Wie „on“ seid ihr eigentlich? Schaut ihr so gut wie nie ins Internet oder seid ihr konstant online, um auch ja nichts zu verpassen? In der Performance „Onon“ ging es am 14. Dezember 2019 in den Sophiensälen genau um dieses Thema. Die surreale Performance mit Audiodeskription zeigte die Strukturen einer digitalen Welt auf, offenbarte was passierte, wenn die Systeme außer Kontrolle geraten. Wie das Eintauchen vonstattengeht und wie die Menschen darauf reagieren. Tagtäglich begegnen wir digitalen Welten, betreten virtuelle Realitäten und wissen gar nicht so genau, was real ist und was nicht. Wir sind nicht nur on, wir sind onon, immer eingetaucht und manchmal ganz abgetaucht.
„Onon“ in einer anderen Welt
Dass wir uns in einer anderen Welt befanden, deutete bereits das Bühnenbild von „Onon“ an. Die Bühne bestand aus einem weißen Tanzboden. Darüber schwebten Leinwände in unterschiedlichen Größen. Mehrere kleinere Leinwände hoben und senkten sich konstant, während sich eine riesige Leinwand ununterbrochen um die eigene Achse drehte.
In der Mitte der Bühne stand ein Podest aus Holz, in das die PerformerInnen immer wieder kletterten. Requisiten waren unter anderem halbe Stühle, die mit zwei ineinandergesteckten Akkuschraubern verbunden wurden, eine Leiter, ein Hocker und eine hohle Kugel, die später, betrieben durch einen weiteren Akkuschrauber über die Bühne tanzte und sie zerstörte. Ein weiß angemalter Baumstamm stand auf einem Rollbrett und wurde ebenfalls immer wieder über die Bühne geschoben. Dazu fielen in unregelmäßigen Abständen kleine quadratische Päckchen von der Decke. Das gesamte Bühnenbild war in Weiß gehalten und erzeugte damit eine surreal anmutende Nachbildung der realen Welt.
Die surreale Performance mit Audiodeskription lässt Interpretationsspielraum
Die Performance ließ durch ihre abstrakte Handlung einigen Interpretationsspielraum offen. Ohne Audiodeskription wäre sie für ein blindes Publikum nahezu unverständlich. Wie immer, wenn mehrere Akteure gleichzeitig auf der Bühne sind, kam die Audiodeskriptorin kaum mit der Beschreibung hinterher. An dieser Stelle muss ich eines der ersten Gebote der Audiodeskription revidieren, Normalerweise heißt es, man solle nicht zu viel interpretieren, damit der blinde Zuschauer sich nicht wie ein Kind vorkommt, dem alles vorgekaut wird. Bei einer abstrakten Performance wie „Onon“ ist es durchaus hilfreich, dass die Audiodeskriptorin etwas mehr beschreibt. Zum Beispiel drehte sich die große Leinwand zuerst auf der rechten Bühnenseite. Dann schwebte sie über dem Podest und trennte die PerformerInnen voneinander.
Die Audiodeskriptorin beschrieb, die Leinwand wirke erhaben und unangetastet vom sonstigen Geschehen auf der Bühne. Darunter konnte ich mir persönlich viel mehr vorstellen, als wenn die reine Bewegung beschrieben worden wäre.
„Onon“ spielte mit Licht, Farben, kleinen unvollständig zusammengesetzten Gegenständen und natürlich mit den Leinwänden als Bildschirme, die alles, was auf sie projiziert wurde, kommentarlos und wertungsfrei wiedergaben. Hinzu kamen die PerformerInnen, die sich zuerst hinter den Leinwänden versteckten, die Gegenstände umherschoben und unbeholfen zu sprechen begannen. Sie erzählten die Geschichte einer außergewöhnlichen Maschine, die kaputt gegangen ist. Dabei erweckten ihre Stimmen selbst den Eindruck eines Computers, der nur einzelne Worte hervorbringt und immer wieder die gleichen Sätze wiederholt.
Persönlich bekam ich den Eindruck einer digitalen Welt, die überladen ist mit Informationen und andauernd versucht, sich selbst zu reparieren – ein System, das nicht mehr so funktioniert, wie es ursprünglich programmiert war und jetzt außer Kontrolle geraten ist. Nur die Bildschirme waren in ihren monotonen Bewegungen ein Ruhepol. Sie gaben ruhig und neutral die Farben und Lichter wieder, mit denen sie angestrahlt wurden.
Wie gesagt, gibt es mehrere Interpretationsmöglichkeiten und so habe ich auch die Theorie gehört, es handele sich um ein anthropologisches Thema – die Performance als Darstellung der Evolution. Eine weitere Lesart könnte sein, dass die Performance die Welt der sozialen Netzwerke wiederspiegelt, in denen man ununterbrochen von Bildschirmen, Farben und Lichtern umgeben ist und mit Emotionen konfrontiert wird, mit denen man nicht umgehen kann.
Fazit: surreale Performance mit Audiodeskription
Egal, für welche Interpretation man sich entscheidet, die Performance war in jedem Fall den Besuch wert. Die Tastführung hinterließ eine gute räumlichen Vorstellung vom Aufbau der Bühne und den verwendeten Requisiten. Obwohl oder gerade, weil die Audiodeskription an einigen Stellen Interpretationsmöglichkeiten anbot, konnte ich mir Fragen zur Bedeutung der Performance stellen, die mir ansonsten nicht gekommen wären. Aus meiner Perspektive war „Onon“ die interessanteste Performance, die ich in den Sophiensälen bislang miterleben durfte. Wer sich für modernes Theater interessiert, sollte einmal bei den Sophiensälen in Berlin vorbeischauen. Demnächst finden dort im Rahmen der Tanztage in Berlin weitere Performances mit Audiodeskription statt. Wie immer gibt es in unserem Spielplan die neuesten Theaterstücke mit Audiodeskription in Berlin. Schaut gerne vorbei. Ein gesundes und fröhliches neues Jahr mit viel Theaterzauber wünscht euch das Team des Berliner Spielplan Audiodeskription und ich ganz besonders.
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