Wieder einmal geschlossene Türen im Theater. Leider bedeutet das in vielen Fällen, dass selbst an Theatern, die bereits die Wiedereröffnung planen, Inklusion oftmals in den Hintergrund rückt. Justus Rothlaender (Dramaturg am Theater an der Parkaue) berichtet in einem Interview von der momentanen Situation und was sein Haus in Sachen Barrierefreiheit geplant hat.
LAVINIA: Was wäre deine größte Sorge, wenn das mit Corona erstmal so weiter geht und die Theater geschlossen bleiben müssten?
JUSTUS: Es fühlt sich wie eine Bedrohung an. Man muss sagen, dass die freie Szene, die in Berlin ganz maßgeblich für eine kulturelle Bandbreite sorgt, sehr divers aufgestellt ist. Diese freie Szene ist aus wirtschaftlichen Gründen in der ganzen Breite bedroht. Die Gelder und die Mittel fehlen, damit die Menschen ihre Arbeit und ihre Kunst weiterhin machen können, so wie sie bis jetzt gemacht wurde. Diese ökonomische Seite nimmt einen doch sehr maßgeblichen Einfluss auf unsere Realität. Deshalb sind Appelle, die in Richtung Politik gehen, höchst angebracht, wenn es darum geht, dass man diese Szene auch erhalten möchte und als etwas wertschätzt, was Berlin zu einer ganz besonderen Stadt macht.
LAVINIA: An vielen Theatern sehen wir Livestreams und Online-Varianten vielleicht noch eher so ein bisschen als Übergangsform, als Trostpflaster bis die Theater wieder öffnen können. Könnte man das auch positiv sehen?
JUSTUS: Nichts ersetzt im Theater die Begegnung. Das Theater fußt darauf, dass alles, sowohl das Publikum als auch diejenigen, die auf der Bühne stehen und performen, in einem Raum stattfindet. Deshalb ist es eine andere Erfahrung, die sich von einem Film, von einem Radiobeitrag, von einem Hörspiel unterscheidet und damit ganz bewusst umgeht. Nichtsdestotrotz glaube ich, dass es eine Herausforderung ist und ganz deutlich zeigt, dass es etwas ist, was in den Theatern bis jetzt stark vernachlässigt wurde. Es fehlt die Expertise. Für mich ist es gerade eher so, dass das Theater auf digitale Mittel aufmerksam wird und sich diese digitalen Mittel anders zu eigen machen kann: Dass es eine Qualität gibt, diese Mittel so einzusetzen, dass sie für eine Überraschung sorgen können, dass sie eine andere Art von Begegnung stiften können, als wir es bis jetzt auch mit diesen Mitteln gewohnt sind. Das ist eine Qualität des Theaters, dass es eine ständige und auch sehr schnelle und neugierige und wache Suche geben kann, diese Mittel anders einzusetzen und dann auch kritisch zu befragen.
LAVINIA: Habt ihr irgendwas Inklusives geplant, wo ihr so viele digitale Sachen wegen des Lockdowns macht?
JUSTUS: Ich muss ganz ehrlich sagen: Ich glaube, wenn man es selbstkritisch formuliert, muss das bei uns noch wachsen. Es gibt diesen zweiten Lockdown und dann gibt es eine Reaktion aus dem Theater heraus: Wir schauen, wie wir das anders inszenieren können, also auch für ein anderes Medium. Und diese Frage nach der Barrierefreiheit ist immer noch eine nachgerückte Frage. Es ist interessant, wenn wir jetzt darüber sprechen, aber ich merke, dass das etwas ist, was eigentlich als Perspektive fehlt.
LAVINIA: Nehmen wir mal an, ihr könnt im Dezember wie gehabt öffnen, welche Hygienemaßnahmen ergreift ihr, damit die Menschen ungefährdet ins Theater kommen können?
JUSTUS: Wir haben schon vor dem Teil-Lockdown ziemlich strenge Hygienemaßnahmen gehabt. Ich hatte häufig das Gefühl, dass ein Theater eines der sichersten Orte ist, in dem ich mich bewegen kann. Ich hatte selten so viel Platz um mich herum in Berlin, wie in dem Theatersaal. Und bei uns ist es so, dass wir sehr streng mit der Mundschutzpflicht umgehen. Wir haben uns dazu entschieden, obwohl wir Lüftungsanlagen haben, die es uns erlauben würden, mit über 100 Menschen ohne Mundschutz im großen Saal zu sitzen, trotzdem den Mundschutz aufzulassen, um den weiteren und größeren Schutz zu gewähren. Gleichzeitig gibt es strenge Regelungen, was den Einlass angeht.
Wir achten darauf, dass auch von der Bühne keine Ansteckungsgefahr ausgeht, weil unsere SpielerInnen ohne Mundschutz spielen und wir teilweise die Stücke, die wir im Repertoire haben, uminszeniert haben, um den Abstand zum Publikum in den Stücken zu haben. Es ist schon ziemlich viel passiert, damit Theater stattfinden kann.
LAVINIA: Nun sind viele Blinde und Sehbehinderte in der Risikogruppe. Ihnen fällt es zum Beispiel schwer, Abstand zu halten oder die Desinfektionsspender zu finden. Was habt ihr speziell für Blinde und Sehbehinderte geplant?
JUSTUS: Das müssen wir auf jeden Fall in Angriff nehmen, für die Audiodeskriptions-Premiere von „Pythonparfum und Pralinen aus Pirgendwo“. Wir haben uns gemeinsam mit Imke Baumann von Förderband entschieden, zu sagen: Für die digitale Tastführung im Oktober bringen die Menschen jeweils eine Begleitperson mit und sind so im Haus bei uns unterwegs, weil wir nicht so schnell mit unserem Personal darauf reagieren konnten. Es geht auch einfach darum, dass wir unser Personal schulen, dafür sensibilisieren, was es eigentlich braucht und auch in ständiger Absprache sind. Es ist auch etwas, was wir in den Blick nehmen wollen, es ist uns ganz wichtig, niemanden auszuschließen. Und gleichzeitig ist es etwas, was ich zum Beispiel in der Arbeit merke, dass es immer nochmal hilft, auf Sachen aufmerksam gemacht zu werden. So wird es mit den Kolleg*innen vom Förderband und unseren Mitarbeiter*innen vom Haus eine Schulung geben, um alle Mitarbeiter*innen auf die AD-Premiere vorzubereiten.
LAVINIA: Es gab von einigen Theatern die Rückmeldung: Inklusion, darum können wir uns jetzt nicht auch noch kümmern! Es ist, als sei Inklusion ein Luxus, der in Corona-Zeiten wegfallen kann. Was würdest du dazu sagen?
JUSTUS: Wenn man das in der Konsequenz weiterdenkt, dann heißt das eigentlich, dass man den Menschen den Zugang verwehrt, in Corona-Zeiten ins Theater zu gehen oder auf eine Art teilzuhaben. Das muss ja nicht nur der Bühnenraum sein, sondern das ist auch eine Frage von: Gibt es ein Video? Gibt es Stream, der mit Audiodeskription begleitet wird? Wie sieht ein Konferenzformat aus? Ich glaube, dass in der Gesellschaft, in der wir leben, der Anspruch bestehen muss, dass es diese Zugänge zum Theater gibt und zu der Kunst, die wir machen. Also, ich würde diesem Statement widersprechen und sagen, es ist die Herausforderung, der wir uns zusätzlich widmen müssen, wenn wir es ernst meinen, dass wir einen breiteren Zugang zu der Kunst schaffen wollen, die hier stattfindet.
LAVINIA: Also Barrierefreiheit nicht nur als Luxus, sondern als Teil dieses Theaterkonzepts?
JUSTUS: Unbedingt, und ich muss auch sagen, dass wir vor dem Lockdown tatsächlich schon einmal weiter waren. Es gibt immer noch Gespräche und Verhandlungen darüber, dass wir ein Leitsystem bei uns im Haus installieren wollen, ähnlich wie in der Berlinischen Galerie. Barrierefreiheit soll ein integraler Bestandteil im Theater an der Parkaue werden. Ich wünsche uns, damit so weit zu kommen, dass darüber gar nicht mehr diskutiert werden muss.
Den zweiten Teil des Interviews könnt ihr nächsten Montag hier finden. Darin geht es um das Stück „Pythonparfum und Pralinen aus Pirgendwo“, das letzte Stück mit Audiodeskription, das dieses Jahr im Berliner Spielplan Audiodeskription noch auf dem Programm steht.
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