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Hamlet – eine Performance mit Audiodeskription

Posted in Theaterrezension

„Wer Ohren hat, der höre“, denke ich, als ich in einer Performance mit Audiodeskription sitze und versuche, mir den Kopfhörer meines Empfangsgeräts noch dichter ans Ohr zu pressen, um die viel zu leise Audiodeskription verstehen zu können. In der einen Stunde Spieldauer gelingt mir das mittelmäßig. Ungefähr ein Viertel der Live-Beschreibung wird von der lauten Hintergrundmusik verschluckt. Was ich mitbekomme, begeistert mich allerdings.
Unheimlich, eklig und doch seltsam ansprechend ist die Performance „Hamlet“ von Dewey Dell mit einer Choreografie von Teodora Castellucci. Das Stück wird in den Uferstudios im Rahmen der Tanznacht 2021 für ein ausgewähltes Publikum von nicht mehr als zweiundvierzig ZuschauerInnen gespielt. Vier davon sind blind bzw. sehbehindert und können sich auf eine Tastführung mit anschließender Audiodeskription von Emmilou Rößling freuen. Das heißt, sie könnten es, würde die Technik mitspielen.

Am Anfang steht die Tastführung

Beginnen wir mal am Anfang. Zu Beginn einer jeden Vorstellung mit Audiodeskription steht bei einer Präsenzveranstaltung eine Tastführung. Meine letzte Tastführung ist coronabedingt bereits fast ein Jahr her. Es war „Der Herr der Krähen“ von der Jugendtheaterwerkstatt Spandau.
Beim Betreten des Saals bin ich überrascht. Ich rieche Pizza oder Brötchen? Auf jeden Fall irgendeine Art Teig. Emmilou klärt auf. Hamlets verblichener Vater wurde von dem Künstler Matteo Lucca als menschengroße Skulptur aus Brot gebacken. Das Brot wurde konserviert, damit sein verbrannter Duft den ganzen Raum ausfüllt. Die Skulptur fühlt sich an wie Holz. Sie hat im Backprozess Blasen geworfen und wirkt dadurch deformiert. Wenn ich mir vorstelle, dass Hamlets Vater im Originaldrama im Fegefeuer schmort, vergeht mir jeder Gedanke an Abendessen.
Einige weitere Kostümstücke werden herumgereicht. Was mir am meisten im Gedächtnis bleibt, ist das Mottenkostüm, das sich einer der drei PerformerInnen (Dylan, Ivan und Layton) überzieht. Der Gedanke, eine Motte anzufassen, jagt mir Gänsehaut über den Rücken, egal wie oft mir die sehenden BegleiterInnen sagen, wie süß das Kostüm ist. Tatsächlich fühlen sich die Flügel flauschig an. Vor den klebrigen Antennen schreckt meine Hand jedoch zurück und ich kann ein Schaudern nicht unterdrücken. Während die anderen mich auslachen, weiche ich erleichtert vor dem Insektenkostüm zurück.

Ausdrucksstarke Bilder, eklige Hintergrundgeräusche

Beim Sound-Check hat sich die Hintergrundmusik schon als derart laut erwiesen, dass die Audiodeskription in der ersten Reihe gar nicht zu hören war. Wir können uns also entscheiden: Überhaupt keine visuellen Eindrücke für diejenigen, die noch einen Sehrest haben oder keine Audiodeskription. Ich will lieber die Audiodeskription hören und setze mich nach hinten. Es geht los und leider ist Emmilous Stimme selbst bei voller Lautstärke und dicht ans Ohr gepresst immer noch schlecht zu verstehen. Das ist schade, denn die Wendungen, die ich hören kann, malen ein unheimliches, aber klares Bild vor meinem inneren Auge.

„Hamlet tritt in den Schatten des Brotmannes.“
„Er hüpft wie ein Affe.“
„Hamlet schlägt in die Luft, als würde er einen Rivalen abwehren.“

Hamlet ist vom Geist seines Vaters besessen. Der gesamte Raum scheint besessen zu sein, zumindest olfaktorisch. Als nächstes betreten zwei weitere Figuren die Bühne. Im Hintergrund summt eine gigantische Fliege aggressiv und verstärkt durch die Lautsprecher, während die drei PerformerInnen auf den Thron des Königs einschlagen und mit Hörnern wie Stacheln auf ihn einstechen. Die Performance greift insbesondere das von Hamlet für seinen mordenden Onkel Claudius inszenierte Stück „Die Ermordung des Gonzago“ auf. Red Face mit einer roten Maske sitzt auf dem Thron, während Grey Face um ihn herumscharwenzelt. Die beiden PerformerInnen tragen Theatermasken. Letztendlich wirft Hamlet Red Face vom Thron.
Besonders eindrucksvoll finde ich überraschenderweise die Motte. Sie kriecht mit letzter Kraft über die Bühne. Dann erblickt sie ein glitzerndes Licht und stürzt sich mit einer letzten Anstrengung hinein. Ein wundervolles Bild, um Ophelias Tod darzustellen.
Die gesamte Performance besteht aus ausdrucksstarken Bildern, untermalt von unheimlichen oder ekligen Hintergrundgeräuschen wie einem flackernden Feuer oder der Fliege, deren Summen von den Flammen verzerrt wird.

Niemand hört die Audiodeskription gut

Trotz der Bilder, der effektiven Geräuschkulisse und dem Olfakto-Geist von Hamlets Vater ist die geringe Lautstärke der Audiodeskription ein Manko des Stücks. In Rücksprache mit anderen blinden ZuschauerInnen hat sich ergeben, dass niemand die Audiodeskription gut hören konnte. Dadurch hat die ansonsten starke Performance, und nachdem, was ich hören konnte, abwechslungsreich gewählten Worte von Emmilou, an Qualität verloren. Egal, wie toll eine Performance oder Audiodeskription ist, wenn ich sie nicht hören kann, nützt sie mir als Blinde nichts. Im Gegenteil: Wenn ich sie nur erahnen kann, macht mich das noch frustrierter. Wenn das schon während des Sound-Checks absehbar ist, dann sollte in den sauren Apfel gebissen und die Hintergrundmusik heruntergedreht werden. Alternativ sollte die Audiodeskription an Lautstärke zunehmen, was mir persönlich natürlich am liebsten wäre. Ansonsten ist letztendlich die ganze Arbeit für nichts.
Wer Ohren hat, der höre!

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