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Eine Performance, die die Scham ins Rampenlicht stellt

Posted in Theaterrezension

Wenn ihr schon immer mal sehen wolltet, wie eine Tanzperformance mit Audiodeskription sein kann, hört mal in „School of Shame“ rein.

„Du solltest dich was schämen!“ Wie oft haben wir diesen Satz von Eltern und Autoritätspersonen gehört? „School of Shame“ ist eine Musical-Performance des Tanzlabor Leipzig in Kooperation mit dem Performance-Kollektiv POLYMORA Inc. Hier befassen sich fünf diverse PerformerInnen – Jana Zöll, Jutta Tille, Aisha Konaté, Mono Welk, Alexandra Schwartz – mit der Scham und ihrer Überwindung. Diese sitzen unter anderem im Rollstuhl, sind androgyn gekleidet oder haben dunkle Haut. „School of Shame“ ist eine abwechslungsreiche Musical-Performance, die zeigt, auf welche Arten sich besonders soziale Minderheiten schämen können. Ein Stück, das die Scham ins Rampenlicht stellt.

Die PerformerInnen suhlen sich geradezu in ihrer Scham

Da wird eitel in den Spiegel geschaut, das Spiegelbild geküsst, sich genüsslich über den Körper gefahren und in der Öffentlichkeit masturbiert. Auf der anderen Seite wird sich aber auch geschämt und das nicht zu knapp. Jutta klagt darüber, dass sie langsamer spricht als ihre Klassenkameraden. Die dunkelhäutige Aisha macht sich Sorgen über ihre „Reinheit“. Die PerformerInnen rollen sich auf dem Boden zusammen und machen sich ganz klein,. Immer wieder singen sie Lieder, darunter „Ich find dich scheiße“ von Tic Tac Toe oder Queens „I want to break free“.
Zwischendurch werden Geschichten der Scham eingespielt, zum Beispiel von einem Mädchen, das sich mit ihrer Freundin die BHs ihrer Mutter anzieht, mit Socken ausstopft und damit auf die Straße geht. Als sie von ihrer Ballettlehererin erwischt wird, schämt sie sich.

Der Audiodeskriptor beschreibt sich selbst gleich mit

Als ich die Seite öffne, geht es sofort los. Ich bin keine Freundin von Videos, die einfach anfangen. Dann muss ich über das Gesagte hinweg den Pausenschalter finden und das ist mit Screenreader eine Herausforderung. Sobald ich mich zurechtgefunden und noch einmal zurückgespult habe, fängt der Audiodeskriptor Matthias Huber an zu sprechen. Netterweise erzählt er nicht nur, wer an dieser Inszenierung beteiligt ist und beschreibt die PerformerInnen, sondern sich selbst auch gleich mit: „Ich bin ein kräftiger mittelgroßer weißer Mann mit blonden kurzen Haaren.“ Ich halte das für einen netten Touch. In den meisten Fällen bleibt der Audiodeskriptor nämlich eine körperlose Stimme.
Matthias hat eine angenehme Stimme, redet in die Sprechpausen und da verhältnismäßig wenig gesagt und eher gestikuliert wird, fügt sich die Beschreibung gut in das Stück ein. Leider kann die Aufnahmequalität des Videos nicht ganz mit der der Audiodeskription mithalten und so hätte ich mir an manchen Stellen von Matthias eine Zusammenfassung des Gesagten gewünscht. Das bietet sich besonders dann an, wenn die PerformerInnen schlecht verständlich sind.
Zumeist verwendet Matthias schöne bildhafte Beschreibungen wie: „Sie rudert mit den Armen.“ Einige wenige Male ist mir aber nicht klar, was eine Beschreibung bedeuten soll. Was heißt, „wackelt gegenläufig mit den Fingern“ oder „tanzt mit zeitgenössischen Bewegungen“? Ein bisschen konkreter darf es hier gerne sein.

Im Vergleich zur Audiodeskription ist die Aufnahme teilweise nicht zu verstehen

Bei der Aufnahme handelt es sich um eine Aufzeichnung aus dem Jahr 2019, die ursprünglich für interne Zwecke gedacht war. Das kann man auch sehr gut hören. Wie schon bei Peer Gynt ist die Aufnahme Im Vergleich zur Audiodeskription teilweise nicht zu verstehen. Der Gesang ist leider für mich fast unverständlich, besonders, wenn mehrere PerformerInnen zusammen singen. Es klingt dann immer etwas wie schlecht gesungenes Karaoke. Natürlich weiß ich als eingefleischter Karaoke-Fan, wie peinlich es sein kann, wenn man nicht den richtigen Ton trifft. Die PerformerInnen erfreuen sich an den falschen Tönen. Öfter singen sie Tonleitern auf das Wort „Scham“. Worüber ich mir generell oft nicht sicher bin: Wer spricht eigentlich? Matthias nennt ab und zu die Namen der Sprechenden. Gleichzeitig werden öfter Tonspuren eingespielt. Ich habe bei diesem Wechsel letztendlich die Orientierung darüber verloren, wer eigentlich spricht. Hier anzusagen, ob es eine Tonspur ist oder doch eine der PerformerInnen, würde der Verwirrung vorbeugen.

„Scham kommt selten allein“

„School of Shame“ zeigt viele beschämende Situationen und auch die Diversität als Ursache von Scham wird wunderbar dargestellt. Am eindrucksvollsten habe ich Jana empfunden, wie sie sich lasziv im Rollstuhl räkelt und auch Jutta, die sich wegen ihrer langsamen Stimme schämt, hat mein Interesse geweckt. Leider werden diese Stränge immer wieder fallengelassen und die Konsequenzen der Scham nicht genügend herausgearbeitet. Der Fokus liegt mal auf Behinderten, mal auf Ausländern, dann wieder auf Frauen und sexueller Andersartigkeit. „Scham kommt selten allein“, heißt es in der Beschreibung der Performance. Genau, aber ohne Fokus kann ich dem Ganzen schlecht folgen. Ich finde, „School of Shame“ will zuviel auf einmal. Dadurch finde ich keinen richtigen Bezug zum Thema und die Performance kommt mir stellenweise unzusammenhängend vor.

Wollt ihr euch auch einmal schämen?

„School of Shame“ ist noch bis Ende August 2020 online. Wenn ihr schon immer mal sehen wolltet, wie eine Tanzperformance mit Audiodeskription sein kann, schaut und hört mal rein. Verpasst auch nicht unseren nächsten Podcast! Am 24. August 2020 geht es unter anderem um den dritten Theaterclub und die vergangene Spielzeit.

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