Vom bewegten Tanz zur bildhaften Audiodeskription: Wie genau man das erreicht, habe ich Emmilou Rößling gefragt. Mir ist Emmilou als Audiodeskriptorin von zahlreichen Performances in den Sophiensälen bekannt. Darüber hinaus ist sie aber in erster Linie Tänzerin, Performerin und Choreografin. Sie kennt also sowohl die tänzerische Seite des bewegten Ausdrucks als auch das Dilemma, diese Bewegung in Sprache zu übersetzen. In diesem Interview-Ausschnitt sprechen wir über die Sprache von Audiodeskription im Tanz und wie viel Luft nach oben es noch gibt.
Lavinia: Du bist ja Choreografin, und da würde mich interessieren, wie du vom Tanz zur Audiodeskription gekommen bist.
Emmilou: Es war von Anna Mülter von den Tanztagen initiiert worden, dass Stücke innerhalb des Festivals audiodeskribiert werden und zwar von ehemaligen Choreograf*innen von den Tanztagen. Im Zuge dessen hat sie uns dann an einen Workshop mit Jess Curtis in den Uferstudios vermittelt. Das war Ende 2018, Samstag / Sonntag, also eine relativ zügige Ausbildung.
Lavinia: Was hat dich daran interessiert?
Emmilou: Die Möglichkeit über Tanz, Choreographie und die Wahrnehmung davon, in anderen Weisen nachzudenken und inklusiver zu arbeiten.
Lavinia: Hattest du vorher schon mit inklusiver Arbeit zu tun?
Emmilou: Ich habe am Anfang meiner Zwanziger in einer Theater- bzw. Performancegruppe in Dublin gearbeitet, mit und von jungen Menschen mit Down-Syndrom. Das war meine erste Erfahrung, was „Kunstbetrieb-Inklusiv“ anging.
Lavinia: Du bist ja Choreografin. Deswegen musst du deine PerformerInnen anleiten, in dem was sie letztendlich performen sollen. Funktioniert das auch über die Sprache, oder eher über den Körper? Ist das eher ein Vorzeigen direkt als Bewegung, oder hat es auch eine sprachliche Komponente?
Emmilou: Tanz und wie Tanz weitergegeben wird, ist in den meisten Fällen eine sehr visuelle Lernerfahrung. Es beginnt klassisch: Du hast immer die Lehrerin oder den Lehrer, der etwas vormacht und den Spiegel, wo du deine Korrekturen sehen kannst. Wenn ich mit meinen Tänzer*innen arbeite, ist es oft so, dass ich ihnen ein bestimmtes Bewegungsmaterial zeige, das sie auf eine Art und Weise kopieren und dann da weiterarbeiten können. Natürlich werden bestimmte Interessen an der Choreografie auch versprachlicht. Aber gleichzeitig gibt es auch eine ästhetische Erfahrung, die in ihrer Definition ja außerhalb der Sprache liegt.
Lavinia: Das bedeutet allerdings, dass bei Tanz eine Versprachlichung überhaupt nicht vorgesehen ist und eine Audiodeskription für Tanz besonders schwierig ist.
Emmilou: Ich glaube, Tanz kann in Sprache übersetzt werden. Das wird dann eine andere Erfahrung dieses Tanzes. Es kommt auf die Übersetzungsstrategie an. Ist es eher so wie der Fußballkommentator? Oder ist es vielleicht ein poetischer Zugang?
Lavinia: Vor ein paar Wochen habe ich dich gehört, in der „Hamlet-Performance“. Das war zur Tanznacht. Da hast du die Audiodeskription gesprochen. Wie bist du darangegangen.
Emmilou: Das Erste ist, dass ich das Stück sehe, höre und wahrnehme, in einer Vorstellung. Und das mache ich gerne ohne mir wahnsinnig viel von den Hintergrundinformationen durchzulesen. Dieses Stück war bildgewaltig und hat fast ohne Text und mit sehr visuellen Szenen gearbeitet. Gleichzeitig hatte es diese überladende Musikspur. Dann mache ich Assoziationsfelder auf mit Wort-Clustern, die in eine bestimmte Szene passen Gleichzeitig versuche ich bei dem zu bleiben, was gerade in den unterschiedlichen Szenen passiert. Es muss eine basale Verortung möglich sein: Wer ist auf der Bühne, was haben die vielleicht an und was für eine Aktion machen sie? Ich glaube, das sind Grundpfeiler, die man abdecken muss. Von da ausgehend kann man dann Assoziationen und Metaphern einbringen. Dann ist es wichtig, dass man mit den Performer*innen bzw. den Choreograf*innen spricht und Hintergrundinformationen einholt. Die „Hamlet“-Performance hat einen Rattenschwanz an Überlegungen, aber für die gemeine Zuschauer*in verlieren sich diese Sachen auch schnell. Dann muss man abwägen: Inwieweit bringe ich diese Interpretation, dieses Hintergrundwissen ein?
Lavinia: Bei einigen Tanz-Performances wird meiner Beobachtung nach schwierig zu verstehender Tanzjargon wie „sie manipuliert ihre Finger“ verwendet. Ich kann mir vorstellen, dass man das als Choreografin seinen Performer*innen sagt. Als Zuhörerin könnte das aber schwierig zu verstehen sein. Wie bewertest du solche Beschreibungen?
Emmilou: Es ist vielleicht besser, wenn man tatsächlich diese Verben benutzt: abspreizen, krümmen, zackig – irgendwie „von der Hand wegweisen“. Ich glaube es ist okay, wenn die Audiodeskription live gesprochen wird und man ein Ringen um Worte hat, abstrakte Formulierungen zu benutzen. Dann hilft es, das noch mehr zu unterfüttern: „Sie manipuliert die Finger, sie spreizen und krümmen sich.“ Vielleicht kann es manchmal gut sein, Wörter ein bisschen offener zu lassen und dadurch bestimmte Vorstellungen zu evozieren.
Lavinia: Was ist dann das Ziel der Audiodeskription?
Emmilou: Das Ziel der Audiodeskription sollte sein, die Erfahrung eines Tanzstücks in Sprache zu übersetzen und in einer Audiodeskription zugänglich zu machen. Ich glaube, in jeder Übersetzung entstehen Lücken, die neu und anders gefüllt werden können. Gleichzeitig muss es ein Bestreben der Audiodeskriptorin geben, so nah wie möglich am Original zu bleiben. Das bedeutet, dass Interpretationen eher runtergeschraubt werden und die Sprache möglichst klar sein sollte.
Lavinia: Schaffst du es, alles zu beschreiben? Zum Beispiel war „Hamlet“ eine sehr bewegte Performance. Jedenfalls hatte ich von der Audiodeskription her den Eindruck.
Emmilou: Wenn man spricht und versprachlicht, dauert es meistens länger als ein prägnantes schnelles Bild. Dadurch entsteht eine Hierarchie der Bilder und eine Auswahl, worauf man sich konzentriert. In meiner Erfahrung schaffen es die wichtigen Details später wieder in die Audiodeskription.
Lavinia: Jetzt ist ja die Audiodeskription für Tanz noch relativ jung. Du hast selber gesagt, du hast 2018 damit angefangen. Gibt es da noch Verbesserungsmöglichkeiten, was die Audiodeskription für Tanz angeht?
Emmilou: Auf alle Fälle. Alle Kolleg*innen haben sich daran wirklich aus Überzeugung beteiligt. Gleichzeitig ist es so: Die Arbeit ist noch nicht gemacht. Ein erster ganz wichtiger Schritt ist, dass es immer eine duale Audiodeskription ist, also von einer sehenden und einer blinden oder sehbehinderten Person. Das ist, was ich vermisse – ein klassisches Modell von „Quality-Check“, gerade was Audiodeskription angeht. Im Tanz gibt es vorher oft keine Videodokumentation. Das heißt, man kann sich nur bedingt vorbereiten, sieht die Premiere und am nächsten Tag ist die Audiodeskription. Diese Audiodeskription ist natürlich nicht vorher ausformuliert, sondern anhand von Stichpunkten entsteht sie spontan. Dadurch habe ich manchmal das Gefühl, dass das Feedback, was man danach kriegt, nicht mehr richtig anwendbar ist, weil die Audiodeskription schon passé ist. Eine Audiodeskription ist für manche im Publikum der einzige Zugang zu dem Stück und dadurch muss sie eine Tiefe und Ausarbeitung haben.
Lavinia: Warum ist das bis jetzt so wenig gemacht worden?
Emmilou: Ich glaube, es sind finanzielle Fragen. Wenn man am Abend eine Audiodeskription macht, ist es einer Abendgage entsprechend. Man performt über die Dauer des Stücks, und darüber hinaus braucht es eine Vorbereitungszeit. Es ist wichtig, dass es den Austausch gibt, zwischen den Nutzer*innen und den Anbieter*innen – sowohl in der Vorbereitung als auch in der generellen Planung von Audiodeskription.
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