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Barrieren überwinden: Ein Gespräch mit Matthias Pees zu Audiodeskription im Theater

Posted in Theaterrezension

Das Theatertreffen steht vor der Tür. Im Mai ist es einmal wieder soweit, und drei der zehn ausgewählten Stücke werden auch diesmal wieder mit Audiodeskription gezeigt. Das haben wir zum Anlass genommen und den wohl renommiertesten Gast eingeladen, den wir bis jetzt im Theaterclub hatten: den Intendanten der Berliner Festspiele, Matthias Pees. Die Berliner Festspiele richten Festivals und Veranstaltungen in vielen Kulturbereichen aus, unter anderem MaerzMusik, das Jazzfest Berlin, das Musikfest Berlin und eben auch das Theatertreffen. Da ist es doch einmal interessant, herauszufinden, wie es mit der Inklusion in einer solch großen Kulturinstitution bestellt ist.

Lavinia: Könnten Sie mir sagen, was man als Intendant den ganzen Tag macht? Zum Beispiel, wie sieht ein normaler Montag bei Ihnen aus?

Matthias Pees: Ein normaler Montag sieht so aus, dass ich mich morgens mit meiner Referentin treffe, dann mit unserer künstlerischen Betriebsdirektorin und dann mit dem Direktionsgremium der Berliner Festspiele aus den verschiedenen Abteilungen. Nachmittags habe ich dann einzelne Termine und spezifische Verabredungen.

Lavinia: In unserem letzten Theaterbeirat kam der folgende Satz: „Die Audiodeskription ist für uns wie die Rampe für die Rollstuhlfahrer.“ Haben Sie eine Vision für die Inklusion in den nächsten Jahren?

Matthias Pees: Ich würde mal sagen, da ist noch viel Luft nach oben. Beim Theatertreffen haben wir es bisher leider nur geschafft, drei Aufführungen pro Theatertreffen-Ausgabe mit Audiodeskription zu versehen. Das ist uns gelungen mit Unterstützung von der Paul und Charlotte Kniese-Stiftung und der Herbert Funke-Stiftung. Dieses Angebot würden wir perspektivisch gerne ausbauen. Es sind zehn bemerkenswerte Aufführungen, die eingeladen werden, und viele von diesen Produktionen sind aus dem Bereich des klassischen Schauspieltheaters. Da kann man rein rechnerisch sagen: Es fehlen sieben. Das ist eine Aufgabe, die wir für die Zukunft sehen.

Wir haben auch eine neue „Performing Arts Season“ gestartet im Haus der Berliner Festspiele. Das knüpft an die Tradition an, dass immer auch große Gastspiele der darstellenden Kunst Tanz, Theater, Performance im Haus der Berliner Festspiele gezeigt worden sind. Und auch hier sind wir noch nicht an einem Punkt, wo wir finden, dass wir im Bereich der Inklusion und des Abbaus von Barrieren schon ein adäquates und ausreichendes Angebot machen. Wir merken, dass es dafür einen langen Atem braucht. Das gilt sowohl bei der Finanzierung als auch bei der regelmäßigen Verbreitung und Nutzung eines solchen Angebots. Es reicht hier nicht, punktuell etwas anzubieten und zu hoffen, dass alle es sofort von selbst merken.

Lavinia: Finanzierung ist ein guter Stichpunkt. Gibt es denn ein Budget?

Matthias Pees: Wir planen mittlerweile Budgets für Audiodeskription und andere inklusive Maßnahmen in die Projektbudgets ein. Das Vermittlungsteam im Gropius-Bau bietet zum Beispiel Führungen an für Menschen, die eingeschränkt oder gar nicht hören können. Wir versuchen langfristig, Standards zu entwickeln als Kulturanbieter in Berlin. Menschen, die selber mit einer Behinderung leben oder spezialisierte Menschen, die sich mit diesen Fragestellungen und Herausforderungen professionell auch an anderer Stelle beschäftigt und weitergebildet haben, machen in einem Betrieb tatsächlich einen Unterschied, weil sie ihre Erfahrung mit einbringen können. Dann weiß man auch, dass mit ihnen eine Kontinuität von solchen Maßnahmen und solchen Angeboten gewährleistet werden kann.

Lavinia: Was tun sie dafür, dass ihre eigenen Mitarbeiter immer sensibilisiert sind, zum Beispiel die Kassenmitarbeiter*innen?

Matthias Pees: Die Berliner Festspiele sind Teil der Kulturveranstaltungen des Bundes und die haben ein zentrales Ticketoffice. Dieses Ticket Office ist für viele inklusiven Angebote eine zentrale Schaltstelle. Es ist in unsere institutionellen Entwicklungsprozesse ebenso wie in spezifische Programm- und Vermittlungsangebote einbezogen und in den meisten Fällen auch ein sehr kompetenter Auskunftgeber.

Lavinia: Die Theaterauswahl für das Theatertreffen wird von sieben Kritiker*innen getroffen. Wie wahrscheinlich wäre es, dass blinde und sehbehinderte Kritiker*innen Teil dieses Teams sind, denn das würde wiederum voraussetzen, dass die Theaterstücke in Deutschland, der Schweiz und Österreich generell inklusiver werden?

Matthias Pees: Ich glaube, uns alle interessiert diesbezüglich die Zusammensetzung dieser Jury, wie auch die Zusammensetzung aller Jurys, die über ein Programm entscheiden. Am interessantesten ist, wenn sich die Vielfalt, in der wir gesellschaftlich leben, darin widerspiegelt. Die Theatertreffen-Jury setzt sich zusammen aus Menschen, die irgendwann mal in ihrem Leben beschlossen haben, Theaterkritiker oder Theaterkritikerin zu werden. Das sind nach wie vor überwiegend Menschen mit bildungsbürgerlicher Herkunft aus dem deutschsprachigen oder europäischen Raum. Das ist noch kein besonders diversifizierter Bereich. Insofern fällt es uns beispielsweise sogar schon schwer, junge Menschen für die Theatertreffen-Jury zu finden, weil es immer weniger Nachwuchs im Bereich der Theaterkritik gibt, was wiederum vor allem daran liegt, dass es in den Medien immer weniger Platz und Interesse für Theaterkritik gibt. Deshalb lässt sich die Diversifizierung einer solchen Jury natürlich erstmal auch nur in den Grenzen des Gewerbes und der Kulturlandschaft realisieren.

Für uns ist es ein großer Ansporn, immer wieder zu schauen: Was können wir zu der entsprechenden Entwicklung eines solchen Bereichs beitragen? Wir bieten beispielsweise das Theatertreffen-Blog an. Das ist ein Angebot für junge Journalistinnen und Journalisten oder solche, die es werden wollen, um sich im Bereich der Theaterkritik auszuprobieren. Tatsächlich gibt es einige Theaterkritikerinnen und -kritiker in Deutschland, die irgendwann mal an diesem Theatertreffen-Blog teilgenommen haben. Um auch Menschen mit Sehbehinderung oder blinde Menschen in die Theatertreffen-Jury zu berufen, bräuchte es solche Personen zunächst einmal im Bereich der professionellen Theaterkritik.

Die Anforderung an eine*n Theatertreffen-Juror*in ist es außerdem, ein ganzes Jahr lang zu reisen und diese Stücke, die im deutschsprachigen Raum – in der Schweiz, in Österreich und in Deutschland – herauskommen, zu besuchen. Ein*e Theatertreffen-Juror*in besucht zwischen 150 und 300 Stücke pro Jahr. Das ist natürlich eine besondere Herausforderung und Belastung, nicht nur für Menschen mit Sehbehinderung oder mit anderen Formen von Behinderung. Ich würde allerdings denken, dass wir auch in der Lage wären, besondere Wege zu finden, um diese Herausforderung zu meistern, wenn wir tatsächlich eine*n blinde*n oder sehbehinderte*n Theaterkritiker*in finden würden, welche*r als Theatertreffen-Juror*in in Frage käme.

Das gesamte Interview mit Intendant Matthias Pees findet Ihr auch in unserem Podcast.

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