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„Peer Gynt“ – ein fantasievolles Theaterstück mit schlechter Soundqualität

Posted in Theaterrezension

Eine Welt voller Mythen, Lügengeschichten und psychologischen Abgründen – das ist Henrik Ibsens Werk „Peer Gynt“. Am 21. Mai 2020 zeigt das Schauspiel Leipzig wieder einmal seine Vorliebe für inklusive Theatererlebnisse. Für 24 Stunden kann man die „Peer Gynt“-Inszenierung von Philipp Preuss mit einer Audiodeskription von Florian Eib als Livestream erleben.
„Peer Gynt“ zeigt die Lebensgeschichte der gleichnamigen Hauptfigur. Nachdem seine Familie verarmt ist, lebt er alleine mit seiner Mutter und erfindet ein fantastisches Abenteuer nach dem anderen. Der Held seiner unwahrscheinlichen Geschichten ist er selbst. Mal ist er ein Kaiser, mal ein erfolgreicher Geschäftsmann, mal ein Prophet. Aber immer ist er auf der zwanghaften Suche nach Aufmerksamkeit und fantastischen Abenteuern. Ein Stück, das live im Theater sicherlich fantastisch mitzuerleben ist, als Livestream aber leider nicht mithalten kann.

„Träume sind Schäume“

Für mich waren zwei Aspekte der Inszenierung bemerkenswert: als erstes der Schaum. Wie ich es verstehe, ist die Bühne nahezu über die gesamte Dauer des Stücks von weißem Schaum überzogen. „Träume sind Schäume.“ Das hat sich Preuss zu Herzen genommen und das formbare Material im Stückverlauf als Baustein für Peers Fantasiewelten eingesetzt. Mal dient er als Wolken, aus denen die Figuren auftauchen und wieder verschwinden. Dann ist der Schaum das Meer, das Peer auf seinem Weg nach Afrika und zurück überqueren muss. Dann wieder dient er Peer als Krone. Nie ist er gleich. Immer kann er passend zu Peers Wünschen neu gedacht und geformt werden. Eine fantastische Verbildlichung von sagenhaften Traumwelten.
Der zweite bemerkenswerte Aspekt ist Peer selbst, denn er wird nicht nur von einem, sondern von insgesamt sechs Schauspielern verkörpert. Diese übernehmen im Übrigen auch den Rest der Figuren. Am Ende seines Lebens erklärt der alte Peer, dass er wie eine Zwiebel ohne Kern sei. Die sechs Peers sind Ausdruck seiner inneren Zerrissenheit. Sein Leben lang fragt er sich, wer er eigentlich ist und findet es nicht heraus. Die Sechs sind über das ganze Stück hinweg im Zwiegespräch. Sie erfinden neue Geschichten zusammen, streiten sich, töten einander sogar. Dadurch verdeutlichen sie Peers psychisches Dilemma auf erschreckende Weise.

„Jetzt sind wir genug gefahren!

Zweieinhalb Stunden mögen die perfekte Länge für einen Theaterbesuch sein. Als Livestream mit schlechter Soundqualität zieht sich jedoch besonders die letzte Stunde wie zäher Kaugummi. Während die Stimme von Florian Eib volltönig durch die Lautsprecher schallt, verstehe ich das tatsächliche Stück an vielen Stellen nicht. Besonders Aase und der Trollkönig gehen fast vollständig unter. Um etwas zu verstehen, muss ich den Ton so stark aufdrehen, dass die Audiodeskription unausstehlich laut durch mein Wohnzimmer dröhnt. Eine Lautstärke, die ich ansonsten nur vom Fernseher meiner älteren Nachbarin gewohnt bin. Eine Anpassung der Tonspuren, aber vor allem eine bessere Aufnahmequalität des Stückes hätte ich mir gewünscht.

Verwirrung in Peer Gynts Traumwelt

Obwohl „Peer Gynt“ mit wunderbaren Bildern wie dem Cadillac als Schiff, dem Schaum und den sechs Peers spielt, verursachen die schlechte Sound-Qualität und der nahtlose Übergang zwischen den Szenen einige Verwirrung. Es gibt keinen klaren Szenenwechsel. Deshalb verschwimmt ein Gedanke in den nächsten. Plötzlich sind wir bei Ingrid, die von Peer verführt wird, dann bei Peer zu Hause, dann in der Trollwelt, dann wieder bei Peer, dann in Afrika in einem Cadillac. Währenddessen bringen sich die Figuren selbst oder gegenseitig um, „geilen sich aneinander auf“ und masturbieren auf der Bühne. Ich fühle mich wie in einer Traumwelt, die mich mit unzusammenhängend erscheinenden Bildern bombardiert, deren Sinn ich kaum verstehe. Dazu gehört leider auch Solveigs Bedeutung für Peer und das Stück. Immer wieder wird ihr Bild an die Wand projiziert. Sie wirkt dabei eher als Traumbild denn als Peers einzige Liebe gezeigt.

Fazit zu Peer Gynt

Alles in allem ist „Peer Gynt“ von Philip Preuss zwar eine fantastische Inszenierung, die Peers Traumwelten als flüssige ineinander überlaufende Gebilde darstellen. Auf der anderen Seite scheint es bis auf die Tatsache, dass Peer sein Leben mit Träumereien verschwendet, keine klare Handlung zu geben. Jedenfalls frage ich mich mehr als einmal, was eine Szene zu bedeuten hat. Obwohl ich Florian Eibs Audiodeskription wegen seiner angenehmen Stimme stundenlang zuhören könnte, dämpfen die undeutlichen Stimmen der Schauspieler das Theatererlebnis. Ich kann nur hoffen, dass ich mir diese Inszenierung noch einmal mit besserer Aufnahmequalität oder live im Theater anschauen kann.

In unserem zweiten Theaterclub haben wir über Peer Gynt mit der Audiodeskriptorin Maila Giesder-Pempelforth gesprochen. Das Interview könnt ihr euch im Podcast des Berliner Spielplan Audiodeskription anhören.

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