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Richard III. – mitreißendes Theater für die heimische Couch

Posted in Gastbeitrag, and Theaterrezension

Als ich von der Ankündigung eines Streams mit Audiodeskription höre, bin ich überrascht. Wir sind im Januar 2023. Kaum noch jemand spricht über Corona, und bald wird in Berlin mit der Maskenpflicht im ÖPNV eine der letzten Einschränkungen aufgehoben. Ein Theater-Stream erscheint mir daher wie eine Reise zurück in die Hochphase der Corona-Pandemie.

Doch es handelt sich nicht um eine neue Produktion und sie hat auch nichts mit der (Pandemie-bedingten) Verlagerung der Kultur in den digitalen Raum zu tun. Shakespeares „Richard III.“ wurde bereits 2015 in der Schaubühne uraufgeführt. Die Aufzeichnung stammt von einem Gastspiel im Rahmen des Theaterfestivals in Avignon und geht zurück auf eine Zusammenarbeit von arte France und der Schaubühne Berlin. Die Audiodeskription wurde kürzlich vom Berliner Spielplan Audiodeskription produziert und die audiodeskriptive Einführung auf dem Podcast-Kanal bereitgestellt.

Ich kann nicht verhehlen, dass ich etwas skeptisch bin. Das Theater lebt für mich vom Live-Erlebnis vor Ort. Das Geschehen auf der Bühne mitsamt seinen Unvorhersehbarkeiten lässt sich nicht eins zu eins auf den Bildschirm übertragen. Ganz zu schweigen vom fehlenden Gefühl, inmitten vieler anderer Menschen zu sein. Doch lassen wir uns überraschen. Ich bin besonders gespannt auf die Rolle von Lars Eidinger, der die Hauptfigur verkörpert.

Die audiodeskriptive Einführung

Der Stream startet mit einer etwa zehn Minuten langen Audio-Einführung zum Stück, zum Bühnenbild und zum Aussehen der Figuren und ihrer Kostüme. Den Schilderungen zum Bühnenbild und zum Aussehen der Figuren kann ich nicht komplett folgen. Es fällt mir schwer, mir so viele Informationen zum Erscheinungsbild zu merken. Viel wichtiger ist für mich die Einführung zum Stück. Sie fällt zwar angesichts der Komplexität der Geschichte eher knapp aus. Das halte ich an dieser Stelle aber für sinnvoll, da sie ansonsten zu viel vorwegnehmen würde.

„Richard III.“ gehört zu den ersten Stücken von Shakespeare und wurde um 1593 uraufgeführt. Die Geschichte basiert auf den sogenannten Rosenkriegen zwischen den englischen Adelshäusern York und Lancaster im 15. Jahrhundert, deren Wappen eine weiße (York) und eine rote Rose (Lancaster) tragen. Shakespeare hält sich jedoch nicht strikt an die historischen Abläufe und konzentriert sich auf die Figur von „Richard III.“. Er ist äußerlich entstellt und mit einem starken Buckel ausgestattet. Mit brutaler Skrupellosigkeit, Manipulation und rhetorischer Brillanz gelingt es ihm, seine Interessen durchzusetzen und zum König aufzusteigen.

Furios, schnell und provokativ

Das Stück beginnt furios mit einem Kameraflug in den prunkvollen Theatersaal der Grand Opéra hinein in eine rauschhafte Party-Szene. Konfetti-Kanonen knallen und die Gäste feiern in Extase zu elektronischer Live-Musik. Zwischendurch ergreift der bucklige Richard III. das an einem Seil herunterhängende Mikrofon und stellt sich selbst in einem mitreißenden Monolog als menschliches Scheusal vor. Der Rahmen ist also gesetzt und die historische Vorlage wird frei, mit viel Tempo, Musik und bewusster Provokation umgesetzt. Letzteres wird besonders deutlich, als Lars Eidinger kurze Zeit später für mehrere Minuten in einem Dialog splitternackt auf der Bühne steht. Gut vorstellbar, das die Berliner Theatergruppe hier bereits einige Menschen aus dem historischen Theatersaal schockiert hat.

Die komplexe Geschichte und die langen rhetorischen Schlag-Abtäusche werden immer wieder aufgebrochen von live eingespielter Musik des Schlagzeugers Thomas Witte, Projektionen oder der für Shakespeare typischen und absurden Komik. Es bleibt dennoch eine Herausforderung, der Geschichte zu folgen und die vielen unterschiedlichen Charaktere zuzuordnen. Da hilft es mir nur bedingt, den Stream immer mal wieder zu unterbrechen und mich mit meiner sehenden Begleitung auszutauschen. Bei der Fülle an Figuren fehlt es uns an Kontextwissen.

Fehlerfreie und abwechslungsreiche Audiodeskription

Die Audiodeskription ist präzise und nutzt die wenigen Textpausen effektiv. Die Beschreibungen sind abwechslungsreich und fehlerfrei. Einzige kleine Kritik ist, dass mir die Betonung teilweise zu neutral ist und ich mir mehr Emotionen wünsche. Die Figuren werden zwar weitestgehend beim Namen genannt. Daraus wird allerdings nicht deutlich, wer sie sind und in welchem Verhältnis sie zueinander stehen. Dieses Dilemma kann durch eine Audiodeskription natürlich nicht gelöst werden. Eine Unterstützung wäre möglicherweise eine ausführlichere Einführung in das Stück, die separat angeboten werden könnte.

Was bleibt vom Stream?

Der Stream hat gegenüber einem Theaterbesuch Vor- und Nachteile. So besteht die Möglichkeit, die Handlung zu unterbrechen und etwas durchzuatmen. Die Schnitte und abwechselnden Einstellungen erzeugen bei dieser Aufführung einen Hauch von Film-Atmosphäre. Der Ton kann das jedoch nicht vermitteln. Er verliert sich in der Weite des Theatersaals und die einzelnen Figuren wirken in ihren Textbeiträgen weit weg. Es bleibt zudem dabei, dass mir die Nähe und die Intensität eines Theaterbesuchs fehlen. Wenn also Theaterstücke als Stream gezeigt werden, ist die Qualität der visuellen und akustischen Umsetzung von zentraler Bedeutung.

Ach ja, das Stück ist dennoch eindrucksvoll und lohnenswert, besonders aufgrund der mitreißenden Darbietung des Richard III. Dieser findet auch als König keinen inneren Frieden und wird von den Geistern seiner ermordeten Widersacher heimgeholt. In der abschließenden Schlacht kämpft er mit der letzten Verzweiflung mit dem Schwert gegen seine unsichtbaren Gegner und wird schließlich als Leichnam mit dem Fuß von jenem Seil hochgezogen, das ihm bis dahin für seine Monologe als Mikrofon diente.

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