Die bekannteste und wohl tragischste Liebesgeschichte aller Zeiten reizt in der Inszenierung des Shakespeare’s Globe von 2019 eher zum Lachen als zum Weinen. Ich habe das Drama mit fünfzehn Jahren zum ersten und bislang einzigen Mal gelesen und obwohl ich mich damals darauf gefreut habe (schließlich ist es „die“ Liebesgeschichte), bin ich an der blumigen Sprache, den vielen Figuren und den Szenenwechseln kaum vorbeigekommen. Ich habe es fertiggelesen und seitdem nicht mehr angeschaut.
Meine Erwartungen an diese Inszenierung waren also nicht hoch. Dementsprechend bin ich positiv überrascht. Das Stück ist witzig. Ich habe selten so viel gelacht, obwohl die Handlung eigentlich alles andere als erfreulich ist: Romeo und Julia verlieben sich auf den ersten Blick unsterblich ineinander. Leider gehören sie zwei Familien an, die sich seit jeher angefeindet haben. Die Fehde zwischen den beiden Häusern führt letztlich zum tragischen Tod des Liebespaars. Die Audiodeskription wurde von Ruth James von „Vocal Eyes“ eingesprochen. Das Stück ist noch bis Ende März 2021 auf Youtube mit englischer Audiodeskription zu hören.
Ich kann mir die ganzen Details nicht merken
Kostüm- und Bühnenbeschreibung erscheinen als Streaming-Variante immer ein wenig trocken. Da macht auch diese Einführung keine Ausnahme. Zwar ist es interessant, etwas über die Geschichte des Hauses und die Architektur zu erfahren. Ob das allerdings ein Teil der Einführung sein muss oder doch lieber abgegrenzt sein sollte, darüber bin ich mir nicht sicher. Zumindest würde es Zeit sparen. Dann geht es nämlich noch zur Bühnen- und Kostümbeschreibung und zwar in einem Detail, den ich mir sowieso nicht merken kann. Wie die Figuren heißen und was sie tragen, vergesse ich nahezu genau in dem Augenblick, als es gesagt wird. Das könnte natürlich auch an meinem schlechten Gedächtnis liegen. Nur bei Romeo merke ich mir, dass er eine petrolfarbene Hose trägt, die seine ruhige Art unterstreichen soll. Julia trägt ein loses silbernes Kleid, das ihre leichten und freien Bewegungen betont. An dieser Stelle bin ich dankbar, dass Ruth den Zusammenhang zwischen der Kleidung und der Persönlichkeit der Figur herstellt. Der wäre mir ansonsten verborgen geblieben. Wo ich mir mehr Details oder zumindest einen Hinweis wünsche, ist bei der Beschreibung der Charaktere an sich. Ruth bemerkt, dass die Besetzung divers ist, geht aber nicht darauf ein, wie genau die Figuren, abgesehen von ihrer Kleidung, aussehen. Da Sehende diese „Kleinigkeit“ sehr wohl erkennen, hätte ich auch wenigstens eine Ahnung von dem Aussehen der Schauspieler*innen gehabt.
Sie zeigen lachend auf ihre eigenen Figuren
Dieses „Romeo und Julia“ ist speziell für Schüler*innen vorgesehen und das ist vielleicht auch der Grund, warum es eher komisch als tragisch inszeniert wird. Immer wenn wir an eine besonders dramatische oder schmalzige Stelle kommen, übertreiben die Schauspieler*innen ihr Spiel dermaßen, dass ich den Eindruck bekomme, sie zeigen lachend auf ihre eigenen Figuren. Hier ein paar Beispiele:
„Do you bite your thumb at me? Beißt du deinen Daumen in meine Richtung?“ Eine aggressive Geste, die unweigerlich im ersten Kampf zwischen den Capulets und Montagues endet, bis der Prinz mit einer Polizeisirene dazwischengeht und mit einem Megafon die beiden feindseligen Häuser auseinandertreibt.
Während der Balkonszene erblickt Romeo Julia auf dem Balkon und sagt träumerisch: „O, that I were a glove upon that hand! Ach, wäre ich nur ein Handschuh an dieser Hand!“ Gesprochen mit einer solch übertriebenen Verliebtheit, dass man nicht anders kann, als zu schmunzeln.
Währenddessen steht Julia auf dem Balkon und säuselt in die Nacht: „Oh, Romeo.“ Dann erblickt sie ihn und wiederholt verwirrt: „Romeo?!“
Von der immer „Madam“ schreienden Magd bis hin zu Julias Vater, der wie ein alter Pirat klingt, ist die Besetzung ausnahmslos selbstironisch und lustig. Trotzdem konnte ich mir am Ende eine Träne nicht verkneifen, als die Capulets und Montagues das Ausmaß ihrer Feindschaft begreifen.
„Never was a story of more woe than than this of Juliet and her Romeo. Denn niemals gab es ein so herbes Los, als Juliens und ihres Romeos.“
Wie der Handschuh an die Hand
Ruths Audiodeskription führt mich wunderbar durchs Stück. Sie beschreibt oft nicht nur, was die Figuren tun, sondern auch, wie sie es tun: „cool moves and fast steps; coole Moves und schnelle Schritte“ oder „She stares back, intrigued. Sie starrt fasziniert zurück.“ Oder auch „Juliet gazes sadly after him as he leaves. Julia blickt ihm traurig hinterher, als er sie verlässt.“ Einige Male spricht sie unnötigerweise über den Text, aber alles in allem passt ihre süffisante Stimme auf das Stück wie der Handschuh an die Hand.
Bitte nachhören!
„Romeo und Julia“ ist noch bis zum 31. März 2021 mit Audiodeskription auf Youtube verfügbar. Shakespeare’s Globe Theatre bemüht sich stets darum, Shakespeare für alle zugänglich zu machen. Wie sie dabei vorgehen, könnt ihr in Andreas‘ Blick über den Tellerrand nachlesen bzw. im Podcast nachhören.
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