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„Die Hundekot-Attacke“ mit Audiodeskription: Saalprüfung auf dem Theatertreffen 2024

Posted in Theaterrezension

Mal wieder ging das Berliner Theatertreffen mit einer Auswahl fantastischer Stücke vorüber. In den letzten Jahren hat es sich eingebürgert, mindestens drei Stücke aus der Zehnerauswahl mit Audiodeskription zu zeigen. Dieses Jahr umfassten es die Stücke „Übergewicht, unwichtig, Unform“, „Die Hundekot-Attacke“ und „Macbeth“. Heute geht es um „Die Hundekot-Attacke“, die ich mir am 17. Mai als Saalprüferin angeschaut habe. Das bedeutet, ich habe mir das Stück angeschaut, um der Sprecherin ein paar letzte Tipps zu geben, bevor das übrige blinde und sehbehinderte Publikum zwei Tage später die Gelegenheit dazu bekommt.

Qualitätssicherung ist wichtig, aber ich muss zugeben, dass es mir selten zuvor so schwergefallen ist, mich auf die Audiodeskription zu konzentrieren, da das Stück mich in seinem Aufbau, seiner Thematik und der tollen Besetzung einfach umgehauen hat. Deswegen will ich neben einigen Beispielen für Anmerkungen, die bei der Saalprüfung aufgetaucht sind, auch kurz über das Stück sprechen.

„Die Hundekot-Attacke“ ist ein Stück aus dem Theaterhaus Jena. Das Darstellerkollektiv will in seiner letzten Spielzeit für Furore sorgen und deshalb ein umwerfendes Stück auf die Beine stellen. Es geht um einen Skandal, in dem ein Choreograph einer Kritikerin nach einer schlechten Bewertung einen Hundehaufen ins Gesicht schmiert. Die Schauspieler*innen und eine Choreografin sitzen auf der Bühne und lesen im ersten Teil des Stückes E-Mails aus ihrem Probenprozess vor. Es entspinnt sich ein Dialog zwischen den Darsteller*innen, in dem subtil und auf äußerst witzige Weise Themen wie „niederschmetternde Kritiken“, „Diskriminierung von Frauen“ und der Umgang mit kontroversen Themen auf der Bühne angesprochen werden.

Im zweiten Teil wird dann gerappt, getanzt und gedichtet. Am eindrucksvollsten sind mir aber das Basteln eines Hundekots aus Haferbrei und Kakopulver, wonach es verstörend verführerisch nach Kaffee roch, und die von der Sprecherin hingebungsvoll als „wohlgeformten Pobacken“ eines Darstellers im Gedächtnis geblieben. Das Stück war umwerfend komisch, unterhaltsam und dann auch wieder tiefschichtig, subtil kritisch und vor allem fantastisch gespielt.

So viel zum Stück, kommen wir zur Saalprüfung

Während einer Saalprüfung sitze ich üblicherweise mit dem Laptop auf meinem Schoß, dem Ohrstöpsel für die Sprachausgabe meines Computers im einen und den Kopfhörer für das Empfangsgerät im anderen Ohr da, so auch diesmal. Jutta Polic ist die Sprecherin für die Audiodeskription. Ich möchte im Folgenden mit euch einige Anmerkungen teilen, die ich nachträglich zu Juttas Beschreibung habe. Jeder Schriftsteller braucht eine Redakteurin. Jeder Autor und jede Autorin für Audiodeskription braucht zwei Redakteure und so viele Saalprüfer*innen, wie sie bekommen kann. Hier sind also die Anmerkungen:

Die Einführung

Während der Einführung habe ich nur wenige Dinge anzumerken. Ich finde es generell anstrengend, wenn sie länger als eine Viertelstunde dauert. In diesem Fall dauert sie fast eine halbe Stunde. Da mir das schon im Voraus angekündigt wurde, achte ich jetzt darauf, wo Kürzungen sinnvoll sind. Während des Stücks werden an einigen Stellen Plakate, Bilder und Videos gezeigt. Einmal sind es vierundzwanzig Bilder hintereinander. In der Einführung beschreibt Jutta fast zehn Minuten lang jedes Bild im Detail. Normalerweise bin ich kein Mensch, der sich unglaublich viele Details im Voraus merken und vorstellen kann, zumindest, wenn es um Bilder geht. Bereits die Kostüme von mehr als zwei Darsteller*innen bereiten mir Schwierigkeiten. Ich habe also überhaupt keine Chance, mir so viele Bilder zu merken. Die Frage ist also: Hat Jutta die Zeit, kurze Beschreibungen im Stück einfließen zu lassen? Mir fällt auf, dass sie später tatsächlich immer auch einen kurzen Satz zu jedem Bild sagt, und dass zumindest mir das genügt. Auf der anderen Seite weiß ich, dass es andere blinde und sehbehinderte Menschen gibt, die es ganz genau haben wollen. Ich empfehle Jutta trotzdem, sich mit einer kurzen Beschreibung zu begnügen.

Das Stück

Hier sind nun einige Beispiele aus den Anmerkungen während der Audiodeskription:

Jutta sagt: „Sie (die Darstellerin) liest eine Mail an alle.“ Anmerkung: Ergibt sich, glaube ich, aus der Ansprache der Darstellerin: „Liebe Leute“.

Anmerkung: Vielleicht könntest du beim Übersetzen noch etwas mehr die Stimmung des Schauspielers aufgreifen. Manchmal lesen die Darsteller*innen ihre E-Mails auch auf Englisch und Jutta übersetzt ins Deutsche. Besonders, wenn ein Schauspieler sehr lustig vorliest, würde ich persönlich mir einen Widerhall in Juttas Stimme wünschen. Dazu muss ich allerdings sagen, dass eine andere Saalprüferin es lieber noch neutraler wollte.

Anmerkung: Jutta hat die schönsten Verben: trippeln, traben, tänzeln… flanieren, wälzen, robben, drehen

Anmerkungen: Dieses Bild ist fantastisch: „Das Kakaopulver schießt wie ein Vulkan aus dem Mund.“

Anmerkung: Die Darsteller*innen bilden an einer Stelle ein Dreieck, wobei Jutta sagt, sie repräsentierten die Intendantin, die sich für die Hundekot-Attacke des Choreografen entschuldigt. Warum repräsentieren sie die Intendantin? Woran merkt man das? Ich verstehe, dass sie eine Spitze bilden, aber wieso diese Spitze die Intendantin darstellen soll, verstehe ich nicht.

Anmerkung: Jutta beschreibt das nackte Hinterteil eines Darstellers als „wohlgeformten Po“. Wie sieht ein wohlgeformter Po aus? Muskulös? Rund? Glatt?

Fazit

Das waren nur einige Anmerkungen, die ich nach der Vorstellung mit Jutta und den anderen Saalprüfer*innen besprochen habe. Ich habe den Abend insgesamt sehr genossen und würde sogar behaupten, dass dies das beste Stück ist, das ich jemals während des Theatertreffens gesehen habe. Unbedingt empfehlenswert und zu Recht ausgezeichnet. Ich hoffe, ihr bekommt die Chance, es einmal zu sehen.

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