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Behindert wird man?

Posted in Barrierefreiheit im Theater

Hindernisse, die vom Theaterbesuch abhalten, gibt es noch und nöcher. In diesem Blog habe ich bereits über Barrieren beim Finden des gewünschten Stückes mit Audiodeskription, bei der Ticket-Bestellung, durch unvorbereitetes Service-Personal und fehlende Tastführungen gesprochen. Was bleibt, ist der Gang zum Theater. Auch hier tauchen Hindernisse auf, die den einen oder die andere vom Besuch abhalten. Diesmal möchte ich über einige der Hindernisse sprechen, die mir im öffentlichen Raum bereits begegnet sind und womöglich auch eine Herausforderung für andere Blinde darstellen.

Alles, was im Weg steht

Das größte und im wahrsten Sinne des Wortes offensichtlichste Hindernis besteht meiner Meinung nach in all den kleinen und großen Dingen, die im Weg herumstehen. Ich rede insbesondere von Fahrzeugen aller Art: von Lastwagen direkt in einer Einfahrt, Fahrräder, die an Blindenampeln oder gerne auch direkt im Weg abgestellt sind und den unsäglichen E-Scootern. Besonders letzteren bin ich bereits mitten auf dem Bürgersteig, an U-Bahneingängen und sogar mitten auf einer Treppe begegnet. Als ich einmal zur U-Bahn wollte, stand ein E-Scooter direkt vorm Eingang. Erst stolperte ich über ihn, riss ihn um und als er am Boden lag, stolperte ich noch einmal über ihn und wäre fast die Treppe hinuntergefallen, hätte mich nicht ein Passant festgehalten. Der meinte dann noch, ich müsse mir keine Sorge um den Scooter machen, ganz so, als wäre mir das Wohlbefinden des Fahrzeugs wichtiger, als mein bevorstehender Halsbruch. Neben Fahrzeugen können aber auch andere Dinge im Weg stehen: Da gibt es Schilder, die so schräg stehen, dass ich mit dem Kopf dagegen donnere – ein Hindernis, vor dem mich mein Blindenstock leider nicht schützen kann. Es gibt Koffer, die mitten auf der Leitlinie im Bahnhof stehen und Stühle von Cafés, die den halben Bürgersteig einnehmen. Am meisten stehen jedoch Menschen im Weg, die auf der Leitlinie auf den Zug warten. Mehr als einmal musste ich mich anpöbeln lassen, weil ich in jemanden hineingelaufen bin, der mir die Orientierungslinie versperrte. Am Schluss sind es die unverschämt vielen Baustellen, die gerne über Nacht meinen gewohnten Weg entstellen. Gegen dieses spezielle Hindernis ist wohl wenig zu machen, aber die vorher genannten Fahrzeuge, Gegenstände und Menschen, die rücksichtslos abgestellt und hingeworfen werden, sind mit ein bisschen Rücksichtnahme leicht zu beheben.

Alles, was man nicht sieht

Wer sich auf dem Weg zur Arbeit oder zum Supermarkt einmal aufmerksam umschaut, wird eine Flut von Bildern und auch den einen oder anderen Bildschirm bemerken. Seien es Straßenschilder, Türklingeln, Fahrpläne, Anzeigen oder Geldautomaten. Viele davon sind akustisch nicht erfassbar und bleiben deshalb für Blinde unsichtbar. In den meisten Fällen sind das geringfügige Hindernisse, denn ich kann fragen, wo der richtige Klingelknopf ist, wann die nächste Bahn kommt und in welcher Straße ich gerade bin. Außerdem können mir Navigations-Apps für das Smartphone helfen, die richtige Adresse zu finden und andere Apps können sogar einige kurze Texte lesen. Daneben gibt es jedoch Situationen, in denen ich mit keiner App weiterkomme. Zum Beispiel, wenn mich ein Taxifahrer bittet, ihm die richtige Straße auf einer Karte zu zeigen, weil er den Straßennamen nicht versteht.  Oder wenn ich eine Reise beim DB-Schalter buchen will und der Automat, wo ich mir eine Nummer ziehen will, mit Touchscreen funktioniert. Zugegeben, diesen Situationen begegne ich nicht jeden Tag, aber wenn ich ihnen begegne, wird mir jedes Mal wieder bewusst, wie visuell unsere Welt doch ist.

Alles, was übergriffig ist

Wenn ich schon über das Behindertwerden spreche, kann ich natürlich nicht dieses Hindernis auslassen: Der Mann, der mich von hinten in eine andere Richtung drängt. Die Frau, die mich ohne zu fragen zur Seite zieht. Die Frau und der Mann, die mich an beiden Armen packen. Es stört mich nicht, wenn ich aus der Bahn komme und nicht sofort weiß, wohin ich gehen muss. Ich bin auch dankbar, wenn jemand kommt und mir Hilfe anbietet, ein „Nein, danke“ aber akzeptiert. Nervös machen mich die Leute, die mich am Arm packen, weil sie glauben, ich sehe orientierungslos aus und mich irgendwohin ziehen, bevor ich herausgefunden habe, wo ich bin. In diesen Situationen frage ich mich, ob ich tatsächlich orientierungslos aussehe oder ob jeder und jede mit Blindenstock automatisch als hilflos wahrgenommen wird. Bevormundung durch andere Menschen ist ein weiteres Hindernis für mich, die ich als Blinde draußen unterwegs bin.

Alles, was abwesend ist

Darüber hinaus können Hindernisse durch Dinge entstehen, die abwesend sind. Das gilt für viel befahrene Straßen, wo es keine Blindenampeln gibt. Besonders an hellen Tagen und in dunklen Nächten finde ich es beängstigend, eine solche Straße zu überqueren. Das führt dazu, dass ich entweder versuche, diese Straße möglichst zu umgehen oder den Ort, wo sie sich befindet, ganz zu meiden. Berlin hat meiner Meinung nach noch viel aufzuholen, wenn es um Barrierefreiheit im öffentlichen Raum geht. Leitlinien finde ich fast nur an Bahnhöfen und Bushaltestelen, wohingegen sie in kleineren Städten wie Leipzig wesentlich verbreiteter sind. Ich kann mich zwar meistens in Berlin auch so orientieren, aber ich habe die Hoffnung, dass eine richtige Leitlinie vielleicht nicht durch Fahrzeuge jeglicher Art versperrt wird. Auch fehlen mir akustische Fahrplanankündigungen und die Ankündigung des nächsten Busses oder der nächsten Straßenbahn immer noch, obwohl die BVG vor einigen Jahren die Fahrplanansage und sprechende Busse und Straßenbahnen an einigen Stellen ausprobiert hatte. Was daraus geworden ist, weiß ich nicht.

Es gibt höchstwahrscheinlich noch viel mehr Hindernisse für blinde Menschen im öffentlichen Raum. Ich hoffe, diese gekürzte Auswahl kann einen kleinen Einblick darin geben, warum einige blinde und sehbehinderte Theatergängerinnen und -gänger lieber in Begleitung kommen oder sich dem Stress des Fahrtwegs entziehen wollen.

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