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Eine gelungene Tastführung von „Othello“ im Berliner Ensemble

Posted in Theaterrezension

„Die Bühne wird dunkel. Blaues Licht fällt auf ein Schlagzeug im hinteren Teil der Bühne. Mit kräftigen Schritten betritt Othello die Drehbühne. Bei der Bühnenrampe bleibt er stehen. Sein Körper ist nackt und zur Gänze mit roter Farbe bedeckt. Von hinten kommt Desdemona mit leichten Schritten auf ihn zu. Ihr Körper ist ebenfalls nackt und mit weißer Farbe bedeckt. Sie springt auf Othellos Rücken. Sie küssen sich leidenschaftlich. Dabei vermischt sich die rote und weiße Farbe auf ihren Körpern.“

Am 12. November im Berliner Ensemble beschrieb der Audiodeskriptor Albert Frank ungefähr so das Bühnengeschehen. Gezeigt wurde Othello, ein Drama von William Shakespeare unter der Regie von Michael Talheimer. Das Stück zeichnete sich meiner Meinung nach durch eine gelungene Tastführung und Audiodeskription aus.
Es handelte sich um ein Stück aus dem 17. Jahrhundert, dessen Thematisierung von Rassismus und Diskriminierung immer noch aktuell ist. Der schwarze General Othello ist unter den Venezianern beliebt, solange er ihre Feinde für sie besiegt. Das ändert sich jedoch, sobald er die weiße Desdemona heiratet. Der eifersüchtige und böswillige Iago tut daher sein Bestes, um das Glück der beiden zu stören. Er redet Othello ein, seine Frau wäre untreu, bis er schließlich von Eifersucht zerfressen wird. Der Unterschied zwischen Othello und Desdemona wurde durch Theaterfarbe angedeutet. Während Desdemona komplett weiß geschminkt war, wurde Othello von Kopf bis Fuß mit roter Farbe bedeckt. Dies war allerdings das einzige Anzeichen dafür, dass Othello anders als die ihn umgebenden Menschen war. Ansonsten legte die Inszenierung wenig Fokus auf Fragen der Diskriminierung und mehr auf die Konsequenzen von Intrigen und Eifersucht.

Eine gelungene Tastführung

Der Höhepunkt dieses Abends war für mich die Tastführung. Das Berliner Ensemble nahm sich eine Stunde Zeit, um uns durch das Haus, seine Bühne und Requisiten zu führen. Zuerst erfuhren wir etwas über die Geschichte des Hauses. Das Theater wurde 1892 als „Neues Theater am Schiffbauerdamm“ eröffnet. Seinen heutigen Namen erhielt es aber erst 1954, als Berthold Brecht mit seinem Berliner Ensemble einzog. Der Zuschauerraum bietet ca. 700 Personen Platz. An diesem Abend reichte eine Drehbühne über den Orchestergraben bis kurz vor die erste Reihe im Parkett. Wir bekamen die Gelegenheit, das spärliche Bühnenbild der Inszenierung zu erkunden. Neben der Drehbühne stand auf der Hinterbühne nur ein Podest mit einem Schlagzeug, das an diesem Abend
FÜR EINEN TREIBENDEN RHYTHMUS passend zur Spannung des Stücks sorgte. Danach ertasteten wir Requisiten und Kostüme aus dem Stück. Die blinden und sehbehinderten ZuschauerInnen versammelten sich dazu um einen Tisch im sogenannten Gartenhäuschen des Berliner Ensemble. Desdemona trug an diesem Abend zwei Kleider (ein bauschiges geblümtes und ein Hochzeitskleid). Besonders das Brautkleid wollten die meisten TeilnehmerInnen gar nicht mehr aus den Händen geben. Es bestand aus einem wallenden Tüllstoff und war extra für diese Inszenierung angefertigt worden. Darüber hinaus gingen Stoffe aus den Gewändern der Chormitglieder herum sowie die weiße und rote Farbe, mit der Desdemona und Othello angemalt wurden. Am besten haben mir die Masken des Chors gefallen. Sie bestanden aus einem Kunststoff mit Löchern für Augen und Münder. Dabei erinnerten sie stark an die Masken des Ku-Klux-Klans. Ein Chormitglied nahm sich die Zeit, um zu erklären, wie der Chor aufgebaut ist und wie sie ihre Einsätze durch den Chorleiter bekommen. Eine gelungene Tastführung.

Die Audiodeskription von Othello

Vor einigen Monaten habe ich mir Othello bereits einmal ohne Audiodeskription angesehen. Ich muss sagen, dass sich durch die Beschreibung mein Eindruck von den Charakteren teilweise geändert hat. Zum Beispiel wusste ich nicht, dass Desdemona Othello fast bei jeder Begegnung leidenschaftlich küsst. Die Geste machte sie in meinen Augen zu einer Frau, die selbst Macht über ihren Mann hat – mehr als nur eine Schachfigur in Jagos teuflischem Spiel. Auch Emilia wirkte von Beginn an sympathischer. Es wurde klar, dass sie Desdemonas Tuch aufhob und ihrem Mann gab, um ihm zu gefallen und seine Zurückweisung sie schmerzte. Trotzdem konnte die Audiodeskription nicht darüber hinwegtäuschen, dass man Jagos Beweggründe nur dann versteht, wenn man das Stück und seine Mechanismen des Rassismus im Vorfeld kennt. Ohne Vorkenntnis wirkte Jago auf mich grundlos böse. Das Thema des Rassismus wurde für meinen Geschmack zu wenig thematisiert. Das Beste an der Inszenierung war die leidenschaftliche Performance der Emilia, das Schlagzeug und der Chor. Besonders der Chor sorgte mit seinen 13 Männer- und 17 Frauenstimmen für einen ganz besonderen Soundeffekt. Sie klangen wie ein ganzes hasserfülltes Monster, das mit einer Stimme spricht.
Während des Stücks beschreibt Albert Frank immer wieder, wo sich die SchauspielerInnen gerade befinden. Seine Stimme bleibt dabei immer ruhig und verständlich.
An der Audiodeskription an sich habe ich nur auszusetzen, dass so viele Szenen im Voraus erklärt wurden. Das lag daran, dass das Schlagzeug an vielen Stellen so laut ist, dass man die Stimme des Audiodeskriptors nicht mehr hört. Allerdings waren es so viele, dass ich mich während der Vorstellung nicht an alle erinnern konnte. An diesen Stellen hätte ich mehr als nur den stichwörtlichen Verweis des Audiodeskriptors gebraucht. Hinzu kommt, dass auch die Schlussszene beschrieben wurde, sodass der Ausgang bereits vor Beginn des Stückes enthüllt wurde. Für diejenigen, die Othello noch nicht kannten, wurde die Spannung dadurch verdorben.

Fazit – ein gelungener Theaterbesuch

Alles in allem war dies dennoch ein erfolgreicher Theaterbesuch. Die gelungene Tastführung und die Audiodeskription fügten sich gut in das Stück ein. Das Servicepersonal war ausgesprochen freundlich und hilfsbereit. Die vorangegangene Sensibilisierungsschulung hatte offensichtlich Wirkung gezeigt. Die blinden und
sehbehinderten BesucherInnen waren so zahlreich erschienen, dass die Empfangsgeräte bald vergriffen waren. Also, liebe Theaterbegeisterte, denkt immer daran, euch für die Vorstellungen mit Audiodeskription im Vorfeld anzumelden.
Im nächsten Jahr wird es weitere Aufführungen des Othello mit Audiodeskription geben. Haltet deshalb eure Augen und Ohren offen und verfolgt unseren Spielplan.

Mehrmals monatlich halten wir euch über die aktuellen Vorstellungen mit Audiodeskription auf dem Laufenden. Hier geht’s zum Newsletter.

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