„You are matter to me.“
„You matter to me.“
„matter“
Immer wieder werden Wörter auf einem Laptop eingetippt, gelöscht, ersetzt. Eine große Leinwand zeigt, wie die Wörter „matter“ und „life“ in immer andere Verbindungen gebracht werden. Mal steht dort „life“, mal „Live“, dann wieder „lie“. Je mehr Kombinationen versucht werden, je mehr Bedeutungen ergeben sich aus der Zusammensetzung. Der Anfang von „Living Matters“ von Eva Meyer Keller in den Sophiensälen Berlin ist bezeichnend für die ganze Performance, die in Zusammenarbeit mit den BiologInnen des Simone Reber Labors entstanden ist. Darin geht es um die geordnete Untersuchung des Lebens durch Praktiken der Zellforschung. Verwendet werden lebende Organismen wie Früchte und anorganische Stoffe, die von den vier Performerinnen immer wieder geteilt, neu angeordnet und aus verschiedenen Blickwinkeln betrachtet werden. Es entsteht der Eindruck eines zusammenhängenden Experiments unter der Fragestellung „Woraus bestehen wir eigentlich wirklich?“
Worauf kommt es im Leben an?
Die Konfrontation von Anordnung und Chaos, die dem Stück zugrunde liegt, verdeutlichen die unzusammenhängend erscheinenden Materialien und ihre Betrachtung durch die Performerinnen. Fast immer gibt es zwei von jeder Sorte. Zwei Reinigungswagen, zwei Garderobenständer, zwei grüne, weiße, blaue und rote Bahnen aus netzartig gewobenem Plastik. Daneben gibt es Rote-Beete-Saft, Pomelos, Kakis, Brombeeren, Weintrauben, Gesichtsmasken, Kleiderbügel, Plastikboxen, Papiertücher, weiße Kugeln, Föne, Scheinwerfer, mintfarbene Plastiksäcke, Petrischalen und vieles mehr. Während der Tastführung halte ich alle diese Objekte einmal in den Händen und wundere mich über ihren Zusammenhang. Abgesehen davon, dass es eine gewisse Symmetrie auf der Bühne gibt und es um Teilung geht, kann ich mir noch keinen Reim auf das Bühnenbild machen.
Das vierköpfige Performerteam stellt sich während der Tastführung bis auf eine Ausnahme als großnäsig vor, was ich aber eher als Fun Fact denn als grundlegend für die Performance interpretiere. Sie tragen weite Kleidung. Ihre Frisuren liegen eng am Kopf an und auf dem Rücken ist eine Art dünner Panzer aus hartem glattem Papier aufgeklebt. Während der Vorstellung werden sie sich nämlich hauptsächlich auf dem Rücken über die Bühne schieben. Die Performance findet also entweder im Liegen oder im Sitzen statt.
Audiodeskription in einer performativen Anordnung
Die Audiodeskriptorin Xenia hat an diesem Abend viel zu tun, denn die Performerinnen sind ununterbrochen damit beschäftigt, kleine Experimente durchzuführen. Zuerst werden die vielfarbigen Plastikbahnen ausgerollt, dann auseinandergezogen. Dieses Prinzip zieht sich durch die gesamte Performance. Während wir die Handlungen der einzelnen Performerinnen im Ganzen betrachten, zeigt die Leinwand im Detail, was vor sich geht. Besonders lebhaft bleiben mir drei Beschreibungen im Gedächtnis. Weiße Kugeln werden in eine Schale mit roter Flüssigkeit gegeben und beginnen sich rot zu färben. Dabei bewegen sie sich wie Maden. Eine Kaki löst sich in grüner Flüssigkeit auf, bis sie nur noch aus Fäden besteht. Eine Brombeere wird auf einem Stück Papier mit einer Pinzette zerdrückt. Der rote Saft der Frucht tritt aus und wird von Xenia als Blut beschrieben. Je näher man sich die einzelnen Objekte betrachtet, desto ekliger und abstoßender scheinen sie zu werden. Ich konnte dabei nicht umhin, mir vorzustellen, wie unappetitlich wir selbst in Wirklichkeit aussehen, wenn man uns einmal durch ein Mikroskop betrachtet.
An der Audiodeskription gefällt mir, dass sehr bildlich beschrieben wird, wie die Objekte aus der Nähe aussehen und sich verhalten. Auch zu erfahren, wie eine Szene im Ganzen wirkt, gibt mir einen guten Überblick über eine ansonsten schwierig zu überblickende Performance. Es herrscht eine freudige Stimmung, in der die Dinge, die vorher wild durcheinandergeworfen wurden, jetzt nach Farben und Größe geordnet werden. Als allerdings eine Sprachaufnahme durch die Lautsprecher tönt und Xenia parallel dazu weiterbeschreibt, bin ich mir nicht sicher, wem ich zuhören soll. Ich versuche zunächst beides zu hören, dann nur die Lautsprecher und dann wieder Xenia. Das Resultat ist, dass ich diese Szene nicht mitbekomme. Entweder lässt man die Stimmen wirken oder man gibt einen Hinweis, dass die Bewegungen wichtiger sind. In diesem Fall wäre es wohl besser, die Lautsprecher für sich stehen zu lassen, denn die Audiodeskription ist an diesem Abend generell so leise, dass ich schon an Stellen ohne Musik und Sprache, Schwierigkeiten habe, die Stimme der Audiodeskriptorin zu hören.
Die Performance lässt Fragen offen
Die Performance von „Living Matters“ lässt mich an diesem Abend mit vielen Fragen zurück. Das liegt aber nicht nur an der Audiodeskription, sondern vorrangig an dem Stück an sich. Geht es darum, dass das Leben eine solche Vielfalt bietet, dass wir es unmöglich erschöpfend verstehen und anordnen können? Oder ist es eine Kritik an Plastik, da viele der Gegenstände aus Plastik waren und besonders die Plastiktüten, die im Laufe des Stücks aufgeblasen werden, immer mehr den Raum und damit die anderen Objekte einnehmen und schließlich verschlucken? Ich stelle mir hinterher auch besonders die Frage: Woraus sind wir gemacht und sind wir im tiefsten Inneren schön oder hässlich? Eine eindeutige Antwort kann ich darauf nicht geben, aber das ist vielleicht auch das Schöne an diesen Arten von Performances.
Der Berliner Spielplan Audiodeskription hat den Sophiensälen an diesem Abend seine Sprecherkabine geliehen. Aber bereits vor Anlauf des Projekts, engagierte sich das Theater bereits für Performances mit Audiodeskription. Die nächste Vorstellung dort findet voraussichtlich im April statt. Dazwischen gibt es aber noch viele weitere Theaterstücke. Behaltet deshalb unseren Spielplan im Auge. Wir sehen uns demnächst in eurem Theater!
Mehrmals monatlich halten wir euch über die aktuellen Vorstellungen mit Audiodeskription auf dem Laufenden. Hier geht’s zum Newsletter.