Tanz und Bewegungen auf einer Bühne bleibt für ein blindes Publikum unsichtbar, für ein sehbehindertes unvollständig. Im fünften digitalen Theaterclub sprechen wir mit der Audiodeskriptorin, Choreografin und Performerin Xenia Taniko über die „(Un)Möglichkeit“, etwas so visuell und symbolisch geladenes wie Tanz in Sprache zu übersetzen. Im Folgenden könnt ihr das gekürzte Interview lesen.
Lavinia: Wie bist du von einer Performerin zu einer Audiodeskriptorin geworden?
Xenia: Ich habe Anfang 2019 einen Workshop mit dem Choreographen Jess Curtis gemacht. Er arbeitet hier in Berlin und in San Francisco und hat einen Workshop angeboten, indem er über zwei Tage hinweg, PerformerInnen in die Methode der Audiodeskription eingeführt hat. Das Ganze war initiiert von den Sophiensälen, von Anna Mülter, die das Ganze in den Sophiensälen beginnen wollte. Und dann haben sie sich als Team überlegt, dass es total Sinn machen würde, wenn es ChoreographInnen und TänzerInnen sind, die auch Tanz beschreiben.
Lavinia: Wie bringst du dein performerisches, choreographisches Wissen in die Audiodeskription ein?
Xenia: Wenn ich den Tanz mit meinen Augen sehe, hat er für mich eine ganz starke physische Auswirkung, die bei jedem/jeder ZuschauerIn so ist. Das ist für mich das Spannende an der Audiodeskription, zu gucken, wie Seheindrücke anders vermittelt werden können. Ich denke, dass ich relativ gut verstehe, wie sich das von innen anfühlt, bzw. mir das vorstellen kann, im Vorgespräch mit den ChoreografInnen der Stücke eine geteilte Sprache habe. Ich verstehe, wie sie arbeiten und kann mich in deren Arbeitsprozess ziemlich schnell einfinden.
Lavinia: Ich möchte nochmal auf die Schwierigkeit zurückkommen, Bewegungen in gesprochenes Wort zu übersetzen. Bei der Tanzperformance „It’s all forgotten now“ hat man viele einzelne Aspekte. Man hat Video, man hat Musik und gesprochenes Wort, man hat auch vor allem Tanz. Was ist die große Schwierigkeit, Tanz zu beschreiben?
Xenia: Es gibt eine unglaubliche Unmöglichkeit, Tanz zu beschreiben. Wenn man jetzt wirklich nur beschreiben würde, was die Person macht, dann hat man noch nicht beschrieben, was eigentlich passiert. Es hat so viele Lagen. Wenn ich meine sehende Erfahrung beschreiben würde, ist es so etwas wie: Ich sehe die Formen des Körpers, wie z.B. ein Körper aussieht, welchen Gesichtsausdruck die Person hat, wie sie sich hält und natürlich ist in so einem Gesichtsausdruck ganz viel Emotionen und im Körper ganz viele Emotionen. Das sind so subtile Dinge. Wenn ich versuche, sie zu beschreiben, weiß ich gar nicht, an welchen sichtbaren Sachen ich sie festmachen würde.
Es ist auch etwas Energetisches. Manchmal habe ich das Gefühl: Eigentlich sehe ich etwas, was gar nicht da ist! Ich komme aus einer Praxis, sehr sehr viel Tanz zu sehen. Ich frag mich dann, was ist das für eine Erfahrung? Es ist wie, als würde die Bewegung etwas transportieren, was nicht sichtbar ist. Das ist das, was mich am Tanz hält. Deswegen ist für mich die Aufgabe, Tanz zu deskribieren, eine spannende und auch eine schwierige, weil zum einen etwas Sichtbares passiert. Aber wie beschreibt man dieses Unsichtbare?
Lavinia: Ich sehe „It’s all forgotten now“ als Collage von Videos, gesprochenes Wort, Musik und natürlich Bewegung. Wie entscheidest du dich bei so vielen Medien dafür, was du gerade beschreibst?
Xenia: Dadurch, dass ganz viele Leute gleichzeitig tanzen, lasse ich mich von meiner eigenen Seherfahrung leiten. Um zu gucken, was catched mich, was fängt mich ein, wo bleibt mein Blick hängen? Da nehme ich mir eine kreative Hoheit heraus. Diese Dreidimensionalität, die stattfindet, kann ich mit meiner Sprache gar nicht so ausdrücken. Ich kann ja nicht fünf Leute gleichzeitig beschreiben. Das heißt, ich muss mich entscheiden. Das mache ich zum einen intuitiv, zum anderen ganz stark in Rücksprache mit der Choreografin oder dem Choreografen, z.B.: Womit arbeiten die TänzerInnen in einem bestimmten Stück? Worum geht es in dieser Szene? Was war die Intention? Das ist ein wichtiger Teil für mich, dass ich quasi in den Prozess reingehe und wirklich verstehe, was die Intention von dem Künstler oder der Künstlerin war, um dann zu gucken: Wie kann ich das übersetzen?
Lavinia: Apropos Übersetzung. Das Stück war auf Englisch und Französisch. Selbst wenn man gut englisch spricht, sind es sehr anspruchsvolle, teilweise poetische, teilweise sehr wissenschaftlich angehauchte Texte. Du hast dich dazu entschlossen, nur ein paar zusammenfassende Sätze am Anfang zu sagen. Warum hast du sie nicht im Detail übersetzt?
Xenia: Wir haben häufig vorher gecheckt, wieviel Englischkenntnisse vorhanden sind und haben dann versucht, z.B. bestimmtes Material übersetzt vorher als PDF-Datei zugänglich zu machen oder vorher die Texte zu besprechen. Das ist Teil der Tastführung vor dem Stück, die wir immer machen. In diesem Fall, Video, war es so, dass wir gemerkt haben, wie du es gesagt hast: Diese Texte sind zum Teil so komplex und auch für Menschen, die super fließend im Englischen sind, gar nicht so direkt verständlich. In Rücksprache mit dem Choreographen war klar: Es geht gar nicht darum, den Text hundertprozentig zu verstehen, sondern es hat einen ganz starken poetischen Stimmungsaspekt. Ich habe im Team gearbeitet, habe mich mit vielen anderen Menschen rückgeschlossen und mit der Beratung von Sophia Neises (Anmerkung: sehbehinderte Künstlerin und Performerin) haben wir uns dazu entschieden, die Texte nicht zu übersetzen, weil wir zum einen nicht über den Text sprechen wollten, weil er einen musikalischen Aspekt hat. Zum anderen, weil es Menschen gibt, die englisch verstehen oder teilweise verstehen. Wir wollten diese Erfahrung nicht vorwegnehmen und davon ausgehen, dass niemand englisch versteht. Es ging darum, eine Balance zu finden.
Lavinia: Stell dir vor, ein Blinder kommt auf dich zu und sagt: „Ach, das mit Audiodeskription für Tanz, das ist nichts, weil sich Bewegung nicht zugänglich beschreiben lässt.“ Was würdest du antworten?
Xenia: Meine Hoffnung ist, dass die Audiodeskription selbst einen künstlerischen Wert haben kann, weil sie ausgehend von einem künstlerischen Stück versucht, es zugänglich zu machen und dann einen eigenen künstlerischen Wert haben sollte.
Lavinia: Du meinst, dass du hoffst, dass die Audiodeskription ein eigenständiges Format ist? Abgesehen davon, dass es natürlich eine Serviceleistung ist.
Xenia: Ja, natürlich steht es an erster Stelle, dass es eine Serviceleistung ist, aber ich denke, und da spreche ich als Künstlerin, dass man diese Serviceleistung ausbauen kann und nicht trocken sein muss. Es geht ja darum, Vorstellungen zu initiieren oder hervorzurufen. Das finde ich total spannend. Da kann man sich reinhängen und etwas kreieren, was ästhetisch ist und was Spaß macht, sich anzuhören. Das ist meine Vorstellung, mein Ideal. Und eine Sache, die mich auch interessiert ist, dass man eine Audiodeskription macht, die wirklich eine Auswirkung auf den Tanz haben kann. Ich wünsche mir, dass Audiodeskription viel früher in den choreografischen Prozess eingebunden wird.
Dass Audiodeskription eine künstlerische Leistung ist und nicht nur ein trockener Service, kann man glaube ich nicht oft genug betonen. Tanz ist durch seine Visualität sicherlich eine der größten Herausforderungen für AudiodeskriptorInnen. Hoffen wir mal, dass Xenias Wunsch bei ChoreografInnen und PerformerInnen auf offene Ohren fällt. Ein bisschen mehr Bewegung kann uns in unserem Leben bestimmt nicht schaden.
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