassen.

Ich würde mir die Dreigroschenoper noch mal anschauen!

Und wenn ihr das auch wollt, gibt es noch Plätze für die Vorstellung mit Audiodeskription am 15. Dezember 2021. Tickets könnt ihr folgendermaßen reservieren: Per E-Mail an theaterkasse@berliner-ensemble.de oder telefonisch unter 030 / 28 40 81 55.

Unser Spielplan ist übrigens für Dezember 2021 und Januar 2022 wieder randgefüllt.

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