Leere Theaterbühnen und ein Rauschen auf der ansonsten farbenfrohen Kinoleinwand. Das ist eine Tatsache, die Kulturliebhaber wie die Kinoblindgängerin Barbara Fickert besonders hart trifft. Wie sie als blinde Bloggerin und Autorin für Audiodeskription die Situation erlebt, verrät sie in einem Interview.
Über Barbara Fickert
Barbara Fickert ist eine blinde Filmkritikerin. Als Kinoblindgängerin betreibt sie unter anderem einen Blog, auf dem sie regelmäßig Rezensionen zu Filmen mit Audiodeskription schreibt. Mehr über Barbara und ihre Arbeit erfahrt ihr auf ihrer Seite Blindgaengerin.com.
Interview mit Barbara Fickert
Lavinia: Wie geht es dir gerade persönlich?
Barbara: Ich habe überhaupt keinen Grund zu meckern. Mein Mann und ich, wir leben in einem kleinen Reihenhäuschen. Das ist schmal, hat aber genug Treppen, dass ich schon mal genug Bewegung habe. Wir arbeiten beide schon immer zu Hause. Er hat im Dach sein Büro. Und ich habe mein Zimmerchen im ersten Stock: Ganz klein, aber ganz gemütlich. Ich sitze jetzt gerade hier auf der Terrasse. Also alles ist schön, aber ich verliere mich im Moment in mein „Facebook“.
Lavinia: Hast du irgendwelche Einschränkungen bemerkt, mehr als normalerweise in deinem Alltag?
Barbara: Es schränkt mich insofern ein, als dass eigentlich gar nichts möglich ist, dass man sich nicht treffen kann. Mein Mann und ich haben Gitarrenunterricht zusammen. Der ist weggefallen. Wir spielen im Gitarrenensemble mit. Die Probe ist weggefallen. Einmal die Woche machen wir zu dritt Percussion. Das ist weggefallen. Insofern bin ich zu Hause, habe aber überhaupt keinen Lagerkoller. Noch nicht! Mal eben ins Kino gehen, das fehlt mir wirklich.
Lavinia: Was war deine erste Reaktion, als du gehört hast, dass die Theater erstmal geschlossen werden.
Barbara: Ich habe natürlich einen Schreck bekommen. Und das war der Anfang. Zuerst wurden in Berlin die staatlichen Bühnen geschlossen. Da war mir sofort klar, jetzt wird eines nach dem anderen dazukommen. Schlimm – aber ich denke, das war der richtige Weg. Gut, dass der Hörfilmpreis abgesagt wurde – das hat mir das Herz gebrochen. Zumal „Kinoblindgänger“ das erste Mal mit „Für Sama“ nominiert ist. Das fand ich ganz schlimm. Erst hatten sie auf die Streaming-Variante umgeschwenkt. In dem Moment als sie gesagt haben, alle Veranstaltungen ab 50 Leute sind abgesagt, habe ich mal zusammengezählt, wieviel Leute sie schon offiziell eingeladen haben. Das wären bestimmt über 100 Leute, mit der ganzen Technik usw. gewesen. Da war mir ganz schnell klar, dass sie das auch absagen werden.
Lavinia: Was glaubst du, was die Theater tun können? Wenn sie eine Zeitlang geschlossen sind, dann müssten sie sich auch etwas Neues überlegen.
Barbara: Sie könnten ihre Theatervorstellungen streamen. Beziehungsweise: Als ich mit Charlotte an Don Quijote gearbeitet habe, hatten wir auch ein Video. Das ist etwas Anderes. Ob das jetzt das Highlight ist, ein Theaterstück? Gerade Theater! Bei Film ist es eine andere Geschichte. Die sind eh schon digital. Aber Theater lebt davon, dass man im Raum sitzt, noch mehr eigentlich.
Lavinia: Glaubst du, dass die Audiodeskription und Inklusion wieder hinten abfällt?
Barbara: Ja, diese Befürchtung habe ich auch bei den Kinos. Wenn sich das irgendwann mal berappeln sollte: Ob sie dann ein Ohr für mich haben, wenn ich beim Verleih anrufe? Bitte, bitte stellt es doch bei der Greta App bereit! Da bin ich mal gespannt. Das macht mir auch eine Sorgenfalte ins Gesicht – wie das dann wird.
Lavinia: Viele Kulturschaffende, machen sich jetzt Sorgen, besonders Freiberufler. Geht es dir auch so?
Barbara: Um mich brauche ich mir, Gott sei Dank, keine Sorgen zu machen. Inzwischen kriege ich dafür Geld, wenn ich auf dem Podium sitze. Ich mache monatlich, übers Jahr verteilt, wahrscheinlich drei Audiodeskriptionen und das Geld stecke ich alles in „Kinoblindgänger“. Das läuft auch noch weiter.
Ich mache mir halt Sorgen um die Hörfunk-Beschreiber. Wenn nichts produziert wird, das werden die auch ziemlich schnell merken. Die haben ja alles gestoppt. Ich habe immer gedacht, mir können die Themen nicht ausgehen, weil ich immer Kinofilme habe, aber jetzt habe ich auch keine Kinofilme. Das betrübt mich. Und über Fernsehen schreiben, habe ich überhaupt keine Lust. Ich brauche immer eine ganze Weile, bis so etwas fertig ist. Und dann ist es schon eine Woche alt. Das interessiert dann keinen mehr.
Lavinia: Ich habe auch von vielen gehört, dass sie die aktuelle Situation als Zeit zur Selbstfindung annehmen und das eigentlich gar nicht so negativ bewerten.
Barbara: Diese Phase habe ich schon hinter mir. Ich hatte eine ganz blöde Zeit. Ich habe mal 6/7 Prozent gesehen und bin auch längere Zeit meines Lebens ohne Stock herumgelaufen. Ich bin auch alleine von Heidelberg nach Berlin und habe mich hier durchgewurschtelt. Ich hatte Fernrohr-Lupen-System usw. Anfang der 1990er fing das an, schlechter zu werden – ganz langsam. Irgendwann habe ich festgestellt: Ich mache gar nichts mehr! Ich konnte zwar noch schreiben, aber ich selber konnte es nicht lesen und ein Sehender auch nicht. Als endlich die Computer mit der Sprachsoftware rauskamen, war das für mich wie ein Wiedererwachen. Ich habe festgestellt: Ich kann wieder etwas schreiben, was auch andere lesen können. Dann habe ich mir ein Betätigungsfeld gesucht.
Dann hat die Hörfilm-GmbH immer wieder mal Hörfilmbeschreiber gesucht und ich habe mich beworben, aber natürlich nie etwas gehört. Da habe ich meinen ersten Blog-Beitrag geschrieben. Da haben sie mich in die Premiere von „Monsieur Claude und seine Töchter“ geschickt. Ich sollte einen Erlebnisbericht für das Magazin des DBSV schreiben, das hieß damals noch „Gegenwart“.
Und dann habe ich festgestellt, dass das ganz gut ging und meine kritischste Freundin hat gesagt: Das klingt gut, das klingt authentisch. Mach doch mal einen Blog! So kam das. Das war mein Selbstfindungsprozess. Und deswegen muss ich eigentlich nicht mehr zu mir finden. Weil ich meine Passion gefunden habe: Über Kino zu schreiben.
Lavinia: Vielleicht ist es auch einfach eine gute Zeit, um etwas zu tun, was man schon die ganze Zeit liegen gelassen hat.
Barbara: Genau, die Gitarre zum Beispiel. Die kann ich mit auf die Terrasse nehmen.
Lavinia: Ja das wäre doch mal etwas, um deinen Nachbarn eine Freude zu machen.
Barbara: Na, ob das so eine Freude ist? Wenn man übt, ist es immer dieselbe Stelle. Aber die Gitarre ist ja ein leises Instrument. Ich könnte natürlich auch mal die Trommel nehmen.
Falls ihr mehr darüber wissen wollt, wie Audiodeskriptorinnen in Zeiten von Corona arbeiten, könnt ihr euch mein Interview mit der langjährigen Beschreiberin Anke Nicolai durchlesen. Einen kleinen Auszug aus dem Interview könnt ihr euch außerdem am Mittwoch in unserem Theaterhören-Podcast anhören. Viel Spaß!
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