Ein Theaterstück mit Bildern zum Hören wird demnächst im Theater an der Parkaue aufgeführt. Im zweiten Teil unseres Interviews mit dem Dramaturgen Justus Rothlaender sprechen wir über das Stück „Pythonparfum und Pralinen aus Pirgendwo“. Das Stück wird voraussichtlich am 20. Dezember mit Audiodeskription gezeigt.
LAVINIA: Hast du schon einmal ein Stück mit Audiodeskription mitbekommen?
JUSTUS: Tatsächlich nur in der Audiodeskriptionsschulung 2019. Wir haben mit kleinen Fragmenten gearbeitet und haben ausprobiert: Wie lassen sich bestimmte Szenen und Sequenzen beschreiben? Dann sind wir quer durch alle Genres gegangen, von der Oper, über das Ballett bis hin zum Sprechtheater.
LAVINIA: Warum habt ihr euch entschieden, „Pythonparfum und Pralinen aus Pirgendwo“ mit Audiodeskription zu zeigen?
JUSTUS: Wir wollten eine Möglichkeit schaffen, nicht nur Schulklassen einzuladen, sondern auch Familien, in denen es einen Menschen mit Sehbehinderung oder Blindheit gibt. Und dann halten wir es für eine spannende Herausforderung für eine Audiodeskription. Für mich war die Audiodeskriptionsschulung im September ein Forschungsfeld. Es gibt das Projekt „Berliner Spielplan Audiodeskription“ und hier den Anspruch, Zugänge zum Berliner Theater zu schaffen. Für mich ist es interessant, wie sich Theateraufführungen oder Performances mit Audiodeskription begleiten lassen, die sich erstmal dafür nicht anbieten würden. Wir haben uns deshalb für ein Stück entschieden, was nicht unbedingt einfach zu beschreiben ist, weil Gregory Caers als Regisseur nicht mit Sprache, sondern viel mit Bewegung und Bildkompositionen arbeitet. Für uns entsteht da die Forschungsfrage: Wie können wir so eine künstlerische Arbeit transportieren? Und, können wir das überhaupt transportieren?
LAVINIA: Warum sollten blinde oder sehbehinderte Kinder oder Eltern unbedingt in dieses Stück kommen?
Justus: Das Stück ist eine Einladung, mit in eine andere Welt zu gehen. Eine große Bühnenphantasie, die darauf wartet, entdeckt zu werden. Es ist eine Geschichte, die auf vielen Ebenen Geheimnisse birgt, seltsam ist und gleichzeitig über ein gemeinsames Erleben, ein gemeinsames Lachen und Traurig sein, Verbindungen schafft. Es ist eine Qualität dieser Arbeit, dass sie viele Menschen auf vielen verschiedenen Ebenen anspricht und neugierig macht.
LAVINIA: Ist das Publikum in das Stück integriert?
JUSTUS: Es gibt immer eine Einladung, ein Bild wahrzunehmen, zu erleben und für sich selber Verbindungen zu knüpfen. Das ist sicherlich eine Herausforderung an die Audiodeskription, die ich aber ganz spannend finde, weil es etwas ist, womit Theater viel arbeitet. Die Bilder auf der Bühne funktionieren über Leerstellen. Es wird nichts erklärt und die Deutung bleibt beim Publikum. Spannend und merkwürdig ist zudem die erstmal einfache Geschichte von unterschiedlichen Figuren und Persönlichkeiten, die auf der Durchreise in einem geheimnisvollen Hotel landen und sich hier begegnen, ohne sich zu kennen. Jede Figur, jeder Mensch trägt seine eigene Welt in dieses Hotel hinein und diese Welten treffen dann aufeinander.
LAVINIA: Also perfekt für alle Generationen?
JUSTUS: Es funktioniert fast wie ein Bilderbuch. Wie es jetzt angelegt ist, gibt es verschiedene Sequenzen und Momente, die sehr für sich stehen. Dann blättern wir um und es entsteht ein nächstes Bild, ein neuer Moment. Es gibt etwas sehr Spielerisches in diesen Bildern und gleichzeitig haben sie auch immer eine Ebene an Zeichen, die über sich hinausdeuten können oder es zumindest anbieten.
Als könnten wir mit Blick auf das Publikum für das wir eigentlich arbeiten – das sind fünfjährige Menschen – einen Blick auf etwas werfen, was unserer Gesellschaft als Dynamik zutiefst eingeschrieben ist. Es gibt z.B. eine Sequenz, wo jemand mit einem Finger auf eine andere Person zeigt und ihm damit die Schuld zu schiebt. Das greift auf einmal auf die ganze Gruppe über, dass sich alle gegenseitig die Schuld zuschieben und einander beschuldigen, etwas getan zu haben, was niemand getan hat. Das ist auf der einen Ebene natürlich etwas, was Kinder probieren: „Das bin ich nicht gewesen! Das war jemand anders!“ Gleichzeitig bewegen wir uns in einer Gesellschaft, die ausgrenzt, indem Menschen eine Schuld zugewiesen wird, und über diese Schuld eine Empörung und eine Absonderung entsteht.
LAVINIA: Auf eurer Seite steht in der Beschreibung: Großes Ensemble, viel Humor und fast ohne Sprache. Das wird ja dann in der Audiodeskription anders sein. Was glaubst du, ist da die Herausforderung?
JUSTUS: Ich glaube, die Herausforderung ist die Bewegungsabläufe zu erfassen, die nahe in Richtung Tanz gehen und gleichzeitig zu vermitteln, was eigentlich die Stimmungen sind, die dabei entstehen.
LAVINIA: Habt ihr eine Tastführung geplant für „Pythonparfum und Pralinen aus Pirgendwo“?
JUSTUS: An sich ja. Es würde sich auch lohnen, weil es ein tolles Bühnenbild von Martina Lebert gibt. Es hat Operndimensionen. Es ist bis zu acht Meter hoch und ist ein naturalistisch nachgebautes Hotel aus den fünfziger Jahren. Eigentlich wäre es für das Theatererlebnis wichtig, eine Tastführung umzusetzen und hier vielleicht mit Handschuhen zu arbeiten. Vielleicht hat man die Schauspieler nicht direkt vor Ort auf der Bühne, aber zumindest ein Kostüm, das sich ertasten lässt. Auf der großen Bühne gibt es genug Platz für eine Gruppe an Menschen.
Lavinia: Würdest du das Stück auch mit Audiodeskription zeigen, wenn nur ein einziges blindes Kind dabei wäre?
Justus: Ich glaube, dass es sich immer lohnt. Was ich wichtig finde ist, überhaupt zu beginnen. Es gibt die Möglichkeit, Theater so zu begleiten, dass es für Menschen mit Blindheit und Sehbehinderung einen Zugang gibt, egal wie alt sie sind und egal wie groß dieses Publikum ist. Es geht nicht um Zahlen, sondern darum Zugänge zu schaffen und ein Bewusstsein dafür zu entwickeln.
Das Interview mit Justus erscheint demnächst auf unserem Podcast-Kanal. „Pythonparfum und Pralinen aus Pirgendwo“ mit Audiodeskription ist für den 20. Dezember 2020 geplant. Abweichungen sind jedoch möglich. Deshalb behaltet unseren Spielplan im Auge.
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