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Interview mit Gina Pietsch: „Ich nehme mich überhaupt nicht mehr zurück beim Brecht“

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„Mit Brecht ist es wie mit meinem Lieblingsparfüm: Kommt eine neue gute Sorte auf den Markt, probier ich sie aus und lande am nächsten Tag wieder bei meiner.“
(Gina Pietsch, „Mein Dörfchen Welt“)

Im sechsten Theaterclub des Berliner Spielplan Audiodeskription sprechen wir über „Mutter Courage und ihre Kinder“ und insbesondere über die Audiodeskription. Dazu haben wir einen ganz besonderen Gast eingeladen: die Sängerin und Schauspielerin Gina Pietsch. Bekannt ist sie durch ihre zahlreichen Brecht-Abende. Fünfunddreißig davon hat sie bereits ausgerichtet und im Dezember letzten Jahres hat sie die Audiodeskription für „Mutter Courage“ eingesprochen. Im Folgenden könnt ihr eine bearbeitete Variante des Interviews lesen.

Lavinia: Weil Sie Brecht-Interpretin sind und viel von Ihrem Leben Brecht gewidmet haben, wie sind Sie dazu gekommen?

Gina Pietsch: Natürlich erstmal, dass ich diesen Dichter sehr verehre. Dazu bin ich gekommen durch meine Deutschlehrerin im Gymnasium. Die war eine Brecht-Fanin. Das war in dieser Zeit noch gar nicht normal. Ich bin mit Dichtung aufgewachsen. Mein Vater war Schauspieler in Halle. Ich habe mit fünf Jahren das erste Mal auf der Bühne gestanden, aber kurioserweise noch nicht mit Brecht: mit Rilke, mit Goethe – was weiß ich. Mein Vater war ein Rilke-Fan. Und jetzt kam die Deutschlehrerin. Ich habe damals auch schon Brecht-Lieder gesungen im Gesangsunterricht. Bei meinem ersten Studium in Leipzig an der Karl-Marx-Universität ging das weiter. Wir haben dort an einer Studentenbühne sehr viel mit Brecht gearbeitet. Ich bin auch mit Brecht-Liedern und -Gedichten mit dieser Studentenbühne sehr früh in der Bundesrepublik gewesen. Und das ging dann weiter, als ich nach Berlin gekommen bin und die Möglichkeit hatte, ein Zusatzstudium an der Hanns-Eisler zu machen. Da war Gisela May meine Lehrerin für das Fach Chanson. Mein wichtigerer Lehrer war Ekkehard Schall, mit dem ich über fünfzehn Jahre sehr befreundet war. Ich kenne alle seine Rollen in- und auswendig. Er hat mich doch ganz entscheidend geprägt.
Ich habe als erstes nicht Gisela-May-Lieder gesungen, weil man da immer so schnell verglichen wird. Die May hat angefangen, die Lieder zu singen, die die Weigel sang und dann hat man gesagt: „Die weigelt ja da!“ Ich wollte gerne nicht „mayen“. Deshalb habe ich vornehmlich die Lieder gesungen, die Ernst Busch sang.
Wenn es irgendwo ein Vorbild auf dieser Strecke gibt, dann ist es für mich immer Helene Weigel, denn alle Courage-Aufnahmen und -Aufführungen, die ich danach gesehen habe, sind für meine Begriffe nicht an das herangekommen, was die Weigel da gemacht hat. Deshalb finde ich es wunderbar, dass auch blinden Menschen die Möglichkeit gegeben wurde, dieses wunderbare Stück zu sehen.

Lavinia: Als Sie die Audiodeskription für „Mutter Courage und ihre Kinder“ einsprechen sollten, wie sind Sie da rangegangen?

Gina Pietsch: Man kann sich nicht vorbereiten auf sowas. Mal abgesehen davon, dass ich das Stück sehr gut kenne, war das für mich ganz furchtbar neu. Ich habe so etwas noch nie gemacht und habe gedacht: „Na ja, hoffentlich kommen wir gut durch.“ Ich habe allerdings ein großes Vertrauen zu Dietrich Petzold, der ja sozusagen mein Regisseur war und das bearbeitet hat. Mit ihm habe ich sechs oder sieben CDs gemacht und Hörbücher. Der versteht sehr viel von Literatur und guter Sprache.
Wir hatten ja nicht sehr viel Zeit, muss man sagen. Wir haben das ganze Einsprechen an einem Tag machen müssen. Und da musste man sich natürlich ungeheuer konzentrieren. Mein Hintern tat mir weh, weil ich angespannt war. Man muss ja mit einer gewissen Spannung sprechen.

Wir hören das Lied von der großen Kapitulation, eingesungen von Gina Pietsch.

Gina Pietsch: Das ist ja ein Ausschnitt aus meiner ersten Brecht-CD, die wir „Alles wandelt sich“ genannt haben, genau im Jahr der Wende hergestellt. Es dreht sich alles um das Thema „Die Wende“ oder um den Übergang von der einen Gesellschaft in die andere.

Lavinia: Ich habe mir gestern das Lied in der Interpretation von Gisela May angehört und Ihre Interpretation ist viel vergnügter. Was bedeutet es für Sie, dieses Lied zu singen?

Gina Pietsch: Ich singe das Lied mittlerweile auch anders. Ich singe es kräftiger, ganz besonders, was die dritte Strophe anbetrifft, wo der Krieg angesprochen wird. Bei der May ist es natürlich sowieso etwas ganz anderes. Ich meine, jede Interpretin oder jeder Interpret hat da seine Freiheit, das so oder so zu verstehen. Ich habe die May immer sehr geschätzt. Erstens, weil sie meine Lehrerin war und zweitens, weil sie in dieser Zeit, als ich das gesungen hatte, einen sehr viel größeren Schatz an Bühnenerfahrung hatte und auch die Möglichkeit, mit Hanns Eisler zusammenzuarbeiten. Das hatte ich ja nicht. Wir haben das in einer etwas helleren und ganz besonders in der ersten Strophe heitereren Variante gesungen. Es war nicht das Problem, das hier in der Courage geschildert wird, denn da ist das ja eine sehr ernste Szene. Da kommt ja der Soldat, der sich beschweren will genau dorthin, wo die Courage wartet, weil sie sich auch beschweren will. Nun musste man aber warten. Und dieser Soldat ist plautzig und: „Ja, ich schlag‘ die alle zusammen!“ Und wie die Courage ihm sagt: Wenn du dich beschweren willst, dann brauchst du eine lange Wut und du hast nur eine kurze. Das bringt nichts. Da setz dich lieber wieder hin! Ich werde dir etwas erzählen.“ Und da erzählt sie dieses Lied von der großen Kapitulation und am Schluss dreht sie sich auch weg und sagt: „Ich beschwere mich nicht.“

Lavinia: In Ihrer Autobiografie „Mein Dörfchen Welt“ haben Sie geschrieben, dass Sie am Anfang Ihrer Karriere gelernt haben, dass man sich bei solchen Interpretationen wie Brecht immer ein wenig zurücknehmen sollte, weil er so ein großer Name ist. Wie sehen Sie das heute?

Gina Pietsch: Ich nehme mich überhaupt nicht mehr zurück beim Brecht. Ich gehe an so große Leute mit einer gewissen Demut heran. Ich bin also unheimlich z.B. gegen Inszenierungen, die sagen: „Wir müssen das alles ganz anders machen.“ Ich habe diese Demut ganz besonders bei Brecht. Das ist ein Weltkünstler geworden oder gewesen, obwohl er lange Zeit nicht die Möglichkeit hatte, das zu zeigen. Man kann auch Ehrfurcht dazu sagen, aber um es noch einen Zahn schärfer zu machen, gerne Demut.

Lavinia: Was ist das Aktuelle an diesem Stück?

Gina Pietsch: Erstmal ist es ganz große Kunst. Es ist ganz großer Spaß, obwohl es ein ganz furchtbares Thema ist. Wie muss mit Kriegen umgegangen werden? Als der Brecht das schrieb, er hat 1938 angefangen, 1941 war er fertig, das war ja mitten im Krieg. Jetzt haben wir diesen Krieg nicht, aber die Kriegsgefahr ist im Moment ganz latent und mindestens aus diesem Grund ist dieses Stück so wichtig und aktuell. Hier wird also eine vorgeführt, die sich das so aus dem Krieg herauszieht. Sie wollte eben, wie der Brecht es sagt, ihren Schnitt machen. Wenn wir also die Militärausgaben jetzt wieder erhöhen in diesem Deutschland, das nenne ich auch irgendwo seinen Schnitt machen. Ich kann das überhaupt nicht unterschreiben, noch dazu in solchen Zeiten, in denen wir uns im Moment mit Corona befinden. Ausgerechnet in solchen Zeiten wird das Geld genommen, um Militärausgaben zu erhöhen. Dadurch ist das Stück natürlich von enormer Aktualität.

Das gesamte bearbeitete Interview könnt ihr euch demnächst auf unserem Podcast-Kanal anhören.

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