Kostüme machen Filme und Theaterstücke lebendig. Sie helfen den SchauspielerInnen ebenso wie uns als ZuschauerInnen dabei, sich in eine Geschichte hineinzuversetzen. Wie grundlegend das richtige Kostüm für die Charakterbildung einer Figur ist, weiß Barbara Baum. Als Kostümbildnerin hat sie für so bekannte Filme wie „Die Ehe der Maria Braun“ (Regie: Rainer Werner Fassbinder) Kostüme entworfen. Die Ausstellung „Hautnah“ gibt einen fühlbaren Einblick in das Schaffen von Barbara Baum. Ihre Originalkostüme sowie Skizzen und Stoffproben können in der Deutschen Kinemathek erlebt werden. Am 21. Oktober 2020 veranstaltet die Deutsche Kinemathek in Berlin eine digitale Rundführung durch die Ausstellung, in der einige Exponate beschrieben werden.
Es erinnert an eine Tastführung, nur eben digital
„Ich denke immer in Stoffen. Bei außergewöhnlichen Stoffen bekomme ich sogar Gänsehaut. Die Entscheidung für diesen oder jenen ganz bestimmten Stoff ist für mich dann meist schon das halbe Kostüm.“ – Barbara Baum
Leider gibt es nichts zu tasten, dafür aber so einiges zu hören. Gitte Hellwig, Filmschaffende und Referentin für Bildung und Vermittlung, beschreibt über Instagram live, wie die Ausstellung aufgebaut ist. Im ersten Ausstellungsraum beschreibt sie zunächst ein Bild von Barbara Baum in ihrem Arbeitszimmer. Baum hat braune Haare, trägt große dreieckige Ohrringe und ein dunkles Oberteil. Umgeben ist sie von ihrer Arbeit. In der ersten Vitrine finden wir Skizzen von Baums ersten Kreationen. Sie lernt zunächst Schneiderei und studiert dann Modedesign. Anfangs arbeitet sie für Privatkunden, bevor sie zum Film geht und mit so großen Namen wie Rainer Werner Fassbinder zusammenarbeitet. Die Vitrine zeigt Skizzen von Kleidern, Berechnungen des Stoffverbrauchs, Schnittmuster in Einzelteilen, Stoffproben, Fotos und Zeichnungen von Frauen mit Kleidern.
In einer anderen Vitrine erfahren wir, wie wichtig die Anprobe für die Entstehung einer Figur ist. Hier ist zum Beispiel ein Bild von der Anprobe zum Film „Vater und Söhne“ (Regie: Bernhard Sinkel) ausgestellt. Baum liest akribisch jedes Drehbuch. Manchmal, wie bei dem Film „Der große Bagarozy“ (Regie: Bernd Eichinger) braucht es mehrere Versuche, um das richtige Kostüm zu entwickeln. In diesem Fall soll es ein „supertolles Abendkleid“ sein. Das Kleid ist in mehreren Varianten zu sehen: einmal mit Stickereien, dann ein eingewebtes Muster, dann mit Federn. Letztendlich wird es ein seidiger Stoff ohne Verzierungen und mit Gehweite zum Rennen.
In diesem ersten Raum sind auch verschiedene Stoffe aus Naturfasern angeordnet. Hellwig beschreibt einige davon: ein knallroter, steif anmutender Seidenstoff, violett-glänzende Seide aus weichem Stoff, weiße Seide mit eingewebtem Muster, grober und weicher Leinenstoff, Hanf, Baumwolle und Schurwolle. Jeder Stoff ist anders und erweckt andere Assoziationen. Das beweist, dass selbst beim Film wo es hauptsächlich auf das Aussehen ankommt, das Gefühl eines Stoffes ebenso wichtig ist.
Im zweiten Raum sind die Originalkostüme ausgestellt
Der für mich interessantere Teil der Führung beginnt im zweiten Raum. Hier sind die Originalkostüme ausgestellt. In der Ausstellung kann man sie über Reliefe ertasten und über eine Audiodeskription beschreiben lassen. Hellwig konzentriert sich auf fünf Kostüme aus den Filmen „Berlin Alexanderplatz“ (Regie: Rainer Werner Fassbinder), „Aimé und Jaguar“ (Regie: Max Färberböck) und „Lola“ (Regie: Rainer Werner Fassbinder).
„Berlin Alexanderplatz“ handelt von Franz Biberkopf, der Ende der 1920er Jahre aus dem Gefängnis entlassen wird und dann seinen eigenen Weg finden muss. Das Kostüm von Franz Biberkopf besteht aus einem dreiteiligen Anzug in Braun – braune Jacke, braune Weste, braune Hose und dazu ein gestreiftes Hemd mit roter Krawatte. Weil Biberkopf seinen rechten Arm verliert, wird der Arm des Schauspielers bandagiert und unter dem Kostüm versteckt.
„Aimé und Jaguar“ handelt von einem lesbischen Liebespaar, die Hausfrau Lilly und die verdeckte Jüdin Felice, das gegen Ende des zweiten Weltkriegs zusammenfindet. Interessant finde ich hier das Kostüm von Lilly. In einer Szene trägt sie einen zweiteiligen Anzug von Felice. Er besteht aus meliertem Tweet. Dazu trägt sie ein weißes Hemd und eine Fliege. Das Besondere an diesem Kostüm ist, dass Lilly hier zum einzigen Mal in eine fremde Rolle schlüpft, während Felice es als versteckt lebende Jüdin tagtäglich tun muss. Für Lilly ist es ein Spiel, für Felice bedeutet es Überleben.
Zuletzt beschreibt uns Hellwig ein Kostüm aus dem Film „Lola“. In einer Szene trägt die Prostituierte Lola ein trägerloses Kleid mit Corsage, einen Glockenrock aus schwarzem Tüllstoff mit goldenen Punkten und ein ärmelloses Cape. Sie steht auf einer Bühne, singt ein Chanson und beginnt währenddessen, sich das Kostüm zu zerreißen. Allein wegen dieser Szene musste das Kleid mehrmals hergestellt werden. Nicht sonderlich nachhaltig, aber die Szene bleibt im Gedächtnis.
Kleider machen Leute – Kostüme Figuren
Hier endet die Führung. Sie war eine Kostprobe dessen, was man in der Ausstellung direkt vor Ort ertasten und hören kann. Heute habe ich gesehen, dass Kleider tatsächlich Leute machen. Kostüme während einer Tastführung zu fühlen, zu verstehen, wie sich der Stoff anfühlt und wie der Schnitt den Körper darunter aussehen lässt, ist ein ebenso wichtiger Teil einer jeden Inszenierung wie die Audiodeskription an sich. Deshalb fühle ich mich einer Figur viel näher, wenn ich einmal das Kostüm in der Hand gehalten habe. Hellwig hat die Stoffe, den Schnitt und die gesamte Kostümkomposition so lebendig beschrieben, dass ich tatsächlich fast das Gefühl hatte, hautnah dabei zu sein. Mit Instagram hatte ich jedoch anfangs Schwierigkeiten, weil ich das Live-Video nicht sofort gefunden habe. Die Ausstellung ist noch bis zum 3. Mai 2021 geöffnet.
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