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Nicht nur für kleine Naturschützer*innen: „Als die Tiere den Wald verließen“. Kinderstück mit Audiodeskription in der Schaubude Berlin.

Posted in Gastbeitrag, and Theaterrezension

Allgemein gehe ich ins Theater, um etwas zu erleben – und zwar durchaus im wörtlichen Sinn. Ich liebe Theater dann am meisten, wenn es etwas mit meinen Gefühlen macht. Am Nachmittag des 19ten September 2021 zeigt die Schaubude Berlin das Stück „Als die Tiere den Wald verließen“ für Kinder ab acht Jahren. Und da ich, genau wie auch Lavinia, im Inneren ein großes Kind bin, überlege ich nicht lange, als Lavinia mich bittet, sie für den Blog zu vertreten, und sage zu.

Die Schaubude zeigt nach eigenen Angaben „die Sicht der Dinge auf die Welt“ – denn hier stehen keine menschlichen Hauptdarsteller*innen auf der Bühne, sondern Figuren und Objekte. So auch an diesem Nachmittag: „Als die Tiere den Wald verließen“ ist ein Stück des Puppenspieler*innen-Duos „Artisanen“ alias Inga Schmidt und Stefan Spitzer.

Die Audiodeskription für das Stück stammt von Roswitha Röding und Felix Koch, der die AD an diesem Nachmittag auch einspricht. Und zwar laut: Alle Zuschauer*innen im Theaterraum können sie hören.

„Als die Tiere den Wald verließen“

Das Stück „Als die Tiere den Wald verließen“ wird empfohlen für Kinder ab acht Jahren. Es freut mich besonders, dass ausgerechnet dieses Stück mit Audiodeskription ausgestattet wurde, denn im Allgemeinen ist das kulturelle Angebot für blinde und sehbehinderte Kinder nicht besonders groß.

„Als die Tiere den Wald verließen“ basiert auf dem gleichnamigen Buch des englischen Schriftstellers Colin Dann aus dem Jahr 1979. In den 1990er Jahren, also durchaus zu einer Zeit, in der ich selbst ein Kind war, war eine Fernsehserie desselben Namens populär, aber ich kann mich nicht bewusst daran erinnern, sie jemals gesehen zu haben.

Doch auch wenn die Vorlage über vierzig Jahre alt ist, ist die Thematik des Stücks traurig aktuell: Es geht um die Tiere des Thalerwalds, die wegen der fortschreitenden Zerstörung ihrer Lebenswelt durch Rodung, Waldbrände und dergleichen mehr ihre geliebte Heimat verlassen müssen. Die unterschiedlichsten Tiere sind betroffen: der Dachs, die Eule, die Füchsin, zwei Feldhamster, die Kreuzotter und nicht zuletzt auch Mauli, der Maulwurf.

Die Tastführung

Der Theater-Nachmittag beginnt mit einer Tastführung – doch leider sind keine blinden Kinder da. Für mich und zwei andere (erwachsene) Interessierte ziehen Inga und Stefan die Tastführung trotzdem durch. Das Bühnenbild ist eher sparsam. Es gibt drei runde, graue Sockel und eine Videowand für Einspieler; sonst nichts. Mir gefällt das gut: So bekommen die Figuren den Raum, der ihnen meiner Meinung nach zusteht.

„Artisanen“ zeigen uns die Tier-Figuren: Der Dachs ist aus verschiedenen Stoffstücken zusammengeflickt und sieht aus – und fühlt sich auch an –, als hätte er schon viel erlebt. Stefan sagt, dass er den Gedanken vermitteln möchte, dass der Dachs in fünfzig oder hundert Jahren vielleicht auch nicht mehr da sein wird. Mir das vorzustellen, fällt mir leider viel zu leicht. Dann erzählt er mir, dass der Feldhamster als bedroht gilt und in einigen Gegenden Deutschlands und Europas bereits ausgestorben ist. Ich erschrecke – der gute alte Feldhamster? Dann wird mir klar, dass ich noch nie einen gesehen habe. Einst als Plage wahrgenommen, ist der gemeine Feldhamster jetzt so gut wie ausgerottet.

Dieses Beispiel spricht natürlich Bände über die Aktualität des Stücks. „Als die Tiere den Wald verließen“ ist mehr als vierzig Jahre alt, doch viel hat sich in Sachen Umwelt- und Naturschutz seither anscheinend nicht getan.  

Neben Ingas und Stefans Spiel sowie Felix‘ Audiodeskription gibt es auch Live-Videosequenzen. Auf dem Sockel an der rechten Seite der Bühne stehen ein paar Modell-Bäume. Um die Abholzung des Thalerwalds zu illustrieren, filmt Stefan diese Bäume, während der sie langsam unter der Kamera wegzieht. Auf eine Leinwand projiziert sieht das fantastisch aus – wie ein richtiger, üppiger Wald, der immer weniger wird.

Außerdem sind „Artisanen“ natürlich nur zu zweit. Gemeinsam verleihen sie den verschiedenen Tieren eine Stimme. Sie spielen mit großen Puppen und zeigen aber auch kleine Modellfiguren der Tiere. Mit diesen ist es möglich, alle Tiere gleichzeitig auf ihrer Wanderung darzustellen.

Das Stück

Aber nun endlich zum Stück. Der Thalerwald ist unbewohnbar geworden. Der Baum, in dem die Eule gewohnt hat, wurde gefällt. In die unterirdischen Gänge des Dachsbaus floss Beton. Und auch der Teich, in dem die Kröte geboren wurde, wurde vom Bagger umgegraben. Die Tiere haben kein Wasser mehr. Sie haben keine Wahl: Sie müssen den Thalerwald verlassen.

Eher zufällig findet die Kröte einen Park – den Weißhirsch-Park – wo die Tiere in Frieden leben können. Das Stück handelt davon, wie sie ihre Heimat verlassen und was sie für Gefahren durchstehen müssen, um den Weißhirsch-Park sicher zu erreichen. Ob das klappt, werde ich an dieser Stelle natürlich nicht verraten. Fest steht allerdings: Es wird eine beschwerliche und sehr abenteuerliche Reise.

Aber die Tiere halten zusammen. Sie erkennen, dass sie es nur dann in ihre neue Heimat schaffen können, wenn sie zueinanderhalten. Deswegen leisten sie einen Schwur zum gegenseitigen Schutz.

Füchsin: Und so kamen wir auf die Idee, einen Schwur abzuleisten. Einen Schwur, dass wir uns gegenseitig nicht auffressen und das Tempo auf das langsamste Tier anpassen. Wir nannten ihn den „Schwur zum allgemeinen Schutz“. Jedes Tier legte ihn ab.

AD: Die Füchsin setzt sich auf die Hinterbeine.

Füchsin: Ich, Füchsin, schwöre auf die Sicherheit jedes einzelnen Tieres aus unserer Gruppe, des kleinsten sowie des größten. Ich gelobe, keinem Tier auf der Reise Schaden zuzufügen und allen in einer Notlage zu helfen.

So etwas gab es noch nie im Thalerwald. Die Reise konnte beginnen.

Dass die Tiere sich statt auf ihre Unterschiede auf ihre Gemeinsamkeiten besinnen und vor allem auf ihr gemeinsames Ziel, ist auch besser so. Denn die Kreuzotter hegt Gelüste auf die Feldhamster und fragt sich, ob es auffallen würde, wenn von den zwei Hamstern einer fehlt.

Die Audiodeskription

Felix macht seine Sache gut – seine Audiodeskription fügt sich gut in die Lücken. Ruhig und in kindgerechter Sprache beschreibt er nicht nur, was die Tiere tun, sondern auch die Video-Sequenzen und die Veränderungen des Bühnenbilds.

Um die AD besser wahrnehmen zu können, schließe ich zwischendurch die Augen. Felix‘ AD hört sich wie eine Erzählerstimme an – und erst mit geschlossenen Augen wird mir so richtig klar, wie begabt Inga und Stefan eigentlich sind. Ob dem weisen Dachs, der sanften Füchsin oder den lustigen kleinen Hamstern: Mit viel Gefühl geben sie den verschiedenen Tieren eine Stimme. Ich bin sehr beeindruckt, leide mit den Tieren mit – und auf dem dramatischen Höhepunkt des Stücks hätte ich am liebsten losgeweint.

Den anderen Menschen im Theater, den großen und den kleinen, scheint es genauso ergangen zu sein wie mir. Gegen den tosenden Schluss-Applaus kommt selbst Felix nicht an.

Weitere Theaterstücke mit Audiodeskription

Nachdem die Reise der Tiere aus dem Thalerwald und damit auch das Stück zuende ist, treten Inga und Stefan noch einmal auf die Bühne. Ihre Tier-Figuren bringen sie mit, damit die Kinder sich von ihnen verabschieden können.

In der Schaubude Berlin gibt es immer mal wieder Theaterstücke mit Audiodeskription. Den Spielplan im Auge zu behalten, lohnt sich also. Und falls ihr nun Lust auf „Als die Tiere den Wald verließen“ bekommen habt, habe ich gute Nachrichten: Im Rahmen des Festivals „Theater der Dinge“ wird das Stück am achten November 2021 erneut gezeigt – ebenfalls mit offener Audiodeskription. Ich kann allen großen und kleinen Theatergänger*innen nur empfehlen, dieses Stück zu besuchen – denn etwas erlebt habe ich an diesem Theater-Nachmittag auf jeden Fall.

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