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Audiodeskription – mehr als reine Beschreibung

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Diese Stimme bekommt das Publikum der Audiodeskription nie zu hören. Ich habe bereits einen Beitrag über die Stimmen unserer sehenden Audiodeskriptor*innen geschrieben. Wer jedoch fast immer im Hintergrund bleibt, sind die blinden und sehbehinderten Autor*innen. Am 17. November führe ich deshalb ein Interview mit Pernille Sonne, einer blinden Autorin für Audiodeskription, die seit Jahren für das Schauspiel Leipzig an Live-Beschreibungen für Blinde und Sehbehinderte mitwirkt. Sie erzählt mir unter anderem, inwiefern Audiodeskription manchmal sogar zu viel beschreibt.

Lavinia: Du bist aus Dänemark. Wie bist du denn in Leipzig gelandet?

Pernille: 1989 habe ich in Deutschland ein soziales Jahr gemacht. Da war ich hochgradig sehbehindert. Später habe ich angefangen, hier zu studieren und schlussendlich habe ich in Alfter bei Bonn Schauspiel- und Sprachgestaltung studiert. Nach meinem Diplom und nach der Geburt meines Sohnes bin ich in den Jahren 1998 bis 2003 praktisch blind geworden. Meine Ehe ist gescheitert und 2003 bin ich mit meinem Sohn nach Leipzig gezogen, um zu einer neuen Liebe und zu einer neuen Stadt zu kommen. Seitdem bin ich hier in Leipzig.

Lavinia: Wie bist du zum Theater gekommen?

Pernille. Ich habe in meiner Jugend als Sehbehinderte immer gerne Theater gespielt. Es war im Schulsystem integriert, dass man jedes Jahr Aufführung hat. Ich liebe Bewegung und ich liebe Sprache und da ich immer eingeschränkter wurde in meiner sportlichen Bewegung, habe ich gedacht, „Aha, Theater! Die Bühne ist nicht so riesig, das kann man vielleicht bewältigen.“ Dann habe ich gedacht, bis ich blind werde, mache ich etwas draus und versuche, an der Kunsthochschule Schauspiel und Sprachgestaltung zu studieren.

Lavinia: Warst du dabei, als es im Schauspiel Leipzig mit Audiodeskription losging?

Pernille: Ja, das war 2013. Ich habe in einem Newsletter gelesen, dass das Schauspiel Leipzig nach Menschen für Audiodeskription sucht. Mein Herz hat dafür gepocht, Zu dem Zeitpunkt war ich aber im Urlaub und konnte nicht an dem ersten Wochenendworkshop mit Anke Nicolai teilnehmen. Kurz darauf hat mich eine Frau auf der Straße in meiner Wohngegend angesprochen. Sie ist aus ihrem Atelier gelaufen und hat gefragt, ob ich nicht Interesse hätte, an Audiodeskription für Blinde mitzuarbeiten. Sie hat mich sofort dazu eingeladen, bei der nächsten Audiodeskription dabei zu sein und ein Praktikum im Schauspielhaus zu absolvieren. Das war eine der Autorinnen, und ich habe daraufhin mitgemacht.

Lavinia: Was ist dein Job als blinde Autorin von Audiodeskription?

Pernille: Mein Job ist es, erstmal das pure Stück ohne Audiodeskription zu hören und zu erzählen, was ich höre, was mein Eindruck ist, wo ich Fragen habe oder etwas nicht verstehe. Dann wissen die sehenden Autoren, wo sie ansetzen müssen.

Mein Wunsch ist es, dass ich den Inhalt des Stückes und die Deutung des Regisseurs spüren kann. Ich will nicht, dass die Autoren etwas dichten, sondern, dass es sich ergänzt und eine Einheit ist. Ich bin oft diejenige, die sagt: „Nicht zu viel texten!“ Ich höre schon das und das. Lass Raum für das was offensichtlich zu hören ist!“

Lavinia: Was ist denn zu viel texten?

Pernille: Wenn die Audiodeskriptorin Dinge sagt, die ich mir schon denken kann. Zum Beispiel sagen sie: „Sie stehen sich gegenüber.“ Ich gehe davon aus, dass sie sich gegenüberstehen, weil sie schon fünf Minuten geredet haben und ich höre, dass diese beiden Menschen zueinander sprechen. das brauche ich nicht extra hören. Aber wenn etwas Besonderes in der Gestik passiert, würde ich das gerne mitbekommen. Zum Beispiel, Wie genau sie sich gegenüberstehen.

Lavinia: Wie können Theaterstücke abgesehen von der reinen Beschreibung vermittelt werden?

Pernille:  Ich finde es wichtig, dass wir die Bühnenbegehung haben, damit man für den Raum ein Gefühl bekommt, bestimmte Requisiten anfasst, vielleicht sogar Schauspieler in Kostümen berührt und Moves mitmacht, gerade wenn es in Richtung Tanz geht. Beim Schauspiel und Tanz ist es wichtig, was im Raum passiert und wenn wir das in der Audiodeskription immer übersprechen, fehlt mir oft das eigene Mitatmen und das Gefühl für die Stimmungen auf der Bühne. Ich brauche als Blinde für die Verarbeitung der Worte eine gewisse Zeit und wenn in der Audiodeskription zu viel beschrieben wird, bringt mich das dazu, auszusteigen. Wenn die Schritte und die Stimmen pur auf der Bühne zu hören sind, habe ich eine gute Wahrnehmung davon, wo sich die Schauspieler im Raum befinden. Leider wird heute viel über wahnsinnigen Sound gesteuert. Dadurch fehlen die Nuancen in der Tiefe der Bühne. Du hörst nicht mehr, wie die Schauspieler laufen. Es ist wie auf einem Plakat. Das hat keine Tiefe. Dann ist es noch schwieriger zu orten, wo was passiert. Deswegen gehe ich auch sehr gerne auf kleinere Bühnen, wo man noch die Schritte hören kann. Wir sollten unsere anderen Sinne, über die wir als Blinde auch etwas mitbekommen, mit einbauen.

Lavinia: Was du erzählst, geht über die Audiodeskription als Beschreibung des visuellen Bühnengeschehens hinaus, müsste aber ein Teil der Vorbereitung auf ein Stück sein, oder?

Pernille: Es ist wichtig, die blinde Autorin in den Prozess der Stückentwicklung einzubeziehen, um dafür zu sensibilisieren, was wir neben der Audiodeskription akustisch und haptisch wollen. Die reine visuelle Beschreibung ist „overloaded“. In der Zeit, in der ein Auge etwas scannen kann, kann man auditiv nur minimal etwas wiedergeben. Deswegen muss man reduzieren. Das ist auch eine Form von Kunst. Ich möchte gern klarmachen, dass für mich die Ergänzung des Räumlichen wichtig ist. Es gibt noch viele Möglichkeiten, uns als blinde und sehbehinderte Menschen nicht nur als Hörende wahrzunehmen und davon auszugehen, dass das Visuelle das Spannendste ist.

Vom 16. Bis zum 18. Dezember zeigen die Sophiensäle die Performance „Baby Choir“, an der Pernille Sonne als Autorin für Audiodeskription mitgewirkt hat. Tickets bekommt ihr unter jeske@sophiensaele.de.

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