“ Wer kannst Du sein? What‘s your true ID? Wer bist du und wer bin ich?“
All das fragt sich die junge Reye auf einer farbenfrohen Suche nach sich selbst in der 1. Grand Show mit Audiodeskription. Extravagante Kostüme, akrobatische Höchstleistungen, Gesang, Tanz, eine Lichtshow ohnegleichen und Hüte, die mehr kosten als mein gesamter Kleiderschrank zusammengenommen. Das ist die VIVID Grand Show im Friedrichstadt-Palast Berlin. Am 24. Oktober fand am Vorabend der Premiere mit Audiodeskription eine Vorführung für PressevertreterInnen statt. In der VIVID Grand Show geht es um die junge Reye, die von ihrem Vater getrennt wird und sich plötzlich in einer ganz anderen Welt wiederfindet. In der binären Welt wird sie selbst in einen Androiden, halb Mensch halb Maschine, verwandelt. Sie reiht sich ein in die monoton abgestimmten Abläufe der Androiden. Eines Tages bricht sie jedoch aus. Sie beginnt eine Reise, auf der sie die kleinen Schönheiten des Lebens kennenlernt. Zuerst zaghaft, dann immer selbstbewusster entdeckt Reye die Welt um sich herum. Darin befinden sich unter anderem Schlangenmenschen, Blumen, Frösche, Lotusblüten, Männer in Derwisch Röcken, Ballerinas in Stiefmütterchenkostümen, gefährlich anmutende Männer mit Trommeln, ein Entertainer und ein Glamourgirl, die sie dazu auffordern, sich selbst zu finden. Die Macher von VIVID beschreiben die Show selbst als eine „Liebeserklärung an das Leben“ und in ihrer farbenfrohen und akrobatischen Harmonie ist sie das gewiss auch.
Die Tastführung der 1. Grand Show mit Audiodeskription
Die Tastführung besteht aus der Vorführung von Requisiten. Dicht an dicht gedrängt stehen wir um einen Tisch herum. Die PressevertreterInnen tragen durchweg Augenbinden, um die Objekte taktil zu erleben. Endlich halten wir einen der ikonischen Hüte des berühmten Hutmachers Philip Treacy in den Händen. Es ist eine der von den Android Dominas getragenen Hüte – ein dunkler Helm aus Plastik mit einer Sichelförmigen Spitze, die während der Vorstellung farbig leuchtet. Jeder Hut wurde passgenau angefertigt und kostete ungefähr 60.000 €. Kein Wunder also, dass wir diesmal nur eine Kopie zu fassen bekommen. Wir ertasten weitere Requisiten wie an den Spitzen rasierte Federn, Teile des Außenskeletts von Androidonna eine Theaterblume mit LED-Effekt, die ein Guru der jungen Reye zu Beginn der Show überreicht, ein Bungee-Seil und Latexhandschue. Persönlich gefiel mir der Latexhandschuh der Android Dominas am besten. Ich wollte ihn gar nicht mehr ausziehen. Obwohl man sich für die Tastführung viel Zeit genommen hat, gingen 45 Minuten viel zu schnell vorbei. Einige Gegenstände blieben deshalb unertastet und für eine Bühnenführung und das Betasten von Kulissen blieb leider keine Zeit.
Herausforderungen bei der 1. Grand Show mit Audiodeskription
Ich kann mir kaum ein Theatergenre vorstellen, dass so anspruchsvoll für eine AudiodeskriptorIn ist wie die Grand Show. Die Bühne ist riesig und besteht aus einer Hinter- und Vorderbühne sowie zwei Plattformen an der Seite. Doch auch der Zuschauerraum selbst wird im Verlauf der Show immer wieder von den SchauspielerInnen verwendet.
Eine Show, in der selbst normalsehende ZuschauerInnen nicht alles mitbekommen, stellt eine besondere Herausforderung für die Live-Beschreibung dar. Die Audiodeskriptorin Anke Nicolai muss sich bei der Wiedergabe auf das Wesentliche beschränken und genau hinschauen, denn manches Mal kann sie sich auf ihren vorbereiteten Text nicht verlassen. An diesem Abend gibt es statt zwei SchlangentänzerInnen nur noch eine. Eine weitere Szene, bei der sich ein Akrobat mit grazilen Bewegungen an einer Stange bis zu einer hell erleuchteten Lotusblüte hinunterhangelt, fehlt ganz.
Mit einer sehr angenehmen Stimme beschreibt Anke Nicolai abwechselnd ruhig und energetisch das Bühnengeschehen. Besonders gut gefallen hat mir der Akt mit den Rädern. Dabei hingen zwei große Räder nebeneinander mehrere Meter über der Bühne. Ich stellte sie mir wie Rhönräder vor. Die AkrobatInnen setzten die Räder in Gang und liefen zuerst innerhalb, dann außerhalb der sich immer schneller drehenden Räder. Letztendlich mussten sie hoch in die Luft springen, um nicht hinunterzufallen. Sie waren nämlich nicht gesichert. Das taten die AkrobatInnen auch einmal mit Sack über dem Kopf, was anscheinend nicht so gut funktionierte, denn der wurde schnell weggeworfen. Ein anderes Mal vollführten sie Seilsprünge, während sich die Räder drehten. Anke Nicolai beschrieb das Ganze live, ohne auf ihren vorbereiteten Text zu achten. Dadurch mussten wir zwar auf die Beschreibung warten, aber wenn sie dann kam, war sie sehr authentisch und mittreißend.
VIVID – Lebendig auch für Blinde?
Die Show im Friedrichstadt-Palast Berlin ist eine der größten der Welt. Eine Audiodeskription für eine solch umfangreiche Vorstellung zu erstellen, ist eine schwierige Leistung, die Anke Nicolai wundervoll bewältigt hat. Sie gibt einen Überblick, aber keinen tiefen Einblick in das Geschehen auf der Bühne. Manchmal habe ich mich gefragt, wo die Hauptfigur gerade ist. Oft lag der Fokus eben nicht auf Reye, sondern auf der akrobatischen Leistung, dem Gesang, der Musik und der Lichtshow. Dass es Reyes Reise auf der Suche nach den Schönheiten der Welt ist, habe ich oft aus den Augen verloren. Trotzdem glaube ich, dass ich durch die genaue Beschreibung der Charaktere und ihrer Handlungen dem Geschehen teilweise besser folgen konnte als so mancher Sehende. Meine Lieblingsfigur war zweifellos der Entertainer. Flamboyant gekleidet in einem weißen Anzug mit Zylinder begleitete er Reye auf ihrer Suche nach sich selbst. Mit seinem schelmischen Charme lockerte er die Stimmung meiner Meinung nach noch mehr auf als Reyes Vater. Dieser sorgte zwar auch für komische Momente. Die fügten sich für mich allerdings nicht nahtlos in die restliche Show ein.
Insgesamt finde ich, dass eine Bühnenführung und die taktile Vorführung von Bewegungen sinnvoll gewesen wären, um das Bühnengeschehen nachvollziehen zu können. Vielleicht schafft es der Friedrichstadt-Palast doch einmal vor der Vorstellung so etwas anzubieten. Alternativ könnte es auch an einem anderen Tag separat von der Vorstellung stattfinden. Das wäre sicherlich mehr Arbeit für das Theater, aber für blinde und sehbehinderte ZuschauerInnen sehr wertvoll.
Finde heraus, wer du sein kannst!
Mit VIVID beginnt die 1. Grand Show mit Audiodeskription. Gleichzeitig startet der Berliner Spielplan Audiodeskription nun in seine zwei Jahre andauernde Spielzeit. Durch Gesang, Musik, die Tastführung und die Audiodeskription ist die Show auch für diejenigen erfahrbar, die keine Farben und Lichter erkennen können. Wer die Premiere verpasst hat, kann sich einmal monatlich bis Juli 2020 über eine Vorstellung der VIVID Grand Show mit Audiodeskription freuen. Also ab ins Leben und auf zum Friedrichstadt-Palast Berlin!
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