Warum sollten Blinde und Sehbehinderte ins Theater gehen? Das fragen sich viele, nicht zuletzt die Blinden. Ich selbst habe mich das jahrelang gefragt. In meiner Erinnerung bestand das Theater entweder aus Inszenierungen verstaubter Klassiker oder aus modernen Performances, die viel Interpretationsspielraum lassen. Zusätzlich bekommt man nur die Hälfte mit, weil so gut wie alles visuell ist. Da ist es kein Wunder, dass so wenige Blinde ins Theater gehen. Dabei gibt es einige gute Gründe, warum Blinde ins Theater gehen sollten. Hier sind ein paar davon:
1. Live-Audiodeskription
Bei einer Audiodeskription im Theater erfolgt die Beschreibung in der Regel live. Das ist zum einen eine Herausforderung für die AudiodeskriptorIn, denn eine zweite Chance gibt es nicht. Auf der anderen Seite klingt die Beschreibung dadurch oft weniger distanziert als die Aufnahme vom Band. Natürlich bereitet sich das Audiodeskriptionsteam vor. Dabei muss aber Freiraum für Improvisationen gelassen werden, denn selbst bei einem Stück ohne Impro-Anteil ist eine Live-Performance von Tag zu Tag unterschiedlich. Die AudiodeskriptorIn muss in der Lage sein, sich anzupassen.
2. Tastführung
Die Tastführung oder Haptic Access Tour ist ein weiterer Grund, warum Blinde ins Theater gehen sollten. Das Befühlen der Kulissen, Kostüme und manchmal sogar der Schauspielbesetzung erleichtert nicht nur die anschließende Audiodeskription, sondern bietet auch die Gelegenheit, mit den SchauspielerInnen zu sprechen. Etwas, was dem übrigen Publikum versagt bleibt.
3. Dog-Sitting
Für Hunde ist der enge Raum, die lauten Menschen und die Musik- und Lichteffekte einer Vorstellung in den meisten Fällen nichts. Wer einen Führhund hat, muss sich indes keine Sorgen um seinen oder ihren Liebling machen, denn in Zukunft kann man ihn während der Vorstellung einem Dog-Sitter überlassen. Währenddessen können die BesitzerInnen entspannt die Vorstellung genießen.
4. Theater ist Unterhaltung im Augenblick
Im Theater erscheint alles nah und geradezu greifbar. Im Gegensatz zum Kinofilm wird hier die Handlung hautnah auf einer Bühne präsentiert. Man riecht nahezu den Schweiß der SchauspielerInnen, während sie das Publikum mal mit großen Gesten und tragender Stimme, mal mit tänzelnder Eleganz und lieblichen Worten bezaubern. Auf diese Weise ist man immer mittendrin und voll dabei.
5. Die Berliner Theater sind immer gut besucht
Ein Grund, warum Audiodeskription an den Berliner Bühnen bislang keine große Rolle gespielt hat, ist die Tatsache, dass die Häuser immer gut besucht sind. Von der minimalistischen Tanz-Performance über das klassische Theaterstück bis hin zur Grand Show sind die Zuschauerräume immer zum Bersten voll. Berlin ist bekannt für seine Kunstszene und zieht Kunstbegeisterte aus aller Welt an. Dazu sollten zukünftig auch blinde und sehbehinderte Kunst- und Kulturbegeisterte zählen.
6. Wenn keiner kommt, wird es das Angebot nicht lange geben
Der Berliner Spielplan Audiodeskription ist ein Projekt mit definierten Rahmenbedingungen. Über zwei Spielzeiten werden 16 Stücke deskribiert. Das sind ungefähr 40 Vorstellungen mit Audiodeskription an bekannten Berliner Bühnen wie dem Friedrichstadt-Palast Berlin, dem Berliner Ensemble, dem Deutschen Theater Berlin, dem Theater an der Parkaue und der Deutschen Oper Berlin. 21 Plätze sind für blinde und sehbehinderte Zuschauer reserviert. Dieses Angebot hat aber einen Haken: Wenn keiner kommt, gibt es keinen Grund, weiterhin in Live-Audiodeskription im Theater zu investieren. Wie sich die Audiodeskription entwickelt, hängt also ganz von den blinden und sehbehinderten Zuschauern ab – von euch.
7. Wer kommt, kann sich als PionierIn betrachten
London, Paris, Sidney, New York, Leipzig – all diese Städte haben eines gemeinsam: Sie alle bieten regelmäßig Theatervorstellungen mit Audiodeskription an. Was in anderen (Bundes-)Ländern schon Gang und Gebe ist, ist für Berlin eine Neuheit. Die Erfahrung mit Inklusion und Barrierefreiheit ist dementsprechend gering. Wer in den folgenden Spielzeiten Vorstellungen mit Audiodeskription besucht, hat die einmalige Chance, das Projekt mit seiner oder ihrer Anwesenheit zu unterstützen. Gleichzeitig kann man die Qualität der Audiodeskription durch hilfreiches Feedback verbessern. Lasst euch nicht die Gelegenheit nehmen, Teil des einzigartigen Berliner Trubels zu sein! Lasst euch unterhalten, anregen und herausfordern! Staunt, lacht, applaudiert! Dabei sein ist schließlich alles.
Premiere des Berliner Spielplan Audiodeskription
Welche Vorstellungen mit Audiodeskription noch bis Ende 2019 laufen, seht ihr in unserem Spielplan. Am 25. Oktober 2019 läuft die „Vivid Grand Show“ im Friedrichstadt-Palast Berlin zum ersten Mal mit Audiodeskription. Ich war vor zwei Wochen bei der Generalprobe und kann die Show nur empfehlen. Anmeldeschluss ist der 11. Oktober 2019.
Mehrmals monatlich halten wir euch über die aktuellen Vorstellungen mit Audiodeskription auf dem Laufenden. Hier geht’s zum Newsletter.
Relevante Links
- Friedrichstadt-Palast Berlin
- Berliner Ensemble
- Deutsches Theater Berlin
- Theater an der Parkaue
- Deutsche Oper Berlin
- Spielplan – Berliner Spielplan Audiodekription